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Max Ophüls Festival 2017
"Die Kunstform Film hat neue Wege gefunden"

Das renommierte Max Ophüls Filmfestival blickt in diesem Jahr auch auf neue Darstellungsformen wie Web-Videos, Games, Panorama-Aufnahmen und Virtual Reality. Es sei interessant zu sehen, wie die Kunstform Film spezielle Ausdrucksformen für spezielle Medien entwickle, sagte der Kurator und Programmleiter Oliver Baumgarten im Corso-Gespräch.

Oliver Baumgarten im Corso-Gespräch mit Marietta Schwarz |
    Der Programmdirektor des 38. Filmfestival Max Ophüls Preis, Oliver Baumgarten, am 11.01.2017 bei einer Pressekonferenz zur Veranstaltung im E-Werk in Saarbrücken.
    Dank der Digitalisierung habe die Kunstform Film immer neue Wege gefunden, sagt Oliver Baumgarten, Programmdirektor des 38. Filmfestival Max Ophüls Preis. (dpa / picture alliance / Oliver Dietze)
    Marietta Schwarz: Heute Abend beginnt in Saarbrücken die 38. Ausgabe des Max-Ophüls-Festivals, nach wie vor das bedeutendste Festival für den deutschsprachigen Nachwuchsfilm. Im vergangenen Jahr hatte sich die langjährige Leiterin Gabriella Bandel ja verabschiedet, und danach war zunächst unklar, wie die finanzielle Zukunft des Festivals aussieht. Die neue Leiterin ist die 28-jährige Medienwissenschaftlerin Svenja Böttger. Sie setzt auf Bewehrtes, aber es gibt im Rahmenprogramm auch neue Rollen – zum Beispiel den Fokus auf neue Darstellungsformen wie Webvideos, Games, Panoramaaufnahmen und Virtual Reality. Und darüber spreche ich mit dem Kurator und Programmleiter Oliver Baumgarten. Herzlich willkommen zum "Corso"-Gespräch!
    Oliver Baumgarten: Hallo, schönen guten Tag!
    Schwarz: Lassen Sie uns doch gleich mal bei diesen neuen Darstellungsformen bleiben: Was haben Sie sich denn da ausgedacht?
    Baumgarten: Ja, für uns ist da besonders wichtig eigentlich gewesen, für diese Entscheidung, das zu tun, dass wir gerne wissen möchten, womit sich die jungen Filmemacher so beschäftigen jenseits des Mediums Kino, weil ja nun mal die Kunstform Film einfach auch viel mehr zu bieten hat und gerade dank der Digitalisierung immer neue Wege auch gefunden hat – neue Ausdrucksformen vor allem. Beispielsweise haben wir einen Vertikalfilm dabei. Das ist ein Berliner Filmemacher, Erik Schmitt, der einen wunderbaren Fünfminüter gemacht hat, nämlich der nicht, wie wir es kennen, horizontal erzählt wird, sondern eben vertikal, also sprich …
    Vertikale Bildsprache
    Schwarz: Im Smartphone-Format.
    Baumgarten: Ganz genau, im Smartphone-Format, aufrecht. Und entsprechend hat er eine Bildsprache gefunden, die ganz wunderbar ist und sich eben vertikal aufbaut. Das ist sehr spannend zu sehen. Zum anderen haben wir 360-Grad-Filme da, also die Vorläufer des Virtual Reality.
    Schwarz: Was macht so ein vertikales Format mit einem Film?
    Baumgarten: Es ist interessant. Wir sind es ja nun mal gewohnt, dass wir diese horizontale Sicht haben – vom Kino auch und letztlich vom 16:9-Format im Fernsehen. Damit ist die Bildsprache in unserem Kopf sehr festgelegt, also dass man einen Kuss beispielsweise, der wird halt bildlich eben horizontal erzählt normalerweise. Und wenn man jetzt sich überlegt, dass man hochkant erzählt, muss man diesen Kuss eben auch einfach anders inszenieren, nur als Beispiel. Und so hat er eine wunderbare Bildsprache gefunden, und das macht sehr viel Spaß, es zu sehen, weil es ein bisschen irritiert auf eine nette Art.
    Schwarz: Wie geht es Ihnen, wenn Sie so einen Film sehen? Wir werden ja quasi 24 Stunden am Tag inzwischen mit diesem neuen Format konfrontiert, wenn wir auf unser Telefon, auf unser Smartphone gucken. Glauben Sie, man wird sich daran gewöhnen beziehungsweise das wird langfristig sich auch auswirken auf das Filmemachen?
    "Kino wird Kino bleiben"
    Baumgarten: Ich denke, dass sich auf jeden Fall die verschiedenen Medien gegenseitig ein bisschen befruchten mit künstlerischen Ideen, ich glaube aber nach wie vor überhaupt nicht, dass sozusagen der ganz normale Film auf solchen kleinen Devices wie Handys irgendwie eine Zukunft hat. Kino wird Kino bleiben, davon bin ich überzeugt. Es macht überhaupt keinen Spaß und ich kenne kaum jemanden, dem es wirklich Spaß macht, einen Kinofilm auf dem Handy zu sehen. Deswegen ist es eben interessant zu gucken, was gibt es denn für filmische Ausdrucksformen, die tatsächlich nur auf diesem Handy funktionieren, denn dann wird es auch wieder interessant, wenn die Kunstform Film spezielle Ausdrucksformen für spezielle Medien entwickelt. Das ist das Spannende daran.
    Schwarz: Das andere große Stichwort haben Sie gerade schon aufgegriffen, Virtual Reality, hat so im Bereich der Computerspiele, glaube ich, im vergangenen Jahr seinen großen Durchbruch gehabt. Sitzen die Zuschauer jetzt mit Brillen im Kino?
    Baumgarten: Nein, weil auch da, denke ich, dass 360-Grad-Film oder Virtual Reality nichts ist, was im klassischen Kino in irgendeiner Form wirklich funktionieren kann, sondern wir gehen auch mit diesen beiden Filmen, die wir anbieten, raus aus dem Kino, ebenso mit dem Vertikalfilm übrigens, den zeigen wir im Foyer, und die Virtual-Reality-Projekte auch an einem anderen Ort, einfach weil es Produktionen sind, die für ein anderes Medium hergestellt wurden. Insofern wäre es absurd, sie dann im Kino zu zeigen. Aber auch da, denke ich, dass das Kino profitieren wird von dem neuen räumlichen Erzählen, was durch Virtual Reality passieren wird. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren vielleicht eine neue Inszenierung von Raum erleben werden, auch im Kino, und das ist sehr, sehr spannend.
    Fokus auf Filmgeschichte
    Schwarz: Was ist das für ein Film?
    Baumgarten: Wir haben zum einen ein dokumentarisches Format und ein narratives Format, und das muss man sich halt wirklich vorstellen: Diese 360-Grad-Produktionen leben eben davon, dass man mit dieser Brille einen Raum selber erfahren kann, also man kann selber sich aussuchen, was man denn jetzt in dieser Szene schaut. Beispielsweise gibt es eben einen dokumentarischen Moment in einem dieser Filme, wo wir uns in einem Raum befinden mit einem Protagonisten, und in normalen Dokumentarfilmen würde der Regisseur oder der Schnitt entscheiden, wo ich hinzugucken habe, nämlich auf den Protagonisten. Bei 360 Grad kann ich mich im Raum drehen und kann sagen, ich möchte lieber gucken, wie er dann zum Beispiel wohnt, wie ist er eingerichtet und so weiter. Das ist halt sehr interessant, und da wird noch sehr viel experimentiert in dieser Richtung, wie ich für den Zuschauer dieses neue demokratische Erlebnis lenken kann.
    Schwarz: Sie stellen diesen neuen Formen aber auch einen anderen Bereich der alten, sag ich mal, eher entgegen, Sie zeigen Klassiker aus den vergangenen 37 Jahren des Festivals. Warum eigentlich, gibt es nicht genug an guten neuen Filmen?
    Baumgarten: Doch, gibt es auf jeden Fall, aber ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, ich fand es immer wahnsinnig wichtig, dass man sieht, was auch in früheren Jahren gemacht wurde, wie die Filmgeschichte aufgebaut wurde. Beispielsweise zeigen wir in diesem Jahr den Willi-Busch-Report von Niklaus Schilling, der im letzten Jahr leider verstorben ist. Er hat damals den ersten Max-Ophüls-Preis gewonnen, und das war der erste deutsche Film, der komplett mit einer Steadicam gedreht wurde – heutzutage eine Technik, die so normal ist wie alles andere, damals war das sehr neu. Es ist halt sehr, sehr spannend, sich anzuschauen, wie solche technischen Dinge oder auch Erzählweisen sich entwickelt haben. Ich finde, gerade auch für Regisseure, Leute, die sich damit beschäftigen, mit dem Film, ist es unglaublich wichtig, die Filmgeschichte zu kennen. Deswegen machen wir das.
    Wo endet unsere Komfortzone?
    Schwarz: Das Festival pflegt ja auch den Kontakt zu bereits bekannten Gesichtern, Jakob Preuss etwa ist mir aufgefallen in der Übersicht. Das ist ja einer, der hat 2011 schon mal den Preis gewonnen für seinen Dokumentarfilm "The other Chelsea". Was bringt er denn diesmal mit?
    Baumgarten: Sein neuer Film heißt "Als Paul über das Meer kam", und es ist ein sehr, sehr interessanter und spannender Beitrag zur Migrations- und Flüchtlingsdebatte, weil es gelingt ihm, Paul, seinen Protagonisten, letztlich von seiner Flucht aus Afrika bis hin nach Berlin streckenweise zu begleiten. Und das Interessante an dem Film ist, dass er natürlich eine persönliche Beziehung aufbaut und er immer wieder an Punkte kommt, der Regisseur, also der Jakob … an Punkte kommt, wo er entscheiden muss, muss ich ihm jetzt nicht eigentlich helfen, wie weit geht eigentlich meine Verantwortung ihm gegenüber, dass ich diesen Film drehe. Dieser Rückbezug auf das Private, auf uns, die wir Entscheidungen treffen, die wir ihm Wohlstand leben und jetzt eben auf die Flüchtlinge treffen, das ist ein Punkt, der in vielen Filmen in diesem Jahr thematisiert wird, also wo endet unsere Komfortzone, wie weit gehen wir wirklich, um für unsere Überzeugungen einzustehen. Und das ist ein sehr schönes Beispiel dafür.
    Schwarz: Flucht und Migration als Schwerpunktthemen, aber es gibt ja dann auf der anderen Seite auch als Schwerpunkt so eine Art innere Einkehr – Familie, Freiheit, Selbstverwirklichung. Warum diese Antipoden?
    Baumgarten: Ja, ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass unsere Welt so sehr komplex geworden ist – ich meine, das ist ja nicht seit gestern, aber in den letzten Jahren. Ich glaube einfach, dass die Generation, die jetzt Filme macht, konfrontiert ist mit einer Welt, die theoretisch alle Möglichkeiten eröffnet, aber andererseits dadurch eben auch dazu führt, dass jede Entscheidung, die ich treffe, noch mal wichtiger ist, weil es so viele Möglichkeiten gibt. Und diese daraus resultierende Problematik, mein Zentrum im Leben, mein Ziel zu finden, drückt sich immer wieder in diesen Filmen aus. Es scheint einfach ein Thema zu sein, das sehr dringlich ist, das sieht man sehr deutlich.
    Schwarz: Oliver Baumgarten, Sie kennen das Max-Ophüls-Festival seit vielen Jahren von innen heraus, Sie kennen andere Festivals – was macht das spezielle Flair in Saarbrücken aus?
    Baumgarten: Das hat sehr viel damit zu tun, dass wir tatsächlich versuchen, zum einen ein sehr familiäres Umfeld zu erzeugen. Wir wollen, dass wirklich diese jungen Filmemacher hier eine Testbühne haben für ihre Ideen, für ihre Konzepte, auch von ihrem Auftritt. Wir schaffen eine Atmosphäre, in der die jungen Filmemacher auf erfahrene alte Hasen sozusagen aus der Branche und dem Publikum treffen. Da haben wir abends immer einen Festivalclub, an dem sich alle treffen, und da wird sehr viel auf einer sehr privaten Ebene ausgetauscht, und das ist, glaube ich, einer der großen Vorteile hier.
    Schwarz: Oliver Baumgarten, Programmleiter des Max-Ophüls-Festivals, das heute in Saarbrücken beginnt und bis zum 29. Januar in mehreren Kinos und im E-Werk Saarbrücken stattfindet. Danke Ihnen, Herr Baumgarten, und viel Erfolg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.