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Matthias Horx über "Future Love"
"Warum nicht einen Roboter lieben?"

Liebe, Sex und Familie - das soziale Zusammenleben werde sich radikal verändern, prognostiziert Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Buch "Future Love". Doch: "Die tiefen, innersten Sehnsüchte bleiben relativ gleich", so Horx im Dlf. Er plädiert für ein neues Liebes-Ethos; die "co-evolutionäre Liebe".

Matthias Horx im Corsogespräch mit Sören Brinkmann |
    Foto-Lovestory mit Sex-Roboterin Roxxxy - produziert von der Firma True Companion
    Reichen wir Robotern zukünftig die Hand zum Bund fürs Leben? Hier eine Foto-Lovestory mit Sex-Roboterin Roxxxy - produziert von der Firma True Companion. (imago/Granata Images)
    Sören Brinkmann: Ein Blick in die Zukunft, Science Fiction. Und da habe ich das Zitat gelesen "Scheidungen, Liebeskummer und Beziehungsdramen scheinen sich im Morgen verflüchtigt zu haben". Man könnte die Frage hinzufügen: Wie kann man das überhaupt wissen? Wie kann man solche Zukunftsaussagen über Liebe, Sex und Familie treffen? Einen Versuch unternimmt nun Matthias Horx in seinem aktuellen Buch – schließlich ist er Chef des Zukunftsinstituts in Frankfurt. Und deswegen spreche ich mit ihm über die Zukunft der Liebe. Guten Tag!
    Matthias Horx: Hallo, guten Tag.
    "Wir leben in einer total gespaltenen Liebeskultur"
    Brinkmann: Das gerade genannte Zitat ist aus Ihrem neuen Buch. Warum kann man überhaupt - oder warum sollte man - Aussagen über die Liebe in der Zukunft treffen?
    Horx: Also mir ist aufgefallen, dass es noch nie so viel Herz-und-Schmerzromane und Sehnsuchts- und Komödienfilme gab wie heute. Also in denen das Liebesdrama aus subjektiver Sicht geschildert wird. Und gleichzeitig einen unglaublichen Zynismus. Also wenn man so Mario Barth mit seinen platten und zynischen Sprüchen ganze Stadien füllen hört und sieht - oder die "Generation Beziehungsunfähig" als Bestseller plötzlich landet, dann merkt man, dass wir in einer total gespaltenen Liebeskultur leben. Und seit Erich Fromms "Die Kunst des Liebens", das ja heute immer noch ein Bestseller ist, hat eigentlich niemand mehr was geschrieben über den Zusammenhang der Liebe. Also was Liebe bedeutet in der Gesellschaft, wie sie sich verändert. Und das war eine große Herausforderung für mich als Zukunftsforscher, mal mit diesen sogenannten weichen Themen mich auseinanderzusetzen.
    Brinkmann: Sie sprechen Beispiele aus der Gegenwart an. Wie schwierig war es denn dann, eben bei der Entwicklung dieses Buches - oder beim Schreiben dieses Buches - und bei der Entwicklung von Thesen, wirklich Aussagen über die Zukunft der Liebe zu treffen?
    Horx: Da gibt es bewährte Techniken. Es geht letzten Endes darum, zu verstehen, das System Liebe zu verstehen, wie Luhmann gesagt hätte. Und das muss man letzten Endes in drei Teilen machen, so ist das Buch auch aufgeteilt: Nämlich ein Vergangenheitsteil: Wie ist die Liebe als System entstanden? Woher stammen wir als Wesen, als anthropologische Wesen? Was hat die Liebe für einen Sinn im Menschenwesen?
    Was ist die Gegenwart? Das ist der zweite Teil, also quasi eine Bestandsaufnahme unserer heutigen Liebesblödigkeiten und –verrücktheiten und -wahrheiten und –wirklichkeiten.
    Und dann daraus entwickelt: Drei Szenarien, die letzten Endes darauf aufsetzen – kann man verstehen, welcher Evolutionsdruck quasi in der Liebe besteht? Und was wäre denn plausibel, wie wir darauf als Kultur und als Menschen, als Individuen, als Gesellschaft reagieren?
    Wir haben noch länger mit Matthias Horx gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Brinkmann: Es gibt inzwischen viel mehr Ehen wieder. Ist das wieder ein Rückgriff auf das Alte, ja, auf die alte Sehnsucht, die sich noch aus der Steinzeit hinübergerettet hat in uns?
    Horx: Ja. Aber das wäre jetzt ein binäres Weltbild, nicht? Also da würde man sagen: Wir versuchen irgendwie, modern und anders zu werden und dann fallen wir wieder zurück ins Alte, nicht? So denken wir normalerweise nur auf dieser eindimensionalen X-Achse. Aber komplexe Zukunftsforschung muss natürlich eine weitere Dimension dazufügen – und das ist die Rekursion. Das ist eben das, wie das Alte zwar wiederkommt, aber immer in neuer Form. Die neuen Ehen sind eben nicht die alten Ehen. Außerdem ist es eben gar nicht so: Es gibt nicht unbedingt mehr Ehen, die Menschen sind eben sehr viel vorsichtiger, sie versuchen auch neue Verträge miteinander. Und es zeigt sich ja schon an der neuen Akzeptanz der Homosexuellen und der anderen Familienformen – Stichwort: Patchworkfamilie – dass unsere Liebeskultur in massiver Veränderung ist.
    Brinkmann: Was ja auch sehr aktuell ist. Das Thema ist ja gerade sehr aktuell, wenn wir die Aussagen der Bundeskanzlerin sehen, dass eben auch da, in der CDU, darüber nachgedacht wird, die Homo-Ehe gleichzustellen.
    Horx: Genau. Aber das ist ja eben unglaublich verblüffend und interessant, dass teilweise sich Dinge unglaublich schnell ändern. Also wer hätte gedacht vor dreißig Jahren, dass das so relativ schnell gehen würde. Ja, es ist ja quasi durch. Also es gibt auf der einen Seite unglaublich viel Toleranz in Bezug auf verschiedene Liebes- und Lebensmodelle – und auf der anderen Seite verändert sich die Liebeskultur dann wieder da nicht, wo wir mit unseren tiefen inneren Sehnsüchten - und das ist letztendlich die romantische Liebe, erforscht worden von Helen Fisher, die große Liebesanthropologin – das bleibt relativ gleich.
    "Gespielinnen auf dem Smartphone"
    Brinkmann: Dann blicken wir mal auf diese drei Szenarien, die Sie dann entwickeln. Die heißen einmal "die techno-erotische Transformation", "Liquid Love" oder "co-evolutionäre Liebe". Was steckt hinter diesen drei Thesen?
    Horx: Ja, das erste ist eigentlich ganz leicht zu erklären: Die Menschen schaffen es nicht mehr, sich wirklich in der Partnerschaft und in der Beziehung zu bewegen. Wir haben so viele Ansprüche an die Menschen, wir sind immer enttäuscht, wir sind zynisch – also warum nicht einen Roboter lieben, ja? Das ist ja eine Klein-Mäxchen-Haltung, aber es wird überall, auch in den Medien, so verhandelt. Wir werden irgendwann Liebesroboter haben. Man sieht ja schon diese monströsen Gummipuppen, die schon anfangen, zu zucken. Die gibt es ja schon auf Sexmessen. Und wir haben Avatare, die wir formen können.
    Es gibt Kulturen, die das ja schon machen – Japan zum Beispiel ist ein wunderbares Beispiel. Da zerstört sich die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau. Die Männer und die Frauen leben in ihren Separat-Kulturen, es wird kaum noch geheiratet, die Geburtenrate ist abgestürzt. Aber gleichzeitig hat praktisch jeder auch erwachsene Mann, ja, 30-, 40-Jährige haben dann eben geliebte Avatare, geliebte Gespielinnen auf ihren Smartphones und züchten die dort quasi heran in einem … ja, in einer unglaublichen Entfremdung. Da sieht man, wie es schiefgehen kann. Und da sehen Sie eine Disruption, die eben das Liebessystem auch erfahren kann durch moderne Gesellschaft.
    "Wir probieren mal ein halbes Jahr"
    Brinkmann: Schauen wir auf das andere Szenario, "Liquid Love".
    Horx: "Liquid Love", mein zweites Szenario, ist etwas, was wir heute schon live eigentlich erleben können. Nämlich in der Veränderung der Kontrakte zwischen Liebenden – oder zwischen Menschen. Es gibt in Frankreich ja die Ehe-light, seit zehn Jahren, die wurde ursprünglich für die Schwulen eingeführt und jetzt heiraten 60 Prozent der Heteros light. Im Grunde genommen sagt man sich bei der Ehe ja: Wir werden lebenslang zusammenbleiben. Und das möchte man auch glauben. Aber die Erfahrungen zeigen ja, dass die Liebe abstürzt, dass sie sich auch sogar in Hass verwandeln kann, dass es nicht immer funktioniert. Warum sind wir nicht vorsichtiger? Warum formulieren wir nicht quasi so eine Art Courtships? Also höfische Formen der Liebe, wo wir sagen: Wir probieren mal ein halbes Jahr. Oder wir vereinbaren uns für dieses und jenes. Dafür habe ich quasi ein Modell einer neuen Achtsamkeitspartnerkultur entwickelt, wo man eben ja ein bisschen schüchtern mit der Liebe umgeht, damit man ihr nicht so ausgeliefert ist, so existenziell.
    "Ein Leuchten zwischen den Paaren"
    Brinkmann: Szenario Nummer Drei ist ein neues Liebes-Ethos, das sich entwickelt.
    Horx: Ja. Das ist eigentlich mein Lieblingsszenario, wo die meisten Menschen sagen: Das ist elitär, das werden nur wenige Leute erreichen. Das weiß ich gar nicht, ob das so ist. Das heißt co-evolutionäre Liebe und es basiert eben auf Erkenntnissen der Partnerschaftspsychologie, die wir auch heute schon haben können. Wir wissen, dass diese wenigen Paare, die wir ja so bewundern, die lebenslang miteinander glücklich sind, dass die eine ganz bestimmte Art und Weise haben, mit sich und dem Anderen umzugehen: Sie richten sich nämlich nicht nur nach dem starren Blick auf das romantische Ideal, wo man dann immer nur enttäuscht wird, sondern sie beziehen die Selbstveränderung, das psychische und psychosoziale Wachstum beziehen sie ein. Weil wir wissen, dass die Gewohnheit – wenn man immer die selben Redewendungen vom Partner hört, immer die selben Verhaltensweisen hört, wenn der sich quasi nicht verändert – dann wird diese Abstumpfung eben stattfinden, die die Liebe zerstört.
    Aber wenn wir selbst als einzelne Individuen lebendig bleiben, wenn wir wachsen, dann entsteht ein Leuchten zwischen Paaren, was man manchmal beobachten kann. Was heute noch ein Minderheitenprogramm ist, aber was wir, glaube ich, lernen können. Das setzt auch ein bisschen an Erich Fromms "Die Kunst des Liebens" an, aber geht eben doch ein bisschen mehr in die modernere Partnerpsychologie – und ist nicht ganz so konservativ. Der gute alte Fromm war ja auch ganz schön konservativ in seiner Art und Weise.
    Brinkmann: Zukunftsforscher Matthias Horx, der ein Buch geschrieben hat über die Zukunft von Liebe, Sex und Familie. Hier bei Corso im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch!
    Horx: Ja, Dankeschön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Matthias Horx: "Future Love. Die Zukunft von Liebe, Sex und Familie". 2017. DVA Sachbuch. 336 Seiten.