Die Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1958 in Paris muss für Ingeborg Bachmann und Max Frisch eine rauschhafte gewesen sein. Doch kaum zwei Tage danach schreibt der arrivierte Romanautor und Dramatiker an die fünfzehn Jahre jüngere Lyrikerin, noch in Paris:
„Was ist los? Ich warte und bange. Kein Zeichen. Du willst dass wir verschwunden sind für einander.“
Im Grunde sind damit schon die Zeichen gesetzt, denn so geht es immer weiter, vier Jahre lang. Regelmäßig ist dabei von Trennung die Rede, sie steht schon nach der ersten Wiederbegegnung in Zürich im Raum. Als die beiden beschließen, zusammenzuleben, schwingt immer der Grundton mit, den Frisch ahnungsvoll gleich zu Beginn anschlägt:
„Wir wären ein Unheil füreinander. Aber auch so ist kein Heil...“
Ab März 1959 wohnt Bachmann mit Frisch in einem Haus mit Seeblick bei Zürich. Ende April aber fährt sie an den Comer See, weil sie glaubt, dort besser arbeiten zu können. Im Mai wird bei Frisch eine schwere Hepatitis diagnostiziert. Bachmann reist dann, auch auf seinen Wunsch hin, nach Rom. Und sie tut das in Begleitung von Hans Magnus Enzensberger, mit dem sie bald auch Sex hat. Wie gravierend diese Liaison war, erfährt man erst jetzt. In der 2018 erschienenen Korrespondenz Bachmanns mit Enzensberger fehlen etliche Briefe, weil dieser sie auf Wunsch Bachmanns vernichtete.
Ein vernichtetes Tagebuch
Im Krankenhaustagebuch von Max Frisch spielt die Beziehung Bachmanns zu Enzensberger jedoch offenkundig eine große Rolle. Es handelt sich um jenes berühmte Tagebuch Frischs, das Bachmann im Frühjahr 1963 nach der Trennung von Frisch findet und vernichtet. Die Dimension des Verhältnisses zu Enzensberger ist ein bisher völlig unbekannter Faktor in der Biografie Bachmanns. Ihr auch nach diesem ausgiebigen Briefwechsel mit Frisch schwer fassbares Profil hat viel damit zu tun, dass sie ein Leben zu führen versuchte, das für eine Frau in ihrer Zeit nicht vorgesehen war. Im Juli 1959 schreibt sie an Frisch:
„Max, es ist so schwer zu erklären, aber ich habe nur ganz selten das Gefühl der Gleichberechtigung zwischen uns. Ich stehe von Anfang an etwas unter Dir oder hinter Dir, Du hast es bestimmt nicht gewollt, aber es bringt Dich dazu, mit mir zu reden wie manchmal zu einer Schülerin, bald liebevoll, bald tadelnd. Ich bin aber, wenn ich nicht bei Dir bin, auch erwachsen, einem Mann gewachsen und lasse mir, wie die Brechtmädchen sagen würden, ‚nichts gefallen‘.“
Frisch ist nicht nur als Mann auf Bachmann eifersüchtig, sondern auch als Schriftsteller. Er empfindet sich selbst im Vergleich zu Bachmann und Celan als „durchschnittlich“, die beiden Lyriker dagegen seien „Auserlesene“. Im März 1962 gibt es wieder eine Konstellation, wie sie für Bachmann typisch ist, die man aber nicht pathologisieren sollte, wie das in letzter Zeit manchmal geschieht: Sie verliebt sich in den Germanisten Paolo Chiarini und will sich von Frisch trennen.
Die Ereignisse überstürzen sich
Letztlich kommt es nicht dazu, weil Chiarini doch bei seiner Ehefrau bleibt. Danach überstürzen sich die Ereignisse. Im Sommer 1962 wird Bachmann eröffnet, sie müsse sich ihre Gebärmutter entfernen lassen. Gleichzeitig ist ihre Tablettensucht nicht mehr zu leugnen, sie lässt sich deshalb im Krankenhaus behandeln. Und Anfang Oktober erfährt sie von der Affäre zwischen Max Frisch und der um 28 Jahre jüngeren Marianne Oellers, die sie aber erstmal nicht so richtig ernst nimmt.
Die Krankenhausaufenthalte Bachmanns zwischen Dezember 1962 und Februar 1963 bilden das Zentrum späterer Bachmann-Legenden. Zugrunde liegt, das scheint jetzt klar zu sein, weder ein Selbstmordversuch Bachmanns noch eine Abtreibung; das sind nachträgliche literarische Imaginationen Bachmanns. Was bei ihr, die sich seit langem als unabhängige Schriftstellerin durchgeschlagen hat, im Alter von 35 Jahren aufgebrochen ist, geht über die eklatant misslungene Liebesbeziehung zu Max Frisch weit hinaus – und verweist auf etwas Existenzielles.
Ein psychischer Zusammenbruch
Immerhin war Frisch aber ein Mann, der einen festeren Halt versprach als ihre vorangegangenen, eher utopisch angelegten Liebesversuche, vor allem mit Paul Celan. Frisch war, wie es Elfriede Jelinek später ausdrückte, „unheilbar gesund“. Genau darin lag das Problem. Bachmann wurde sich ihrer Aporien bewusst. Frischs konkrete Person war vielleicht gar nicht so entscheidend für das Trauma, das die Trennung bei Bachmann auslöste.
Es ist erschreckend, ihren psychischen Zusammenbruch des Jahres 1963 zu verfolgen. Max Frisch wird für sie dabei zu einer Metapher, die etwas Grundsätzliches meint. Seine Briefe zeigen, dass er beileibe nicht der Popanz war, zu dem ihn ein Teil der Bachmann-Forschung gemacht hat. Er fühlte sich überfordert. Bachmanns Begriff von Liebe war für ihn einfach zuviel:
„Du bist so seltsam, und ich möchte alle Steine aus Dir herausoperieren, damit Du lebendig wirst. Ich glaube wirklich, Du hast irgendwann einen riesigen Stein verschluckt. Du schickst mich so oft weg, oder Du nimmst meine Zärtlichkeiten nicht an, aber ich will, dass Du sie annimmst, oder es geschieht ein Unglück eines Tages.“
Dieser Briefwechsel setzt einem durchaus zu. Aber man weiß jetzt viel besser, wie es zu Frischs Roman „Mein Name sei Gantenbein“ kam, und die Hintergründe von Bachmanns spätem, ästhetisch eindrucksvollen „Todesarten“-Projekt werden zum ersten Mal voll ausgeleuchtet.
Ingeborg Bachmann/Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht. Der Briefwechsel“
Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann
Piper Verlag, München und Suhrkamp Verlag, Berlin
1038 Seiten, 40 Euro.
Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann
Piper Verlag, München und Suhrkamp Verlag, Berlin
1038 Seiten, 40 Euro.