Mauricio Kagel konfrontierte mit einem Theater der Paradoxien. Die "Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraums durch einen Stamm aus Amazonien", so der Untertitel von "Mare nostrum", nimmt einen kolossalen Stoff ins Visier. Der könnte das Format der "Trojaner" von Berlioz oder des Wagnerschen "Rings" annehmen und ausfüllen. Doch mit der ihm eigenen List der Vernunft beschritt Kagel nicht die ihm ohnedies obsolet vorkommenden Opernwege des 19. Jahrhunderts, sondern einen strikt gegenläufigen Pfad. Er kreierte "instrumentales Musiktheater" in Kammerdimension. Getragen wird es von zwei (auch singenden) Akteuren und einem (sichtbaren) Instrumentalisten-Sextett.
Vier Musikerinnen wurden auf der kleinen Bühne jeweils in einem Geviert untergebracht und erhielten auf diese Weise kabinengroße musikalische Lebensräume. Im Übrigen wurde die Spielfläche mit reichlich viel Zimmerpflanzen erfüllt. Hinter ihr zwei Palmen aus dem Urlaubsreise-Prospekt und ein Wolkenhimmel, der gelegentlich per Video zur Meeresoberfläche animiert wird.
Ben Connor, der wie ein "Wilder" aufbereitete Amazonier, entschuldigt sich eingangs für seine Sprach- oder Sprechfehler. Mit denen vor allem spielt dann der Abend: Mit der "unermesserlichen Freude", mit der er sich ans Werk der "Konversion" (d. h. der Zwangsmissionierung) macht. Er zeigt sich generell gewillt, die amazonischen Lehren "merkellos weiterzugeben" (ein wenig, so scheint es, wurde der Part redigiert). Der Bariton verwechselt Liturgie mit Lethargie, Libido mit Libertè und er sieht ein Schiff "in Küstersnähe". Auch attestiert er den griechisch-römischen Tempelruinen rund ums Mittelmeer, dass sie "immer anders kaputtgebaut" wurden. Im Kontrast zu ihm, der eine sehr eindeutige Partie zu spielen hat, schlüpft der Counter Rupert Enticknap in die unterschiedlichsten Rollen und Kostüme der sich unterwerfenden Europäer.
Der Einsatz der Musik in der anti-dramatischen Dramaturgie, unter-streicht das Befremdliche. Manch ein Partikel der historischen Tonkünste findet sich in ihr wie Strandgut. Mit "Mare nostrum" resümierte Kagel ironisch Linksintellektuelle Positionen der 70er Jahre und entwickelte durchaus prognostische Qualitäten. Einige Jahre vor der Gründung der Grünen Partei mokieren sich seine "Indianer" auf "Paxifizierungs"-Tour über die Müllberge der nordwestlichen Zivilisation und über den verschwenderischen Umgang mit dem Wasser, mit dem sogar Fäkalien weggespült werden. Schließlich gehört ein Seitenhieb auf die Gebetsübungen vor der Klagemauer zum kagelauernden medimarinen Rundschlag. In der Türkei-Epsode treten der Osmin und die Blonde der "Entführung aus dem Serail" zur travestierten "Alla turca" aus Mozarts A-Dur-Klaviersonate in Dialog.
Das klein dimensionierte, halb-dadaistische Musiktheater wurde von Christoph Zauner am Fleischmarkt "werktreu" vorgeführt. Der Ein-Spruch gegen Eurozentrismus ist in der Wiener Version so unterhaltsam, dass man sich wünschen mag, die Inversions-Invasoren hätten noch mehr erobert und mit ihrem wohlverstandenen Unverständnis bedacht. Kagel unterhält die Ohren mit heiter-abgründigen Häppchen und raffiniert einfacher, kalorienarmer Musik-Kost.