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Max Stadler: Streit um Sicherungsverwahrung "völlig unnötig"

In der Debatte um die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung hat der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Max Stadler, die Kritik der Länder zurückgewiesen. Es bestehe kein Grund zur Sorge, dass der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Zeitplan nicht eingehalten werden könne, sagte der FDP-Politiker.

Max Stadler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 17.08.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich jetzt Max Stadler von der FDP, er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Schönen guten Morgen, Herr Stadler!

    Max Stadler: Guten Morgen!

    Heckmann: Die Vorsitzende der Justizministerkonferenz Sachsen-Anhalts, Ressortchefin Angela Kolb, äußerte ja massive Kritik an der Tatsache, dass Ihr Haus immer noch kein Gesamtkonzept zur Sicherungsverwahrung vorgelegt habe. Spätestens gestern hätte das Konzept auf den Tisch gehört und, so wörtlich weiter, es sei unverantwortlich, dass der Bund auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung so viel Zeit verstreichen lässt. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf.

    Stadler: Diese Kritik ist mir völlig unverständlich und lässt auch ein wenig den Verdacht aufkommen, dass dort manche Sprecher aus den Ländern von eigenen Versäumnissen in der Vergangenheit ablenken wollen, denn Tatsache ist doch Folgendes: Wir haben als CDU/CSU/FDP-Koalition mit Zustimmung übrigens der SPD zum 1. Januar 2011 eine Reform der Sicherungsverwahrung in Gang gesetzt, die vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet worden ist, wohl aber haben die Karlsruher Richter am 4. Mai 2011 die Form des Vollzugs der Sicherungsverwahrung - wofür übrigens die Länder zuständig sind - nicht mehr als verfassungsgemäß angesehen, und unser Haus, das Bundesministerium der Justiz, hat umgehend dafür Eckpunkte vorgelegt, wie künftig der Vollzug stattfinden soll, denn er muss sich unterscheiden vom Strafvollzug. Im Strafvollzug geht es darum, dass jemand für seine Taten Strafe zu verbüßen hat, bei der Sicherungsverwahrung geht es darum, dass jemand die Strafe schon verbüßt hat, aber wegen fortbestehender Gefährlichkeit nicht in Freiheit entlassen werden darf.

    Heckmann: Aber ein Gesamtkonzept, Herr Stadler, liegt immer noch nicht vor, und das kritisieren die Länder ja.

    Stadler: Das bestreite ich, denn es ist genau umgekehrt: Der Kernpunkt der Karlsruher Entscheidung, weswegen der Gesetzgeber jetzt tätig werden muss, besteht ja darin, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung verändert werden muss. Dafür haben wir umgehend nach dem Urteil Eckpunkte vorgelegt, und wir sind aber in der Situation, dass hier Bund und Länder gemeinsam handeln müssen, denn die Zuständigkeit für den Vollzug liegt bei den Ländern. Karlsruhe hat aber gesagt: Der Bund muss die Grundzüge regeln. Deswegen machen wir das gemeinsam. Wir haben umgehend die Staatssekretäre der Länder zu einer Konferenz eingeladen. Es gab Treffen auf Arbeitsebene, und wir haben gestern über diese Eckpunkte zur Ausgestaltung des Vollzugs intensiv diskutiert, sind uns auch nahezu einig und haben eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, die bis zur September-Justizministerkonferenz Gesetzestexte gemeinsam zwischen Bundesministerium der Justiz und den Länderjustizministerien verabreden wird. Da sind wir auf einem guten Weg.

    Heckmann: Pardon, Herr Stadler, wir haben ja auch die Kritik von Herrn Kleindiek gehört von der SPD, Hamburgs Justizstaatssekretär, er kritisiert ja, dass nach Ihren Vorlagen Betroffene freigelassen werden sollen, sollte es keine adäquaten Therapieansätze geben. Das heißt als Konsequenz: Sicherungsverwahrte könnten sich theoretisch jeder Therapie entziehen und damit ihre Freilassung erwirken. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

    Stadler: Ich bin für diese Frage sehr dankbar, denn da ist in der Öffentlichkeit ein völlig falscher Eindruck geweckt worden. Tatsache ist Folgendes: Das Bundesverfassungsgericht hat vorgegeben, dass Therapieangebote gemacht werden müssen. Und ich möchte darauf hinweisen: Wir müssen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllen, denn nur dann können wir überhaupt das Institut Sicherungsverwahrung aufrecht erhalten, und wir als Bundesministerium der Justiz sind der Meinung, dass wir für manche Fälle die Sicherungsverwahrung weiterhin brauchen. Und nun wird es so sein, dass derjenige, der sich einem Therapieangebot verweigert, keineswegs dann in Freiheit kommt. Das wäre ja eine völlig unsinnige Folge. Wohl aber werden wir Verfahrensregeln vereinbaren mit den Ländern, dass im Laufe des Strafvollzugs bereits - aber auch des Vollzugs von Sicherungsverwahrung - immer wieder auch gerichtlich festgestellt wird, ob die Therapieangebote ausreichen, sodass es eben nicht zu der von Herrn Kleindiek geschilderten befürchteten Folge kommen wird.

    Heckmann: Wie kommt denn Herr Kleindiek zu dieser Kritik, hat er da was falsch verstanden?

    Stadler: Es gab die Befürchtung, dass erstmals am Ende von Strafhaft, wenn zu entscheiden ist, ob der Verurteilte in Sicherungsverwahrung überführt wird, erstmals gerichtlich darüber befunden wird, ob die bisherigen Therapieangebote, wie sie das Bundesverfassungsgericht ja verlangt, ausreichend waren. Das wollen wir aber gerade anders regeln: Wir wollen, dass schon vorweg entschieden wird. Darüber haben wir gestern gesprochen, und da geht es jetzt nur noch um Formulierungen, die werden wir mit Sicherheit bis zur Sonderjustizministerkonferenz am 22. September vorlegen.

    Heckmann: Also sind Sie optimistisch, dass Sie Ihren Zeitplan da einhalten können.

    Stadler: Ja, selbstverständlich. Auch die Befürchtungen, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Übergangsregelung von zwei Jahren festgelegt hat, wir könnten nicht rechtzeitig mit der Gesetzgebung fertig werden - jetzt, nachdem gerade einmal drei Monate seit Urteilserlass vergangen sind -, diese Befürchtungen sind unbegründet. Wir arbeiten ja intensiv daran und haben mehrfach Gespräche mit den Ländern geführt, um gemeinsam etwas auf die Reihe zu bringen. Ich muss wirklich sagen: Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass hier von manchen Ländern ein politischer Streit völlig unnötig vom Zaun gebrochen wird bei einer Sachfrage, bei der es klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gibt, die wir jetzt eins zu eins umsetzen.

    Heckmann: Die Sie jetzt eins zu eins umsetzen wollen. Das Verfassungsgericht hat allerdings die Sicherungsverwahrung nur bei schweren Gewalt- und Sexualstraftaten zugelassen, in seinem Urteil. Ihr Katalog der Straftaten, wo eben diese Sicherungsverwahrung möglich sein soll, geht aber darüber hinaus, da ist auch von Brandstiftung die Rede, von Raub und Erpressung. Haben Sie vor, in Karlsruhe demnächst die nächste Niederlage zu kassieren?

    Stadler: Wir haben, wie ich schon erwähnt habe, zum 1. Januar 2011 eine Reform der bisher wirklich unzureichend und stückwerkhaft geregelten Sicherungsverwahrung in Kraft gesetzt. Dabei ist über den Straftatenkatalog intensiv beraten worden, in der Koalition, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Sicherungsverwahrung Ultima Ratio sein muss, also das letzte Mittel, das schärfste Schwert im Strafrecht. Es bedeutet nämlich möglicherweise ein Freiheitsentzug auf Lebenszeit.

    Heckmann: Aber auch bei Straftaten wie zum Beispiel Brandstiftung, Raub, Erpressung, obwohl die Richter in Karlsruhe das eigentlich nicht zulassen?

    Stadler: Da haben wir den Straftatenkatalog bereits reduziert, das ist jetzt vom Karlsruher Urteil nicht unmittelbar betroffen, war dort nicht Gegenstand. Wir wollen hier keine neuen Vorschläge machen, weil wir den Straftatenkatalog ohnehin zum 1. Januar schon reduziert haben.

    Heckmann: Reduziert haben, aber der Katalog geht über das, was die Karlsruher Richter gesagt haben, hinaus.

    Stadler: Aber die Karlsruher Richter haben dies nicht als Gegenstand ihres Urteils gehabt, sondern haben mit ihren Beispielen dargelegt, dass Sicherheitsverwahrung Ultima Ratio sein muss, und wir fühlen uns im Gegenteil gerade mit unserer Reform bestätigt, weil wir damals auch die in der Praxis sich nicht bewährt haben, die nachträgliche Sicherungsverwahrung abgeschafft haben, weil wir durch Reduzierung des Straftatenkatalogs den Ultima-Ratio-Charakter betont haben.

    Heckmann: Das heißt, das, was die Richter als Beispiele genannt haben, Herr Stadler, das war eigentlich gar nicht so verbindlich?

    Stadler: Das war in diesem Fall ein sogenanntes Obiter Dictum, das heißt, unsere Reform vom 1. Januar war nicht Gegenstand der Karlsruher Urteilsfindung, sondern es ging vor allem um den unzureichenden Vollzug der Sicherungsverwahrung, der deswegen beanstandet worden ist, weil er sich zu wenig von Strafhaft unterschieden hat. Und diese Vorgaben von Karlsruhe greifen wir selbstverständlich auf. Im Gegenteil, wir sind kritisiert worden von manchen wirklich unkundigen Innenpolitikern auch und Länderinnenministern, dass wir hier eine Art Wohlfühlvollzug jetzt installieren wollen.

    Heckmann: Das hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU gesagt.

    Stadler: Sie sagen es zu Recht. Tatsache ist: Wer die Sicherungsverwahrung aufrecht erhalten will - und das wollen wir -, muss zum Vollzug die Karlsruher Vorgaben erfüllen, und genau dies tun wir jetzt, und damit leisten wir einen Beitrag für mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, denn sonst wäre das Institut in Karlsruhe bei der nächsten Gelegenheit überhaupt nicht mehr haltbar.

    Heckmann: Bei der sogenannten Sicherungsverwahrung gibt es weiter Differenzen, kann man sagen, zwischen Bund und Ländern, hier live beim Deutschlandfunk war das Max Stadler von der FDP, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Herr Stadler, danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag!

    Stadler: Danke!

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