Archiv

Max Hartung zur IOC-Athletenkommission
"Würde mir wünschen, dass mehr Reibung erzeugt wird"

Eigentlich soll sich die Athletenkommission des IOC für die Belange der Sportler einsetzen. Doch der Umgang mit dem russischen Staatsdoping ließ Fechter Max Hartung genau daran zweifeln. Er plädiert für eine unabhängige Bewegung – nach deutschem Vorbild.

Max Hartung im Gespräch mit Maximilian Rieger |
Max Hartung im Dezember 2018 auf einer DOSB-Mitgliederversammlung
Säbelfechter Max Hartung ist Gründungspräsident von Athleten Deutschland e.V. und Vorsitzender der Athletenkommission im DOSB. (dpa / picture alliance / Guido Kirchner)
"Die Stimme der Sportler hat auf jeden Fall Gewicht", ist Max Hartung überzeugt: "Wenn wir gemeinsam auftreten." Aber nicht nur Solidarität sei wichtig, sondern auch Eigenständigkeit. Deshalb hat der erfolgreiche deutsche Säbelfechter 2017 gemeinsam mit anderen Sportlern mit Athleten Deutschland e.V. einen Verein gegründet, der die Interessen von Athleten unabhängig vom Deutschen Olympischen Sportbund vertreten will.
Eine solche Ausgliederung würde auch der IOC-Athletenkommission gut tun: "Ich glaube, dass das ein guter Schritt wäre", sagte Hartung in der Sendung "Sport am Sonntag". "Das ist der Schritt, den wir in Deutschland gegangen sind und der uns dabei helfen soll, eigenständige Positionen zu kreieren - und das würde meiner Meinung nach auch der IOC-Athletenkommission gut tun."
Max Hartung würde sich wünschen, dass die IOC-Athletenkommission "mehr Reibung" erzeugt - und mehr Öffentlichkeit für die Belange der Sportler. Das fehle ihm derzeit: "Insgesamt hätte ich mir gewünscht, dass die IOC-Athletenkommission eine ganz andere Rolle spielt und sich eher an die Spitze einer Bewegung setzt, als immer wieder zu vermitteln und dadurch auch zu bremsen." Von den möglichen neuen Mitgliedern, die sich auf einen Platz in der Kommission bewerben, erwartet er ebenfalls wenig. "Mir ist jedenfalls keiner bekannt, der sich international für ähnliche Fragestellungen wie wir eingesetzt hat", sagte er am Tag vor Ende der Bewerbungsfrist.
Athleten fordern mehr Mitsprache - und mehr Rechte
Die Olympischen Sommerspiele in Rio 2016 markierten einen Umbruch für viele Athletinnen und Athleten weltweit: Das kurz zuvor aufgedeckte, staatlich unterstützte Doping in Russland, die Frage nach dem Komplettausschluss russischer Athleten und die damit verbundene Haltung des IOC sind damals auch Thema in der Athletenkommission des olympischen Dachverbandes. Deren Sprecherin ist 2016 die Deutsche Claudia Bokel: "Wir wollten, dass harte Konsequenzen kommen für Russland und dass eben Russland von den Spielen ausgeschlossen wird."
So schildert es Bokel Jahre später in Hajo Seppelts Dokumentation "Geheimsache Doping - Das Olympiakomplott". In dem Film erzählt sie, dass eine Debatte über den Umgang mit Russland in der Exekutive stets unterbunden wurde, was das IOC dementiert. Bei der Abstimmung der höchsten Olympia-Funktionäre enthält sich Bokel schließlich, sie ist die einzige Athletenvertreterin. Die Athletenkommission erweist sich im IOC-Gefüge als machtlos.
Der Ausgang ist bekannt: Am Ende werden 271 russische Athleten zugelassen. Doch nach der Rio-Entscheidung gerät das IOC unter Druck. Auch die Athleten erheben in vielen Ländern ihre Stimme. Sie sehen ihre Rechte nicht ausreichend verteidigt. In Deutschland formiert sich als Konsequenz auf den Umgang mit Russland der Verein Athleten Deutschland e.V.: Sportler machen sich unabhängig von den Strukturen olympischer Dachverbände.
Streik als Druckmittel?
Die neue Unabhängigkeit macht die Athleten in Deutschland aufmüpfiger gegenüber dem IOC: Sie fordern, das Werbeverbot für Athleten im Umfeld Olympischer Spiele zu lockern und Spitzensportler am Gewinn von den Vermarktungs- und Übertragungserlösen zu beteiligen. Der Olympische Dachverband will Offenheit gegenüber der neuen Bewegung demonstrieren - veranstaltet mit seiner Athletenkommission im April 2019 das bislang größte Sportler-Forum der Welt. Doch ein inhaltliches Einlenken gibt es nicht. Schon bald erteilt IOC-Präsident Thomas Bach direkten Zahlungen an Athleten eine Absage - man will lieber Geld an die Verbände ausschütten und so nach eigener Lesart Chancengleichheit herstellen. Auch eine globale Lockerung der Werberegeln gibt es nicht.
Wäre Streik ein Mittel für Sportlerinnen, um sich mehr Gehör zu verschaffen? Und mehr Druck auszuüben? Max Hartung ist skeptisch: "Man muss sehen, dass Streiks und Boykotte insbesondere den Sportlern sehr, sehr weh tun." Für ihn sei ein Streik zwar nicht völlig ausgeschlossen - aber wirklich nur als allerletzte Möglichkeit.
Hartung ist zuversichtlich, dass Athleten und Athletinnen auch ohne Streiks und Boykotte Druck ausüben können: "Indem man sich vernetzt und auf Forderungen verständigt und die dann auch platziert und kommuniziert."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.