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Max Brod vor 50 Jahren gestorben
Schriftsteller, Kritiker und Nachlassverwalter Kafkas

Max Brod kennt die literarische Welt heute großenteils nur noch als Freund und Nachlassverwalter Franz Kafkas. Über der Arbeit an dessen Jahrhundertwerk ist Brods eigenes umfangreiches und anfangs hochgelobtes literarisches Werk mehr und mehr in den Hintergrund geraten.

Von Christian Linder |
    Der Schriftsteller Max Brod am 27. Juni 1964 in Prag.
    Max Brod am 27. Juni 1964 in Prag. Er wurde 1884 in Prag geboren und starb 1968 in Tel Aviv. (dpa / picture alliance / )
    Natürlich wird der junge Max Brod nicht einmal ahnungsweise gewusst haben, welche Wirkung die Widmung seines 1915 erschienenen Romans "Tycho Brahes Weg zu Gott" noch entfalten würde. Sie lautete: "Meinem Freunde Franz Kafka."
    "Ich habe Kafka kennen gelernt, als ich 18 Jahre alt war und er 19 Jahre, und bis zu seinem Tode hat es keinen Tag gegeben, über 20 Jahre lang, an dem wir uns nicht getroffen hätten, manchmal sogar zwei Mal im Tage."
    Den wahren Neigungen gefolgt
    Dabei waren die beiden, wenn sie sich im jüdischen Viertel der Prager Altstadt trafen, allein äußerlich sehr verschieden. Kafkas Erscheinung "schlank, groß, etwas vorgebeugt, die Augen kühl, blitzend grau", andererseits der klein gewachsene Max Brod, der sich nur mühsam durch die Welt bewegen konnte – seit dem vierten Lebensjahr litt er an einer Rückgratverkrümmung, sodass der Körper in ein Korsett gezwängt werden musste. Trotz dieser Behinderung agierte er, im Gegensatz zum defensiv lebenden Kafka, offensiv-optimistisch – "Streitbares Leben" hat er später seine Autobiographie genannt.
    Geboren 1884 und mit vielfältigen Talenten ausgestattet war Brod nach einem anfänglichen Jurastudium seinen wahren Neigungen gefolgt und zunächst Literatur- und Musikkritiker des "Prager Tagblatts", anschließend selbst Schriftsteller geworden – bekannt wurde er nicht zuletzt wegen der Verfilmung seines 1927 herausgekommenen Romans "Die Frau, nach der man sich sehnt" mit Marlene Dietrich und Fritz Kortner in den Hauptrollen.
    Kafkas Werk bewahrt und veröffentlicht
    Obwohl hinsichtlich seiner Themen und seines konservativ-bürgerlichen Schreibtemperaments völlig anders strukturiert als Kafka, hatte Brod die radikalere Arbeit des Freundes stets unterstützt; aber den letzten Freundschaftsbeweis hat er dann doch verweigert: Kafka, an Kehlkopftuberkulose erkrankt, hatte Brod gebeten, sein zu Lebzeiten großenteils ungedrucktes Werk aus fertigen und unfertigen Manuskripten, Tagebüchern und Briefen nach seinem Tod zu verbrennen. Dem Publizisten Willy Haas hat Brod später erzählt:
    "Ich habe Kafka ganz klar und eindeutig erwidert: 'Wenn du mir diesen Auftrag gibst, so werde ich ihn nicht ausführen, sondern die Arbeiten veröffentlichen.' Er wusste also ganz genau, was ich tun würde, und hat die Klausel trotzdem in sein Testament aufgenommen."
    Gegen die nihilistische Deutung Kafkas
    Tatsächlich ist Brod dem Wunsch des 1924 im Alter von 40 Jahren gestorbenen Freundes nicht gefolgt und hat die in Kafkas schwer lesbarer Handschrift verfassten Texte entziffert und nach und nach veröffentlicht, zunächst von Prag, später von Israel aus, wohin er 1939 vor den einrückenden deutschen Truppen mit dem letzten Zug geflohen war, im Koffer als wertvollstes Gut Kafkas Manuskripte.
    Auch in die nach 1945 weltweit geführten Debatten über Kafkas Literatur griff er immer wieder ein: "Kafka hat in vielen seiner Werke eine düstere Vorahnung der Gräuel, die in unserer Zeit an der Tagesordnung sind, entwickelt. Allerdings bleibt Kafka nicht bei der Negativität stehen. Es lebt ein Funke der Hoffnung immer wieder in ihm auf, und ich halte die nihilistische Deutung Kafkas, die in ihm einen reinen Zerstörer des Glaubens sieht, für falsch."
    Im Schatten des Weltruhms Kafkas
    Kafkas Weltruhm warf natürlich einen großen Schatten auf Brods eigenes Werk, das er gleichwohl trotzig fortschrieb, mit romanhaften Studien über Jesus, Galilei oder Reubeni, Essays sowie Erinnerungen – bis zuletzt lag auf seinem Schreibtisch das Prager Telefonbuch von 1937. Als Mittler zwischen Israel und Europa im Sinne eines "hebräischen Humanismus" hochrespektiert, verbreitete sich die Nachricht aus Tel Aviv von seinem Tod am 20. Dezember 1968 in Windeseile. Was die vielen Freunde und die meisten Kafka-Leser wohl empfunden und gedacht haben, hat Joachim Kaiser ausgedrückt:
    "Weil er Franz Kafkas bester, hilfreichster Freund gewesen ist, dürfte (Brod) literarische Unsterblichkeit beschieden sein, selbst wenn sein (eigenes) Wirken und sein Werk langsam der Vergessenheit anheimfallen sollten."