Lennart Pyritz: Mobbing, Diskriminierung, sexuelle Belästigung – im vergangenen Jahr sorgten Berichte über die Drangsalierung von Mitarbeitenden an zwei Max-Planck-Instituten für Aufsehen. In der Folge wurden die Strukturen am betroffenen MPI für Astrophysik in Garching überarbeitet. Am MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig räumte die beschuldigte Direktorin ihren Posten.
Um das Ausmaß der Probleme zu prüfen, beauftragte die Max-Planck-Gesellschaft das Fraunhofer-Institut für Arbeitsorganisation mit einer Umfrage zur Arbeitskultur und Arbeitsatmosphäre, an der mehr als 9.000 Mitarbeitende und damit knapp 40 Prozent der MPG teilgenommen haben.
Über die Ergebnisse habe ich vor der Sendung mit Martin Stratmann gesprochen. Er ist Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und wurde in dieser Funktion gerade für eine weitere Amtszeit bestätigt. Ich habe ihn zuerst gefragt, warum er die Umfrage in Auftrag gegeben hat?
Martin Stratmann: Ja, die Max-Planck-Gesellschaft hatte im vergangenen Jahr einige Problemfälle, die auch in der Öffentlichkeit diskutiert worden sind, und wir wollten wissen, wie die Verfasstheit der Max-Planck-Gesellschaft tatsächlich ist, ob wir ein grundsätzliches Problem haben im Mitarbeiterbereich, ob das Einzelfälle sind.
Wir wollten auch eine Basis haben für zukünftige Entscheidungen und haben uns deswegen entschlossen, eine gewaltige Umfrage unter allen Mitarbeitern der Max-Planck-Gesellschaft durchzuführen, das heißt, nicht nur wissenschaftliche Mitarbeiter, sondern auch die nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter, Verwaltungsangestellte, technische Angestellte und so weiter.
Integration, Geschlechtergerechtigkeit, Meldewege bei Fehlverhalten
Pyritz: In dieser Umfrage wurden ja verschiedene Aspekte zur Arbeitskultur und Arbeitsatmosphäre abgefragt. Welche Ergebnisse haben Sie dabei besonders erschreckt oder nachdenklich gemacht?
Stratmann: Wenn Sie mich auf die problematischen Bereiche ansprechen, dann, würde ich sagen, sind es eigentlich drei Bereiche, an denen wir besonders werden arbeiten müssen. Das ist zum einen die Integration der ausländischen Mitarbeiter – die Max-Planck-Gesellschaft ist die Forschungsorganisation in Deutschland, die die weitaus meiste Zahl von ausländischen Mitarbeitern in ihren Reihen hat und wir haben festgestellt, dass deren Integration doch deutlich verbesserungsfähig ist.
Zum Zweiten die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen – viele Frauen fühlen sich in der Max-Planck-Gesellschaft bis hinauf in die Führungsriege ungleich behandelt, auch daran werden wir arbeiten müssen.
Und das Dritte sind die Reporting-Wege. Das ist, glaube ich, etwas, was sich durch die gesamte Wissenschaftslandschaft hindurchzieht, das ist nicht typisch für Max-Planck, dass Mitarbeiter, die sich gemobbt fühlen oder die auch sexual harrassment erfahren haben, sich doch schwertun, zu melden, dem Meldeweg nicht wirklich trauen. Und daran müssen wir auch arbeiten, vertrauenswürdige Meldewege den Mitarbeitern anzubieten und natürlich auch Verfahrenswege dann zu haben, wie wir mit Führungsfehlverhalten umgehen im Einzelfall.
Pyritz: Lassen Sie uns später noch mal auf die geplanten oder schon umgesetzten Gegenmaßnahmen zu sprechen kommen. Wir haben jetzt über die negativen problematischen Ergebnisse dieser Umfrage gesprochen. Was waren denn positive Erkenntnisse der Mitarbeitenden-Befragung?
Stratmann: Ja, was außerordentlich positiv für mich war und ich glaube, für alle Mitarbeiter der Max-Planck-Gesellschaft: Es gibt eine enorme Kollegialität in der Max-Planck-Gesellschaft, die Gruppenatmosphäre wird sehr positiv gesehen. Also die Mitarbeiter stehen zur Max-Planck-Gesellschaft, das sind Zahlen von 80, 90 und zum Teil über 90 Prozent, und bei den vielen Antworten, die wir erhalten haben, ja fast 10.000 Fragebögen wurden ja ausgefüllt, ist das doch sehr positiv zu sehen, dass insgesamt die Max-Planck-Gesellschaft gut aufgestellt ist und dass die Mitarbeiter zu ihr stehen.
Missbrauch vorwiegend unter Gleichrangigen
Wir haben auch diese Umfrage ja nicht selber durchgeführt, sondern sie wurde durchgeführt von dem Fraunhofer-Institut for Responsible Research, und die Aussagen der Frau Professor Schraudner, die diese Umfrage durchgeführt hat, sagen auch, dass die Mobbingfälle in der Max-Planck-Gesellschaft durchschnittlich sind, die Fälle mit sexueller Belästigung unterdurchschnittlich. Das darf auf gar keinen Fall beruhigen, aber das zeigt auch, dass wir kein spezifisches Problem in der Max-Planck-Gesellschaft haben.
Pyritz: Da würde ich die Zahlen noch mal kurz zu nennen. Also laut der Umfrage an der Max-Planck-Gesellschaft sind in den letzten zwölf Monaten oder haben laut Umfrage rund zehn Prozent der Befragten Erfahrung mit Mobbing am Arbeitsplatz gemacht, etwa acht Prozent der jungen Frauen bis 29 Jahre und etwa zehn Prozent der Frauen zwischen 30 und Mitte 40 fühlen sich am Arbeitsplatz sexuell belästigt oder diskriminiert. Sind das problematische Einzelfälle oder steckt da ein systematisches Problem dahinter? Sie haben gesagt, dass diese Zahlen im Prinzip in dem Rahmen liegen, in dem sie auch schon bei anderen Instituten in Erfahrung gebracht wurden.
Stratmann: Ja, ich sagte es ja, es darf uns auf gar keinen Fall beruhigen. Wenn ich das so gesagt habe, heißt das nicht, dass wir uns damit zufriedengeben. Ich glaube nicht, dass es Einzelfälle sind. Ich glaube, dass – und das wird eine nähere Auswertung der nächsten Monate auch noch mal zeigen müssen –, dass wir es mit einem vielschichtigen Problem zu tun haben. Zunächst mal ist das im überwiegenden Fall der Fälle kein Missbrauchsverhältnis eines Vorgesetzten gegenüber einer Untergebenen, die überwiegende Zahl der Fälle findet innerhalb einer Hierarchieebene statt, also innerhalb der Doktoranden, innerhalb der Post Docs und so weiter. Das heißt, wir müssen sehr viel mehr Awareness schaffen für diese Fälle und wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass wir sehr unterschiedliche kulturelle Hintergründe bei unseren Mitarbeiterinnen haben, die kommen aus Asien, die kommen aus Europa, die kommen aus Südeuropa, aus Südamerika, aus Deutschland, und ich glaube, der Umgang, auch der zwischenmenschliche Umgang wird in verschiedenen Kulturkreisen ganz verschieden gesehen, und das muss auch berücksichtigt werden. Ich denke, da werden wir sehr viel Aufklärungsarbeit auch in Zukunft leisten müssen.
Mitarbeiter schulen, Beschwerdeweg über externe Kanzlei
Pyritz: Wir haben das Thema Gegenmaßnahmen vorhin schon einmal gestreift. Wenn wir da jetzt noch mal konkreter drauf blicken: Was sind konkrete Schritte, die Sie jetzt umsetzen oder schon umgesetzt haben, um zumindest solche krassen Fälle wie an den Max-Planck-Instituten in Garching und in Leipzig zu verhindern, aber eben auch so vielleicht niederschwelligere Fälle?
Stratmann: Ja, ich glaube, es gibt im Grunde genommen drei große Bereiche, die wir in Zukunft werden angehen müssen, zunächst mal Vorbeugung. Vorbeugung heißt für mich, dass wir bei der Personalauswahl noch kritischer auf die Führungsfähigkeit in Zukunft sehen werden, zum Zweiten bedeutet Vorbeugung auch, dass wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schulen müssen, also was bedeutet Mobbing tatsächlich? Das ist ein Begriff, der nicht jedem klar umrissen ist. Sexuelle Belästigung ist, glaube ich, ein eindeutiger Fall, Mobbing ist ein etwas schwieriger, umfassender Begriff, und da müssen wir aufklären.
Das Zweite ist: Wir müssen Beschwerdewege anbieten, bei denen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eindeutig äußern können. Wir haben das bereits gemacht, indem wir eine Kanzlei ausgewählt haben, die für die gesamte Max-Planck-Gesellschaft Beschwerden entgegennimmt. Wir verlangen zwar, dass sich jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter der Kanzlei gegenüber auch persönlich äußert, also wir nehmen keine rein anonymen Beschwerden entgegen, aber jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin kann darüber entscheiden, wie mit der Beschwerde umzugehen ist. Das heißt, ob sie namentlich weitergegeben wird, ob sie anonym weitergegeben wird, ob sie gar nicht weitergegeben wird, darüber kann jeder Mitarbeiter entscheiden.
Das Dritte ist: Wir werden uns dann mit einem Verfahrensweg noch in diesem Jahr befassen, wie gehen wir mit nicht-wissenschaftlichem Führungsfehlverhalten um? Wir haben in der Max-Planck-Gesellschaft eine lange Erfahrung mit dem Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten, und wir wollen ein vergleichbares Verfahren auch etablieren im Umgang mit nicht-wissenschaftlichem Fehlverhalten, und ich denke, auch da werden wir bis zum Ende dieses Jahres mit einer klaren Struktur aufwarten, die wir dann auch verbindlich einführen werden.
Abhängigkeitsverhältnissen vorbeugen
Pyritz: Wir haben hier in "Forschung aktuell" nach den Vorkommnissen im Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching ein Interview mit Jana Lasser vom Promovierenden-Netzwerk der Max-Planck-Gesellschaft geführt und sie hat darin grundsätzliche Strukturen für die Probleme mitverantwortlich gemacht, zum Beispiel, dass Doktorandinnen, Doktoranden doch sehr stark von Doktormutter oder Doktorvater abhängig sind und auch Ombudspersonen oftmals doch Abhängigkeiten in den einzelnen Instituten haben. Teilen Sie diese Bedenken und wenn ja, wie könnte man dann dagegen vorgehen?
Stratmann: Die Ombudspersonen sind Mitarbeiter eines Max-Plack-Instituts, die sind eigentlich unabhängig und die sind tatsächlich auch unabhängig, die werden auch so ausgesucht, dass sie unabhängige Persönlichkeiten darstellen, aber wenn ein Doktorand oder eine Doktorandin das Gefühl hat, dass die Ombudsperson eben doch, sagen wir mal, zu sehr in dem Institut verwurzelt ist, dann hat sie heute die Möglichkeit, sich über diesen Beschwerdeweg, den ich eben genannt habe, über diese Kanzlei auch tatsächlich zu beschweren.
Wir haben zum Zweiten sogenannte Thesis Advisory Committees in einem großen Bereich der Max-Planck-Gesellschaft eingeführt, wir überlegen, ob wir das obligatorisch machen für alle Doktorandenbetreuungen. Thesis Advisory Committees bedeuten, dass neben dem eigentlichen Doktorvater es immer noch andere Personen gibt, die auch für die Betreuung dieser Doktorarbeit zuständig sind, und das hat sich auch in den Umfragen als sehr positiv in der Tat herausgestellt.
Das sind zwei ganz wesentliche Punkte, die, glaube ich, dazu führen, dass Abhängigkeitsverhältnisse auch von Doktoranden und Doktorandinnen etwas geschmälert werden von einzelnen Personen, und das ist mir auch ganz wichtig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.