Lange sagte weiter, das sei die Auffassung der gesamten Bundesregierung. Auch der Bundespräsident sei dieser Meinung, sonst hätte er das Gesetz nicht unterschrieben. Der Unions-Obmann im Verkehrsausschuss betonte, Dobrindt habe etwas geschaffen, was ihm niemand zugetraut hätte: Eine europarechtskonforme Maut. An der Abgabe werde nicht festgehalten, um das Gesicht des CSU-Ministers zu wahren. Es sei vielmehr ein Pluspunkt für ihn. Lange erklärte: "Die Infrastrukturabgabe wird kommen."
Die EU-Kommission hatte gestern die zweite Stufe im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Ihrer Ansicht nach werden durch die Pläne ausländische Autofahrer benachteiligt, weil vorgesehen ist, dass deutsche Fahrer durch eine Senkung der Kfz-Steuer in Höhe der Mautgebühr entlastet werden sollen. Wenn Deutschland die Mautbestimmungen nicht anpasst, wird der Fall vor den Europäischen Gerichtshof kommen. Dobrindt hatte erklärt, Deutschland sei für ein solches Verfahren gerüstet.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Am Telefon ist Ulrich Lange, CSU, Obmann der Unions-Fraktion im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!
Ulrich Lange: Guten Morgen aus Berlin.
Heinemann: Herr Lange, wird die Kanzlerin recht behalten?
Ulrich Lange: Wir sind der festen Auffassung, so ja auch die Bundeskanzlerin, die ganze Bundesregierung bis hin zum Bundespräsidenten, der das Gesetz unterschrieben hat, dass die Einführung der Infrastrukturabgabe EU-rechtskonform ist, und deswegen wird die Infrastrukturabgabe kommen.
Heinemann: Hat Dobrindt die Maut vermurkst?
Lange: Nein, ganz im Gegenteil. Er hat sie nicht vermurkst, sondern er hat etwas geschafft, was eigentlich zu Beginn der Legislatur ihm keiner zugetraut hat: Ein EU-rechtskonformes Gesetz auf den Tisch zu legen, bei dem Bundestag, Bundesregierung, Bundespräsident zugestimmt haben.
Heinemann: Und deshalb wartet die Regierung bis heute auf die Einführung der Maut, weil er das hinbekommen hat. Kleiner Widerspruch.
Lange: Nein, kein Widerspruch, sondern die EU-Kommission, mit der man ja vorher auch schon im Kontakt stand, hat sich für ein Vertragsverletzungsverfahren entschieden,…
Heinemann: Weil sie meint, dass die Bundesregierung kein rechtskonformes Gesetz zustande bringt.
"Wir stellen um im System auf die Nutzerfinanzierung"
Lange: Na ja. So sicher ist sich ja die Kommission nicht. Sonst würde sie ja das Verfahren nicht derart verzögern. In den letzten Monaten konnte die Kommission sich ja qualifiziert noch nicht äußern. Sie war selber nicht sprechfähig. Das zeigt eigentlich eher, wie schwach die Kommission in diesem Punkt aufgestellt ist.
Heinemann: Warum behandelt die Bundesregierung ausländische Autobesitzer schlechter als hierzulande gemeldete?
Lange: Ich glaube, auch da ist wieder irgendwo ein Widerspruch im Ganzen.
Heinemann: Ja, wie so viel!
Lange: Nein, es ist keine Schlechterbehandlung, sondern wir stellen um im System auf die Nutzerfinanzierung, und genau das ist das, was die Kommission ja auch gefordert hat. Und wenn man auch jetzt das Schreiben der Kommission oder die Presseankündigung der Kommission sieht und hört, so wie auch in Ihrem Beitrag vorhin: alles alter Kaffee. Es wundert, dass die Kommission sehr unterschiedlich zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten wertet.
Ich sage nur das Beispiel angebliche Unverhältnismäßigkeit der deutschen Vignette. Erlauben Sie mir den Einschub: In Österreich zahlen Sie für die Kurzzeit-Vignette 8,90 Euro; in Deutschland für die billigste für zehn Tage fünf Euro. Schauen Sie sich die Straßennetze an, vergleichen Sie die Straßennetze. Dann müssen Sie doch einfach sagen, hier liegt die Kommission grob falsch.
Heinemann: Bleiben wir noch mal in Deutschland. Seit November 2014 kennt Herr Dobrindt die Alternativen, die die EU-Kommission zur Entlastung der in Deutschland gemeldeten Fahrzeughalter angeboten hat: einmal die Erhöhung der Pendlerpauschale zum Arbeitsplatz, oder niedrigere Benzin- und Dieselsteuern. Wieso hat Dobrindt die ausgestreckte Hand nicht ergriffen?
Lange: Na ja, das als ausgestreckte Hand zu bezeichnen, halte ich für sehr gewagt. Die Besteuerung des Kraftstoffes ist doch im Endeffekt die Einladung zu größeren, zu teureren Autos, zum mehr Fahrten. Ist das die Verkehrspolitik, die wir alle wollen? Das halte ich für ausgesprochen gewagt, hier von einer ausgestreckten Hand zu sprechen.
Heinemann: Entschuldigung! Das müssen Sie uns noch mal erklären. Wieso höhere Benzinsteuern eine Einladung zu mehr Fahrten und größeren Autos? Kapiere ich nicht.
"Die Kommissionsvorschläge sind nichts Neues."
Lange: Wenn Sie die Mineralölsteuer erhöhen, im Endeffekt bevorzugen Sie die, die mehr fahren, größere Autos fahren. Die Kleineren, für die wird das alles teurer. Schauen Sie sich doch unser Modell mal genau an. Dann sehen Sie, dass es eine ausgewogene Finanzierung ist. Diese Mineralölsteuer-Nummer sind wir genauso wenig bereit mitzumachen wie die Pendlerpauschale. Ich sage ganz offen: Es wird mit uns - das ist auch das Thema streckenabhängige Maut…
Heinemann: Herr Lange, Entschuldigung! Es ist doch genau anders herum, als Sie es schildern. Wer größere Autos hat und viel fährt, der profitiert nicht von höheren Benzinsteuern, sondern im Gegenteil. Der muss mehr zahlen.
Lange: Nein. Sie verkennen ja, dass die Kommission auch in dem Schreiben gestern, in ihrer Pressemitteilung gestern ganz klar auch wieder von der Entfernungsabhängigkeit gesprochen hat, und genau in diesem Zusammenhang kommen wir doch dann in das Problem, dass die, die insbesondere im ländlichen Raum unterwegs sind, deutlich mehr zahlen müssen. Die sind auf den PKW angewiesen. Wir sind überzeugt von diesem Modell und wir werden auch daran nichts ändern. Die Kommissionsvorschläge sind nichts Neues.
Heinemann: Der Kommission kommt es darauf an, dass die Maut und die Entlastung nicht bis aufs Komma miteinander verrechnet werden. Wieso hält Herr Dobrindt genau daran fest?
Lange: Wir haben eine Umstellung des Systems. Noch mal: Wir haben eine Umstellung des Systems von der Steuerfinanzierung in die Nutzerfinanzierung, und wir denken, dass diese Systemumstellung auch europarechtskonform ist, so wie ich es vorhin schon mal gesagt habe.
Heinemann: Und wenn nicht?
Lange: Lassen wir doch den EuGH entscheiden.
Heinemann: Und was passiert, wenn der EuGH den Daumen senkt?
Lange: Ich gehe davon aus, dass der EuGH den Daumen nicht senkt, sondern den Daumen nach oben zeigen wird.
Heinemann: Und wenn er den Daumen trotzdem senkt?
Lange: Er wird den Daumen nicht senken. Wir sind überzeugt davon. Sonst hätten wir als Parlament, wir mit unserer Bundesregierung bis hin zum Bundespräsidenten dieses Gesetz so nicht eingebracht.
Lange: Er hat ein Gesetz auf den Weg gebracht. Pluspunkt für Dobrindt
Heinemann: Dient die Maut inzwischen ausschließlich der Gesichtswahrung der CSU?
Lange: Nein.
Heinemann: Hat Herr Dobrindt Angst vor der Bundestagswahl?
Lange: Nein! Ganz im Gegenteil! Wir als CSU - da darf ich jetzt mal als CSU-Abgeordneter sprechen - haben derzeit auch bei den derzeitigen Umfragen alles andere als Angst vor der Bundestagswahl. Wir fahren einen klaren Kurs.
Heinemann: Belastet Herrn Dobrindts Bilanz oder Herrn Dobrindts Nicht-Bilanz diese Bundesregierung?
Lange: Nein. Ganz im Gegenteil! Er hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, verabschiedet, unterschrieben vom Bundespräsidenten. Das hat doch am Anfang keiner geglaubt. Das ist ein Pluspunkt für Dobrindt.
Lange: Wie gesagt, es ist ja bisher noch nicht eingeführt worden.
Lange: Das Gesetz ist unterschrieben.
Heinemann: Aber die Maut noch nicht eingeführt.
Lange: Die technische Umsetzung steht aus.
Heinemann: Anderes Thema! Der Diesel-Abgasskandal soll nach dem Willen der Opposition durch einen Untersuchungsausschuss im Bundestag aufgeklärt werden. Unterstützen Sie, dass die Rolle von Bundesregierung und Behörden bei diesem Skandal unter die Lupe genommen wird?
Lange: Die Einführung eines Untersuchungsausschusses ist das gute Recht der Opposition. Die Opposition hat sich zu diesem Untersuchungsausschuss entschlossen und dementsprechend wird er stattfinden.
Heinemann: Und Sie unterstützen die Aufklärung?
Lange: Ich glaube, dass das Bundesministerium mit dem ausführlichen Bericht letzte Woche ja gezeigt hat, wie sehr in die Tiefe und wie sorgfältig man diese Sache aufarbeitet. Ich glaube, dass der Bericht letzte Woche eine sehr gute Grundlage für die Aufarbeitung der hier offenen Fragen ist.
Heinemann: Ulrich Lange (CSU), der Obmann der Unions-Fraktion im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Lange: Danke schön! Schönen Tag und auf Wiederhören.
Heinemann: Ihnen auch! Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.