Christoph Heinemann: Den einen erscheint sie als ein Haufen verknöcherter alter Männer, die vor allem darüber wachen, wer in welchem Zivilstand oder mit welcher Veranlagung wann mit wem ins Bett steigt. Die anderen schätzen sie auch dafür, dass sie die einzige weltweite Organisation ist, die sich uneingeschränkt für den Schutz des menschlichen Lebens einsetzt. Als einer der Ersten wies übrigens der Vatikan bereits am Montag kurz nach dem Bekanntwerden des Endes von Osama bin Laden darauf hin, dass die Tötung eines Menschen kein Grund für Freudenfeiern sei. Die katholische Kirche hat das Annus horribilis, das furchtbare Jahr 2010, in dem die Fälle sexueller und gewalttätiger Übergriffe bekannt wurden, längst nicht überwunden. Viele Menschen haben ihr den Rücken gekehrt. Das Zentralkomitee der Katholiken sprach zur Jahreswende über die Frustrationsgefühle in vielen Gemeinden. Matthias Matussek ist Journalist des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", "Spiegel"-Autor sogar, und er hat ein Buch gegen den Trend geschrieben, Titel: "Das katholische Abenteuer". Wir hören einen Auszug:
"Der Katholizismus zielt auf die Gegenwelt. Sein Anachronismus ist die höchste Form der Subversion. Genau betrachtet sind wir die Sex Pistols unter den Konfessionen, also jetzt ohne den Sex und die Pistols und den Lärm, aber nicht weniger verstörend für die Latte-Macchiato-Bohème oder die deutschen Reformkatholiken, die es skandalös finden, dass statt ihrer der Papst das letzte Wort haben soll in Glaubensdingen."
Wir sind in Hamburg mit Matthias Matussek verbunden, guten Morgen!
Matthias Matussek: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Matussek, der Titel Ihres Buches lautet "Das katholische Abenteuer", worin besteht das Abenteuer?
Matussek: Ich hoffe, das erzähle ich in meinem Buch, das ist ein intensives Erleben der Welt. Es hat Höhen und Tiefen, es ist eine Kirche, die einem viel zu tun gibt, die einen beschäftigt. Katholizismus ist der Glaube von Graham Greenes Säuferpriester genauso wie von Georges Bernanos' Märtyrer-Landpfarrer, ist der Glaube der Franziskanermönche, ist der Glaube vieler Künstler, also ist ein leidenschaftlicher Glaube. Und das ist ein bisschen zu kurz gekommen in den Diskussionen über die katholische Kirche in den letzten Jahren. Da ist so ein bisschen die Kirche als ewige Krisen- und Skandalgeschichte geschildert worden, und ich versuche in dem Buch klarzumachen, wie lebenssatt und toll und aufregend der katholische Glaube ist. Religion ist ein ganz großes Reizthema in unseren aufgeklärten und eher ausgenüchterten Breiten.
Heinemann: Woran liegt das?
Matussek: Ja, wenn ich das wüsste. Ich habe die Erfahrung jetzt als Korrespondent in Brasilien gemacht und in den unglaublich glaubensintensiven und gottesnahen Vereinigten Staaten, da ist ein ganz anderes Temperament im Glauben, ein ganz anderes Temperament auch in der Kirche. Bei uns ist das eine Veranstaltung der Gremien und der Bürokratien, und die Kirchen leeren sich, im Übrigen noch dramatischer bei den Protestanten, aber auch eben bei uns Katholiken.
Heinemann: Zu Recht oder zu Unrecht?
Matussek: Na, ich finde zu Unrecht. Es gibt nichts Beglückenderes als das Gefühl und das Bewusstsein, dass man in die Messe geht und verwandelt rauskommt. Jede Messe ist ja im Grunde genommen eine Feier von Christus Passion und seine Wiederauferstehung.
Heinemann: Verwandelt raus kamen auch die Opfer der Skandalgeschichten der letzten Zeit.
Matussek: Ja, ganz sicher, und die Kirche – und besonders der Papst – hat alles getan, um klarzumachen, wie schmerzhaft und wie weh das auch der Kirche tut, was da passiert ist. In der Karfreitagsliturgie vor einem Jahr, im Zentrum der Liturgie, in den Fürbitten hat sich die Kirche verneigt und entschuldigt.
Heinemann: Nachdem dann alles rausgekommen war.
Matussek: Vor den Opfern des Missbrauchs. Ja, sicher, aber mit Beihilfe der Kirche. Es war ein Jesuitenpater in Berlin, der den Missbrauch aufgedeckt hat.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen mit dem Journalisten Matthias Matussek über sein Buch "Das katholische Abenteuer". Es war auch ein Jesuit, nämlich der Jesuitenprovinzial, der oberste Jesuit in Deutschland, der die Abschaffung des Zwangszölibats gefordert hat. Sie verteidigen den Zölibat, also die verpflichtende Ehelosigkeit, und auch den Ausschluss von Frauen vom Priesteramt. Was ist daran so bewahrenswert?
Matussek: Der Zölibat ist ein ganz besonderes, ganz außerordentliches Zeichen, das der Priester geben kann, dass er sein Leben Gott und der Gemeinde widmet, und zwar vollständig widmet. Zölibatärer Priester ist auch der Priester, der nein sagt zu jeder anderen bürgerlichen Karriere, der zölibatäre Priester ist eine auratische Figur für mich. Mich wundert, dass ich, oder mich wundert es eigentlich nicht, aber ich finde es eigenartig, dass in unserer Gesellschaft diese Lebensform nicht geduldet wird, sondern pathologisiert wird von vornherein. Ich habe kürzlich ein Interview mit einem zölibatären Priester in der "Zeit" gelesen, und er sagte, viel schlimmer als die Entsagungen durch den Zölibat ist für ihn dieses aggressive Mitleid in der Gesellschaft, das dem Priester entgegengebracht wird, und die es nicht dulden können, eine komplett durchsexualisierte Gesellschaft, die es nicht dulden kann, wenn es Menschen gibt, Männer und Frauen, die sich diesem Zirkus verweigern.
Heinemann: In der Kritik steht ja nicht der Zölibat, sondern der Zwangszölibat. Ist es nicht vollständig gleichgültig, ob eine Eucharistiefeier von Männern oder Frauen mit oder ohne Familie zelebriert wird?
Matussek: Ja, ich finde nicht. Ich finde, die katholische Kirche hat bestimmte Traditionen und sollte zu diesen Traditionen mit Stolz stehen. Wenn wir den Film "Von Menschen und Göttern" uns anschauen, die unglaubliche Faszination, die der Film auf die Kinobesucher gehabt hat, Millionen sind da reingegangen, da haben Leute zwölf zölibatären Männern zugeschaut, die ihr Leben einteilen in Arbeit, in Gebeten, in Essen und so weiter, und tatsächlich, in dieser zölibatären Situation, das hat selbst auf die säkulare Gesellschaft den Moment einer Heiligkeit oder einer Überraschung oder einer Lebensform, die auf jeden Fall nicht alltäglich ist. Und die katholische Kirche hat diese Lebensform in ihrer Tradition. Die Protestanten machen es anders. Die Protestanten haben kein Zölibat, die haben verheiratete Männer, Familienväter, auch sehr viele geschiedene Pastoren, die sind so eigentlich wie jeder andere Berufstätige. Der katholische Priester ist in meinem Dafürhalten was Besonderes und sollte was Besonderes bleiben. Und deshalb bin ich aus all diesen Gründen für den Zölibat.
Heinemann: Halten Sie sich nicht an Äußerlichkeiten fest, oder anders gefragt, glauben Sie eigentlich an die Kirche oder an Gott?
Matussek: Natürlich glaube ich an Gott, aber ich glaube auch, dass die Form ganz wichtig ist. Mein Pfarrer in New York, Pfarrer O'Connor, der sagte mal was ganz Wichtiges. Der sagte: Ein Ritual ohne Glaube ist leer, aber ein Glaube ohne Ritual wird gestaltlos. Ich glaube, dass in der Form selber auch Wahrheit enthalten ist. Ich glaube zum Beispiel, dass die Pietà von Michelangelo, die er gemacht hat als 21-Jähriger, dass auch in dieser Pietà eine Form von Gottesdienst steckt, also dass die Form – oder in Mozarts "Krönungsmesse" – also dass die Form für einen Katholiken auch wichtig ist. Die Form ist auch Wahrheit. Sie sollte natürlich nicht im Vordergrund stehen, sie sollte die Andacht, die genuine Herzensandacht nicht beeinträchtigen. Aber ich glaube zum Beispiel, dass die Messe, die wir sonntags feiern, die Eucharistie, die genauen Abläufe, die Wandlung, das Vaterunser, die Struktur, dass das eine große Hilfe ist im Erlebnis des Gottesdienstes und der Passion.
Heinemann: Die stellt allerdings meines Wissens auch keiner infrage. Die heutige Verfassung der katholischen Kirche ist ja das Ergebnis einer langen Entwicklung. Jesus hat ja seinen Jüngern nicht aufgetragen, den Vatikan zu bauen oder die Macht zu zentralisieren. Also: Wieso sollte man die Organisation, also das, was Sie jetzt beschrieben haben, den Weihrauch und so weiter, wieso sollte man das nicht verändern dürfen?
Matussek: Weil es meiner Ansicht nach überhaupt keine Veranlassung dazu gibt. Zunächst mal ist zu sagen, dass Jesus auf seine Weise natürlich auch Kirchengründer gewesen ist. Er sagte, du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.
Heinemann: In einer sehr abstrakten Form. Da war von Vatikan nicht die Rede, von Unfehlbarkeit und ...
Matussek: Ich weiß jetzt nicht, wie – ich war nicht dabei, wie Jesus ..., aber aus diesem Nukleus ist dann eine Kirche, eine gewaltige Kirche entstanden mit 1,2 Milliarden Gläubigen. Man muss sagen, die größte success story der Weltgeschichte. Und diese 2000-jährige Geschichte der Kirche ist natürlich auch ein großer Kulturspeicher, ein großer Traditionsspeicher.
Heinemann: Ist das Wort Aggiornamento, das Konzil des Papstes Johannes des 23. für Sie, also die Anpassung an die heutigen Verhältnisse, ist das für Sie ein Fremdwort?
Matussek: Nee, überhaupt nicht. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob dieses Aggiornamento nicht zu weit gegangen ist, ob die Kirche nicht dabei ist, ihr Mysterium preiszugeben, ihr dogmatisches Tafelsilber preiszugeben, ob die Kirche nicht aufgehört hat, auch Gegenwelt zu sein. Und ich glaube, die Attraktion der katholischen Kirche und damit auch ein Teil des Abenteuers der katholischen Kirche ist, dass sie Gegenwelt bleibt, dass sie eben nicht so ist wie die Welt und wie der Alltag, sondern dass sie aufleuchten lässt eine Utopie, einen Verweis auf ein ganz anderes Reich. Und ich wünsche mir sehr, dass das erhalten bleibt und nicht zugemüllt und zugeschüttet wird von all dem aufgeregten und glaubensfernen Reformgeschnatter.
Heinemann: Matthias Matussek, "Spiegel"-Autor und Autor des Buchs "Das katholische Abenteuer", das in diesen Tagen im Buchhandel erscheint. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Matussek: Recht schönen Dank, auf Wiederhören!
"Der Katholizismus zielt auf die Gegenwelt. Sein Anachronismus ist die höchste Form der Subversion. Genau betrachtet sind wir die Sex Pistols unter den Konfessionen, also jetzt ohne den Sex und die Pistols und den Lärm, aber nicht weniger verstörend für die Latte-Macchiato-Bohème oder die deutschen Reformkatholiken, die es skandalös finden, dass statt ihrer der Papst das letzte Wort haben soll in Glaubensdingen."
Wir sind in Hamburg mit Matthias Matussek verbunden, guten Morgen!
Matthias Matussek: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Matussek, der Titel Ihres Buches lautet "Das katholische Abenteuer", worin besteht das Abenteuer?
Matussek: Ich hoffe, das erzähle ich in meinem Buch, das ist ein intensives Erleben der Welt. Es hat Höhen und Tiefen, es ist eine Kirche, die einem viel zu tun gibt, die einen beschäftigt. Katholizismus ist der Glaube von Graham Greenes Säuferpriester genauso wie von Georges Bernanos' Märtyrer-Landpfarrer, ist der Glaube der Franziskanermönche, ist der Glaube vieler Künstler, also ist ein leidenschaftlicher Glaube. Und das ist ein bisschen zu kurz gekommen in den Diskussionen über die katholische Kirche in den letzten Jahren. Da ist so ein bisschen die Kirche als ewige Krisen- und Skandalgeschichte geschildert worden, und ich versuche in dem Buch klarzumachen, wie lebenssatt und toll und aufregend der katholische Glaube ist. Religion ist ein ganz großes Reizthema in unseren aufgeklärten und eher ausgenüchterten Breiten.
Heinemann: Woran liegt das?
Matussek: Ja, wenn ich das wüsste. Ich habe die Erfahrung jetzt als Korrespondent in Brasilien gemacht und in den unglaublich glaubensintensiven und gottesnahen Vereinigten Staaten, da ist ein ganz anderes Temperament im Glauben, ein ganz anderes Temperament auch in der Kirche. Bei uns ist das eine Veranstaltung der Gremien und der Bürokratien, und die Kirchen leeren sich, im Übrigen noch dramatischer bei den Protestanten, aber auch eben bei uns Katholiken.
Heinemann: Zu Recht oder zu Unrecht?
Matussek: Na, ich finde zu Unrecht. Es gibt nichts Beglückenderes als das Gefühl und das Bewusstsein, dass man in die Messe geht und verwandelt rauskommt. Jede Messe ist ja im Grunde genommen eine Feier von Christus Passion und seine Wiederauferstehung.
Heinemann: Verwandelt raus kamen auch die Opfer der Skandalgeschichten der letzten Zeit.
Matussek: Ja, ganz sicher, und die Kirche – und besonders der Papst – hat alles getan, um klarzumachen, wie schmerzhaft und wie weh das auch der Kirche tut, was da passiert ist. In der Karfreitagsliturgie vor einem Jahr, im Zentrum der Liturgie, in den Fürbitten hat sich die Kirche verneigt und entschuldigt.
Heinemann: Nachdem dann alles rausgekommen war.
Matussek: Vor den Opfern des Missbrauchs. Ja, sicher, aber mit Beihilfe der Kirche. Es war ein Jesuitenpater in Berlin, der den Missbrauch aufgedeckt hat.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen mit dem Journalisten Matthias Matussek über sein Buch "Das katholische Abenteuer". Es war auch ein Jesuit, nämlich der Jesuitenprovinzial, der oberste Jesuit in Deutschland, der die Abschaffung des Zwangszölibats gefordert hat. Sie verteidigen den Zölibat, also die verpflichtende Ehelosigkeit, und auch den Ausschluss von Frauen vom Priesteramt. Was ist daran so bewahrenswert?
Matussek: Der Zölibat ist ein ganz besonderes, ganz außerordentliches Zeichen, das der Priester geben kann, dass er sein Leben Gott und der Gemeinde widmet, und zwar vollständig widmet. Zölibatärer Priester ist auch der Priester, der nein sagt zu jeder anderen bürgerlichen Karriere, der zölibatäre Priester ist eine auratische Figur für mich. Mich wundert, dass ich, oder mich wundert es eigentlich nicht, aber ich finde es eigenartig, dass in unserer Gesellschaft diese Lebensform nicht geduldet wird, sondern pathologisiert wird von vornherein. Ich habe kürzlich ein Interview mit einem zölibatären Priester in der "Zeit" gelesen, und er sagte, viel schlimmer als die Entsagungen durch den Zölibat ist für ihn dieses aggressive Mitleid in der Gesellschaft, das dem Priester entgegengebracht wird, und die es nicht dulden können, eine komplett durchsexualisierte Gesellschaft, die es nicht dulden kann, wenn es Menschen gibt, Männer und Frauen, die sich diesem Zirkus verweigern.
Heinemann: In der Kritik steht ja nicht der Zölibat, sondern der Zwangszölibat. Ist es nicht vollständig gleichgültig, ob eine Eucharistiefeier von Männern oder Frauen mit oder ohne Familie zelebriert wird?
Matussek: Ja, ich finde nicht. Ich finde, die katholische Kirche hat bestimmte Traditionen und sollte zu diesen Traditionen mit Stolz stehen. Wenn wir den Film "Von Menschen und Göttern" uns anschauen, die unglaubliche Faszination, die der Film auf die Kinobesucher gehabt hat, Millionen sind da reingegangen, da haben Leute zwölf zölibatären Männern zugeschaut, die ihr Leben einteilen in Arbeit, in Gebeten, in Essen und so weiter, und tatsächlich, in dieser zölibatären Situation, das hat selbst auf die säkulare Gesellschaft den Moment einer Heiligkeit oder einer Überraschung oder einer Lebensform, die auf jeden Fall nicht alltäglich ist. Und die katholische Kirche hat diese Lebensform in ihrer Tradition. Die Protestanten machen es anders. Die Protestanten haben kein Zölibat, die haben verheiratete Männer, Familienväter, auch sehr viele geschiedene Pastoren, die sind so eigentlich wie jeder andere Berufstätige. Der katholische Priester ist in meinem Dafürhalten was Besonderes und sollte was Besonderes bleiben. Und deshalb bin ich aus all diesen Gründen für den Zölibat.
Heinemann: Halten Sie sich nicht an Äußerlichkeiten fest, oder anders gefragt, glauben Sie eigentlich an die Kirche oder an Gott?
Matussek: Natürlich glaube ich an Gott, aber ich glaube auch, dass die Form ganz wichtig ist. Mein Pfarrer in New York, Pfarrer O'Connor, der sagte mal was ganz Wichtiges. Der sagte: Ein Ritual ohne Glaube ist leer, aber ein Glaube ohne Ritual wird gestaltlos. Ich glaube, dass in der Form selber auch Wahrheit enthalten ist. Ich glaube zum Beispiel, dass die Pietà von Michelangelo, die er gemacht hat als 21-Jähriger, dass auch in dieser Pietà eine Form von Gottesdienst steckt, also dass die Form – oder in Mozarts "Krönungsmesse" – also dass die Form für einen Katholiken auch wichtig ist. Die Form ist auch Wahrheit. Sie sollte natürlich nicht im Vordergrund stehen, sie sollte die Andacht, die genuine Herzensandacht nicht beeinträchtigen. Aber ich glaube zum Beispiel, dass die Messe, die wir sonntags feiern, die Eucharistie, die genauen Abläufe, die Wandlung, das Vaterunser, die Struktur, dass das eine große Hilfe ist im Erlebnis des Gottesdienstes und der Passion.
Heinemann: Die stellt allerdings meines Wissens auch keiner infrage. Die heutige Verfassung der katholischen Kirche ist ja das Ergebnis einer langen Entwicklung. Jesus hat ja seinen Jüngern nicht aufgetragen, den Vatikan zu bauen oder die Macht zu zentralisieren. Also: Wieso sollte man die Organisation, also das, was Sie jetzt beschrieben haben, den Weihrauch und so weiter, wieso sollte man das nicht verändern dürfen?
Matussek: Weil es meiner Ansicht nach überhaupt keine Veranlassung dazu gibt. Zunächst mal ist zu sagen, dass Jesus auf seine Weise natürlich auch Kirchengründer gewesen ist. Er sagte, du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.
Heinemann: In einer sehr abstrakten Form. Da war von Vatikan nicht die Rede, von Unfehlbarkeit und ...
Matussek: Ich weiß jetzt nicht, wie – ich war nicht dabei, wie Jesus ..., aber aus diesem Nukleus ist dann eine Kirche, eine gewaltige Kirche entstanden mit 1,2 Milliarden Gläubigen. Man muss sagen, die größte success story der Weltgeschichte. Und diese 2000-jährige Geschichte der Kirche ist natürlich auch ein großer Kulturspeicher, ein großer Traditionsspeicher.
Heinemann: Ist das Wort Aggiornamento, das Konzil des Papstes Johannes des 23. für Sie, also die Anpassung an die heutigen Verhältnisse, ist das für Sie ein Fremdwort?
Matussek: Nee, überhaupt nicht. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob dieses Aggiornamento nicht zu weit gegangen ist, ob die Kirche nicht dabei ist, ihr Mysterium preiszugeben, ihr dogmatisches Tafelsilber preiszugeben, ob die Kirche nicht aufgehört hat, auch Gegenwelt zu sein. Und ich glaube, die Attraktion der katholischen Kirche und damit auch ein Teil des Abenteuers der katholischen Kirche ist, dass sie Gegenwelt bleibt, dass sie eben nicht so ist wie die Welt und wie der Alltag, sondern dass sie aufleuchten lässt eine Utopie, einen Verweis auf ein ganz anderes Reich. Und ich wünsche mir sehr, dass das erhalten bleibt und nicht zugemüllt und zugeschüttet wird von all dem aufgeregten und glaubensfernen Reformgeschnatter.
Heinemann: Matthias Matussek, "Spiegel"-Autor und Autor des Buchs "Das katholische Abenteuer", das in diesen Tagen im Buchhandel erscheint. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Matussek: Recht schönen Dank, auf Wiederhören!