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Matthias Künzel: Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg.

Spricht man in arabischen Ländern mit Menschen auf der Strasse über den Palästina-Konflikt oder den 11. September, kann es schnell passieren, dass einem eine Woge des Hasses gegen die Israelis, gegen Juden ganz allgemein entgegenschlägt. Nicht wenige glauben dort, dass hinter dem Anschlag auf die Türme in New York sog. 'jüdische Kreise’, US-amerikanisches Finanzkapital in jüdischen Händen, stecken. Solche Verschwörungstheorien werden meist mit abstrusen Begründungszusammenhängen versehen. Doch ist dieses Ressentiment gegen Juden gleichzusetzen mit dem europäischen, gar deutschen Antisemitismus; ist, wer die israelische Politik als nationalistisch und rassistisch kritisiert und auf die elende Lage der Palästinenser eingeht, ein verkappter Antisemit? Eine Debatte, die nicht nur in Deutschland einigen Zündstoff birgt. Im Verlag Ca Ira in Freiburg ist kürzlich ein Buch erschienen, dass sich mit dem Zusammenhang von heiligem Krieg der Islamisten, dem Dschihad und dem Judenhass befasst. Christoph Burgmer hat es für uns gelesen.

Christoph Burgmer |
    Spricht man in arabischen Ländern mit Menschen auf der Strasse über den Palästina-Konflikt oder den 11. September, kann es schnell passieren, dass einem eine Woge des Hasses gegen die Israelis, gegen Juden ganz allgemein entgegenschlägt. Nicht wenige glauben dort, dass hinter dem Anschlag auf die Türme in New York sog. 'jüdische Kreise’, US-amerikanisches Finanzkapital in jüdischen Händen, stecken. Solche Verschwörungstheorien werden meist mit abstrusen Begründungszusammenhängen versehen. Doch ist dieses Ressentiment gegen Juden gleichzusetzen mit dem europäischen, gar deutschen Antisemitismus; ist, wer die israelische Politik als nationalistisch und rassistisch kritisiert und auf die elende Lage der Palästinenser eingeht, ein verkappter Antisemit? Eine Debatte, die nicht nur in Deutschland einigen Zündstoff birgt. Im Verlag Ca Ira in Freiburg ist kürzlich ein Buch erschienen, dass sich mit dem Zusammenhang von heiligem Krieg der Islamisten, dem Dschihad und dem Judenhass befasst. Christoph Burgmer hat es für uns gelesen.

    Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks haben sich deutsche Linke mit dem Orient vor allem unter der Perspektive der ökonomischen Dynamik des globalen Kapitalismus auseinandergesetzt. Einerseits wurden die islamischen Gesellschaften in neokolonialer Abhängigkeit, Israel andererseits aufgrund der jüdischen Geschichte als Sonderfall mit besonderen Rechten vorgestellt. Doch seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, und den Selbstmordanschlägen diverser islamistischer Organisationen steht man sich erneut in zwei feindlichen Lagern gegenüber. Beiden Positionen ist jedoch eines gemeinsam: Interne Konflikte, Traditionen und historische Entwicklungen Israels und der arabischen politischen Bewegungen selbst, dort insbesondere die Herausbildung des Islamismus, werden zugunsten einer teleologischen Vorgabe selektiert und geglättet. Wer das Vorgehen der israelischen Armee kritisiert, wird demnach des Antisemitismus verdächtigt, und wer die palästinensischen Selbstmordanschläge nicht als Teil eines verzweifelten politischen Kampfes akzeptieren will, wird als Rassist und islamfeindlicher Unterstützer des internationalen Kapitalismus unter Führung der USA denunziert. Hinzu kommt, dass sich nach dem 11. September gerade in Deutschland die inflationäre Verwendung von Vergleichen mit dem Nationalsozialismus epidemisch ausgebreitet hat. Eine fatale Praxis, die den Antisemitismus bewusst relativiert und im Interesse einer politischen Parteinahme instrumentalisiert. Matthias Küntzel, Politikwissenschaftler, Publizist und Berufsschullehrer liegt mit seiner Veröffentlichung "Djihad und Judenhass", genau auf dieser Linie.

    In dieser vor uns liegenden Auseinandersetzung geht es jedoch nicht nur um Israel allein. Israel ist heute ein Symbol für Anderssein und Differenz. Das Gegenkonzept ist die faschistisch durchsetzte Homogenität. Das Bemühen um eine Gesellschaft, die die Emanzipation des Individuums jenseits des Kapitalismus neu zu begründen sucht, setzt eine kategorische Absage an das islamistische Homogenitätsideal voraus.

    Küntzel geht von einem manichäischen Weltbild aus, setzt den israelisch-palästinensischen Konflikt in den Rahmen von Gut und Böse Zuordnungen. Der israelische Staat wird bei ihm gar zum Bollwerk gegen die "islamistische Spielart des Faschismus". Der politische Islam wird zum Bösen schlechthin, er ist für Küntzel die Fortschreibung der Ideologie des von Daniel Goldhagen so benannten 'eliminatorischen Antisemitismus’ der Nationalsozialisten. Der

    sieht ihn als orientalische Variante, befördert durch den proarabischen Opportunismus der Großmächte nach 1945, entstanden als "islamfaschistischer Judenhass" bei den 1928 in Ismailiya und nicht in Kairo, wie der

    behauptet, von Hassan al-Banna gegründeten Muslimbrüdern. Und in der Gegenwart sei dieser Judenhass in der palästinensischen Gesellschaft zu einem "eliminatorischen Antisemitismus" eskaliert.

    Und so begann sich die palästinensische Gesellschaft im Frühjahr 2002 tatsächlich in jene "Industrie des Todes" zu verwandeln, die Hassan al-Banna so herbeigesehnt hatte. Der Massenmord an jüdischen Zivilisten war zu einem selbstverständlichen Leitideal der Alltagskultur geworden! Die islamfaschistische Charta der Hamas wurde in der Vernichtungspraxis realisiert.

    Die Hamas also als Wiedergängerin der Nationalsozialisten, ausgestattet mit dem ererbten Willen zur Judenvernichtung? So unterbleibt die notwendige Aufklärung über den politischen Islam, seine Hintergründe, seine Spielarten und seinen ideologischen Bezugsrahmen, seine gesellschaftspolitischen und ökonomischen Hintergründe, und wird zu einem eurozentristisch vertrauten Freund-Feind-Denken. Die faktische Abhängigkeit der Staaten des Nahen Ostens von den reichen Industriestaaten, die jahrzehntelange Instrumentalisierung islamischer Gruppierungen durch den Westen etwa gegen den sowjetischen Einfluss übersieht Küntzel absichtlich. Auch, dass der Islamismus erst in der Auseinandersetzung mit europäischer Hegemonie, eben aus dieser jahrzehntelangen Erfahrung der Diskriminierung, sowie der ökonomischen und politischen Zurückgebliebenheit entstanden ist. Seine Begründungen finden sich bei Theoretikern wie al Afghani oder Muhammad Abdu am Ende des 19., zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die zentrale These war zunächst, dass sich die islamischen Gesellschaften deshalb in kolonialer Abhängigkeit befinden würden, weil man den Islam falsch interpretiere. Die Laienbewegung der Muslimbrüder versuchte diese Neuinterpretation des Islam auch politisch wirksam werden zu lassen. Primäres Ziel, nach der Unabhängigkeit, war die Errichtung eines islamischen Staates, kenntlich durch die Einsetzung der Scharia. Der von den Muslimbrüdern antizipierte Antijudaismus wurde nur zu den Zeiten politisch wirksam, in denen der Antizionismus arabischer Machthaber zu offenem Krieg gegen Israel führte. Hier liegt sicherlich eine der Stärken von Küntzels Untersuchung. Der

    weist anhand von zahlreichen Zitaten führender Muslimbrüder nach, dass der politische Islam sich einer wachsenden Judenfeindschaft in islamischen Gesellschaften bediente und ihn politisch kanalisierte. Sein Versuch jedoch, daraus einen "eliminatorischen islamistischen Antisemitismus" herauszulesen, inspiriert von Nationalsozialisten und Koran, ist falsch. Weder fand die Ideologie einer 'Herrenrasse’ Eingang in islamistische Vorstellungen noch die antisemitische Nazidoktrin von gutem deutschen und schlechten jüdischen Kapital Eingang in die Kritik am Kolonialsystem. Auch Küntzel ist daran zu erinnern, dass die islamischen Gesellschaften Brüche wie den Ersten oder Zweiten Weltkrieg und auch die Judenvernichtung durch die Deutschen in Europa im Zustand kolonialer Abhängigkeit, mithin also als Opfer und nicht als Täter erlebt haben. Dass politische Führer, wie der Mufti von Jerusalem, der Schah von Persien und der Schah von Afghanistans, sich durchaus für den Nationalsozialismus begeistern konnten, lag nicht am nationalsozialistischen Antisemitismus, sondern hatte verschiedene Gründe, die zu untersuchen sich gelohnt hätten. Küntzel verzichtet darauf. Ein herausragendes Unterscheidungsmerkmal der Al Quaida-Islamisten von anderen Gruppen ähnlicher Denkungsart ist es, ihre Ideologie weltweit wirksam werden zu lassen. Durch eine politische Praxis nämlich, die auf Selbstmordfanale setzt. Al Quaida braucht kein Bekennerschreiben, um deutlich werden zu lassen, das der Feind der Rest der Welt ist: Kapitalisten, Westler, Linke, Feministinnen, aufgeklärte Intellektuelle und eben auch Juden. Das Ziel ist nicht primär die Vernichtung Israels, sondern die islamisch begründete Weltherrschaft. Lokal operierende Islamisten wie in Tschetschenien, Afghanistan oder Somalia, gewählte türkische und ägyptische Reformislamisten und staatstragenden Mullahs wie in Iran unterscheiden sich nicht nur organisatorisch sondern auch ideologisch deutlich davon. Indem Küntzel jedoch jede politische Organisation, die sich auf den Islam bezieht, als vom Antisemitismus angetrieben sieht, verkennt er den globalen Aktionsrahmen als das tatsächlich Neue von Al Qaida. Durch die schlichte Homogenisierung des politischen Islam gerät er in das propagandistische Fahrwasser ultrakonservativer Kultur- und Zivilisationskrieger vom Schlage eines Samuel Huntington und seines deutschen Adepten Bassam Tibi.

    Vierzig Jahre nach Beginn der Intifada und der Gründung der Hamas soll das Refugium der Juden von der Landkarte verschwunden sein. Die Ölstaaten stimmen mit dieser Perspektive überein. Millionen islamistisch aufgehetzter Muslime spenden ihr Applaus. Dies macht die Sorge akut, dass etwas mit Auschwitz Vergleichbares sich wiederholen könne. Anerkennung und Verteidigung des jüdischen Staates oder islamistische Barbarei – dies ist der "Wendepunkt", vor dem die Menschheit im gegenwärtigen Moment ihrer Geschichte steht.

    Küntzels Option für die nahe Zukunft ist der globale "Antiterror"-Krieg, dem er als Begründung die Bekämpfung eines drohenden "eliminatorischen Antisemitismus" hinzugefügt. Seine Argumentation ist jedoch schwach, vielleicht weil ihm häufig die notwendige Sachkenntnis fehlt. Er versucht sie durch Thesen zu ersetzen, die man im Bush-Lager oder bei den Apologeten gegenwärtiger israelischer Politik vielleicht gerne hört, die jedoch einer kritischen Nachfrage nicht standhalten können. Sie entlarven sich bei nüchterner Betrachtung schnell als politische Propaganda, eine Propaganda allerdings, die eine staatliche Doktrin stützt, in der der Einsatz militärischer Mittel als notwendiges und heilsbringendes Mittel internationaler Politik angesehen wird.

    Christoph Burgmer besprach: Dschihad und Judenhass; Über den neuen antijüdischen Krieg von Matthias Küntzel, erschienen im Verlag Ca Ira in Freiburg. Es hat 180 Seiten und kostet 13,50 €. Mit diesem Beitrag geht die Sendung Politische Literatur für heute zuende. Am Mikrophon war Karin Beindorff. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.