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Mauerfall vor 28 Jahren
"Niemand will die DDR zurück"

Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) hat die Politik aufgefordert, sich mehr um die speziellen Probleme in Ostdeutschland zu kümmern. Im Dlf warb sie für mehr Verständnis zwischen Ost- und Westdeutschen. Die Menschen im Osten merkten, dass sie die Anerkennung, die sie verdient hätten, nicht bekämen.

Petra Köpping im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Petra Köpping (SPD), Integrationsministerin in Sachsen
    Petra Köpping (SPD), Integrationsministerin in Sachsen (imago / Jürgen Heinrich)
    Jasper Barenberg: 28 Jahre liegt der Fall der Mauer inzwischen zurück, und doch kocht gerade wieder hoch, was viele für überwunden gehalten haben: die Ossi-Wessi-Debatte nämlich. Das hat auch mit der Bundestagswahl zu tun, damit, dass gerade im Osten viele Menschen AfD gewählt haben, in Sachsen sogar mehrheitlich. Der große blaue Bereich auf der rechten Seite der Deutschlandkarte seit der Wahl ist also etwas wie ein weiteres, ein neues Bild auch für den Ost-West-Unterschied.
    Warum sind Misstrauen und Distanz zu Demokratie und Politik in Ostdeutschland so groß? Woher kommt all die Wut und weshalb sind Rechtspopulisten hier stärker als im Westen? Diese Fragen haben die SPD-Politikerin Petra Köpping schon in einer Rede vor gut einem Jahr umgetrieben. Auf der Suche nach Antworten ist die sächsische Ministerin für Gleichstellung und Integration oft im Land unterwegs. Sie redet mit den Menschen, hört zu und fordert eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Nachwende-Jahren.
    Petra Köpping spricht vom verbreiteten Gefühl der Demütigung, von der Entwertung von Lebenserfahrungen nach dem Umbruch von 1989. Vor dieser Sendung habe ich sie gefragt, ob das als Erklärung für das Bundestagswahl-Ergebnis der AfD denn reicht.
    Petra Köpping: Ich glaube, man muss die Bundestagswahl-Ergebnisse in drei Ebenen schichten. Das eine ist, dass es Probleme in der ganzen Bundesrepublik natürlich gibt, die sich sicher ursprünglich auch mit der Flüchtlingsthematik verbinden, dass wir seit 2015 durchaus das Gefühl hatten in der Bundesrepublik, dass eine Art Kontrollverlust geschehen ist, dass man nicht mehr wusste, wer ins Land kommt, wie geht man mit der Situation um, wie viele Menschen kommen. Das ist ein Thema, was die ganze Bundesrepublik betrifft und wo alle Menschen, die damit nicht einverstanden waren, in dieser Wahl irgendwie das gezeigt haben.
    Das zweite ist das Thema Ostdeutschland. Da würde ich auch noch mal abschichten, dass in Ostdeutschland ja das Wahlergebnis der AfD neben diesem Problem noch weitere Ursachen hatte, und das ist das Thema Ostdeutschland, wie stehen wir denn heute da, 27 oder besser gesagt 28 Jahre nach der Wiedervereinigung. Da ist einfach das Gefühl da, dass wir nach wie vor die Einheit in Deutschland noch nicht vollzogen haben und es ganz viele Einheits- und Wendeungerechtigkeiten nach wie vor gibt, die die Menschen einfach durch ihr Leben tragen, und das ist so eine zweite Einheit.
    Die dritte ist natürlich in Sachsen, dass wir selber in Sachsen sehr gut dastehen, wirtschaftlich sehr gut dastehen, die Menschen durchaus, was die Arbeitslosigkeit betrifft, die Zahlen senken konnten, aber dieses gut dastehen, wirtschaftliche gut dastehen, das gute Dastehen des Freistaates eben nicht beim einzelnen ankommt.
    "Niemand will die DDR zurück"
    Barenberg: Frau Köpping, ist das nicht besonders erklärungsbedürftig, wenn es nicht unmittelbar an den materiellen, an den finanziellen Verhältnissen in der Lebenssituation der Menschen liegt? Wenn das gar nicht ausschlaggebend ist, wie kommt es dann?
    Köpping: Das ist schon ausschlaggebend. Wenn ich im Grunde genommen nach 27 Jahren, wo ich mich durchgeschlagen habe – mein ganzes Leben ist ja 1990 gewollt und auch wirklich mit einer riesen Euphorie ist die friedliche Revolution ja begleitet worden, und wenn ich dann nach 27 Jahren feststelle, ich habe eine Umschulungsmaßnahme nach der anderen gemacht, eine ABM gemacht, habe versucht, mich durchzuschlagen, und dann kriege ich meinen Rentenbescheid, das ist das sogenannte Dankeschön für meine Arbeitsleistung im Leben, und da stehen irgendwelche 690 Euro drauf, und das frustriert.
    Dann gibt es natürlich eine große Gruppe, die haben auch zu DDR-Zeiten in die Renten eingezahlt. Das sind 30 Jahre und die haben ja auch vorher schon ihr Leben gehabt, und insofern sehen sie, dass die Rentenleistungen, die sie sich zu DDR-Zeiten eingezahlt und angespart haben, überhaupt nicht berücksichtigt worden sind.
    Barenberg: Sie haben ja gesagt, das Dringendste, was jetzt nötig wäre und was Sie ja schon seit einer ganzen Weile auch machen, ist, erst mal zuzuhören, sich diese Geschichten anzuhören. Wenn Sie das tun, was ändert sich denn dann?
    Köpping: Das eine ist, dass die Menschen mir in der Tat sagen, ich konnte das, was mir so auf der Seele brennt, eigentlich niemandem erzählen, weil auf der einen Seite ist das keine schöne Geschichte, wenn ich einfach sagen muss, mein Leben ist an einer gewissen Stelle nicht berücksichtigt und anerkannt worden. Auf der anderen Seite ist es ja immer besser, wenn ich erzählen kann, was ich alles an Erfolgen erzielt habe.
    Das ist so das eine und das andere ist, dass ich tatsächlich durch meine eigene Biographie die Menschen einfach auch verstehen kann und sagen kann, das ist so enorm, was sie geleistet haben. Und wenn man dann – das habe ich ja nach bestimmten öffentlichen Schreiben oder Auftritten auch erlebt – als Jammerossi beschimpft wird, dann ist das genau dieses Unverständnis, worum es den Menschen geht, dass man das nicht anerkennt, wie doch so eine Wende, so eine friedliche Revolution ein Leben verändert.
    Niemand will die DDR zurück, dass wir das mal klarhalten. Wir wissen auch, dass die DDR wirklich schlimmes Unrecht an Menschen getan hat. Aber von der Vollversorgungsmentalität einer ehemaligen DDR bis hin zum völlig alleine dastehen in einer neuen Gesellschaftsordnung, das war ein sehr schwieriger Schritt, und dazu gehört Verständnis von beiden Seiten, nämlich von Ost und West und genauso in Richtung West und Ost. Und das fehlt und daran merken die Menschen, dass sie einfach die Anerkennung, die sie sich verdient haben und die sie wirklich auch verdient haben, nicht bekommen.
    "Wir brauchen die Anerkennung der Rentenansprüche"
    Barenberg: Jetzt sagt Anna Kaminsky, die Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, man sollte jetzt bloß nicht diese alte Debatte Ossis gegen Wessis wieder anheizen, weil das genau die Ressentiments im Osten nur noch wieder verstärken würde. Was entgegnen Sie?
    Köpping: Das sehe ich ganz genauso. Da gibt es überhaupt nichts zu entgegnen. Das sehe ich ganz genauso. Mir geht es nicht darum, dass man einen Keil hineintreibt zwischen Ost und West, sondern mir geht es um Verständnis zwischen Ost und West. Und mir geht es darum, dass die Defizite und die Fehler, die man gemacht hat, beseitigt werden. Wenn Sie sich den Brief der Ost-Ministerpräsidenten an die Bundeskanzlerin anschauen, der vergangene Woche aufgeschrieben worden ist, steht genau das drin. Wir brauchen die Anerkennung der Rentenansprüche. Wir brauchen die Anerkennung der Lebensleistung und wir brauchen Ost-West-Renten angeglichen.
    Barenberg: Das heißt, das ist so eine Doppelstrategie, Zuhören, ernst nehmen, auch diese Kränkungen, die da möglicherweise eine Rolle spielen, aber auch tatsächlich die Lebensverhältnisse weiter verbessern, da ist viel versäumt worden?
    Köpping: Ich glaube schon. Es gibt Briefe zum Beispiel von Norbert Blüm. Das ist doch ganz klar, wenn man so eine große Einheit vollzieht, dass vielleicht das eine oder andere vergessen wird. Das kann passieren, das nimmt niemand übel, aber ich muss es ändern.
    Barenberg: Haben Sie denn den Eindruck, dass insbesondere nach der Zäsur jetzt der Bundestagswahl bei den Politikern, die Verantwortung getragen haben und Verantwortung weiter tragen, die Botschaft, Ihre Botschaft auch angekommen ist, dass die Reaktion darauf stimmt, sagen wir mal, wenn Martin Schulz, der SPD-Vorsitzende, in der Nacht nach der Wahl die Niederlage unter anderem damit kommentiert, dass man angesichts der rechtsextremen Rechten jetzt den Kampf um die Demokratie führen wird? Wird das den Menschen gerecht, mit denen Sie sprechen?
    Köpping: Es ist sicher an jedem Satz immer ein Stückchen Wahrheit. Aber ich glaube, die Menschen wollen die direkte Ansprache haben. Sie wollen ganz konkret wissen, ob ihr Problem, was sie haben, anerkannt worden ist, und da fehlt mir oft die direkte Ansprache von Politik, dass man wirklich sagt, ja, wir müssen uns um Ostdeutschland anders kümmern. Es geht nicht darum, dass wir erneut Geld einfordern für Straßen oder Autobahnen. Das ist ein Problem, was wir in ganz Deutschland haben. Und es gibt viele soziale Probleme auch in ganz Deutschland. Aber um die speziellen Probleme in Ostdeutschland muss sich Politik kümmern, und das müssen die Leute auch konkret benannt bekommen.
    Um die Frustwähler kümmern
    Barenberg: Nun gibt es ja eine Bundesbeauftragte für Ostdeutschland. Leistet die nicht Arbeit in diese Richtung?
    Köpping: Ich glaube, dass die Bundesbeauftragten, die es in der Vergangenheit gegeben hat – es gab ja nicht nur eine -, durchaus eine ganze Menge für die Infrastruktur in den Ländern getan haben. Frau Gleicke hat ja zuletzt auch eine Studie rausgebracht, wo es noch mal um politische Strömungen in Ostdeutschland gegangen ist. Aber das reicht eben nicht. Mir wäre wichtiger gewesen, dass man sagt, was tun wir denn, damit in Ostdeutschland tatsächlich auch Demokratie umgesetzt wird, denn die Menschen haben ja hier das Gefühl, dass demokratische Prozesse zu wenig umgesetzt werden. Was sollen denn Menschen machen, die sich bereits zusammengeschlossen haben? Ich nehme mal so eine Gruppe: Das sind die geschiedenen Frauen, die DDR-geschiedenen Frauen, die nicht den Versorgungsausgleich erhalten wie Frauen in den alten Bundesländern, die sich scheiden lassen. Das sind Frauen, die sind heute arm, um das mal wirklich zu definieren. Die haben sich zusammengeschlossen, die haben einen Verein gegründet, die haben sich an sämtliche Gerichtshöfe gewandt bis hin zu europäischen Gerichtshöfen. Man sagt ihnen, dass sie diskriminiert werden, dass die Bundesrepublik das abstellen muss, und dann tut es niemand. Was sollen denn die von Demokratie halten? Deswegen glaube ich, dass die Zeit, wo man nur darüber redet, vorbei ist, sondern dass wir jetzt auch Politiker brauchen, auch die neue Koalition jetzt in Berlin, die sich um diese Themen kümmert.
    Barenberg: Vor einem Jahr haben Sie auch gesagt, dass die Ostdeutschen sich nicht von einem nationalistischen Dunst besoffen machen lassen sollen. Haben Sie den Eindruck, dass genau das jetzt geschehen ist?
    Köpping: Na ja. Es gibt schon eine gewisse Frustration an alle etablierten Parteien, dass man sagt, wir haben es doch gesagt, wir haben Sie doch informiert, wir haben Ihnen doch unsere Probleme geschildert, aber niemand hat reagiert. Und wenn Sie jetzt sich die Analyse der Wahlergebnisse, was die AfD betrifft, anschauen, dann finden Sie immer wieder, dass 60 Prozent derer, die sie gewählt haben, aus Frust gewählt haben, aus Protest gewählt haben, und um die müssen wir uns kümmern. Und wenn wir das nicht tun, dann werden die Menschen weiter nach einfachen Antworten suchen, die trotzdem keine Lösungen bieten. Deswegen habe ich davor gewarnt, dass man das nicht zulässt, sondern dass wir als etablierte demokratische Parteien uns dieser Probleme der Menschen annehmen müssen.
    Manchmal kriege ich gesagt, das ist ja eine Minderheit. 20 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik leben in Ostdeutschland. Da könnte man sagen, na die paar und das stirbt sich aus. Aber wenn wir in unsere Analysen gucken und in unsere politischen Analysen schauen, sehen wir, dass sich das durchaus vererbt. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns den Themen annehmen und nicht glauben, dass das irgendwann durch eine Generation, die verstorben ist, ausgestorben ist. Das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen.
    Barenberg: Petra Köpping, die Integrationsministerin von Sachsen. Vielen Dank für das Gespräch.
    Köpping: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.