Wenn Jürgen Kaube den Protagonisten seines Buches charakterisiert, klingt das so:
"Ein Bürger, der das Bürgertum selber, die Herkunft, seine eigene Schicht als Problem empfindet, als eine historische Chance, die aber vielleicht schon vertan ist. Die Herrschaftschance des Bürgertums und darum eigentlich sehr viele seiner Motive kreisen."
Kaube, Ressortleiter Gesellschaftswissenschaften und Sachbuchredakteur bei der FAZ, begibt sich inmitten des Medienhypes um die Wirren der vorletzten Jahrhundertwende und des Ersten Weltkriegs auf die Spur eines geheimnisvoll gebliebenen Lebens.
"Max Weber, das Mitglied der bürgerlichen Klassen, wird in der kurzen Zeit von 56 Jahren ein Leben durchlaufen, in dem die meisten der Gewissheiten, von denen diese Klassen bestimmt waren, unter dem Druck des sozialen Wandels zersprangen und dann in der Hitze eines Weltkrieges vollends verdampften. Überaus selten aber, dass ein solcher "Abstieg" sich mit der Erarbeitung eines unfassbar variantenreichen, thesenstarken, enzyklopädischen Werkes verbindet."
Kaube zeichnet nach, wie Weber Aufstieg und Abstieg erlebte, als Professor für Nationalökonomie in Freiburg 1894 und Heidelberg 1897, ehe er sein Lehramt 1903 aufgeben musste. Erst 1919 kehrte er mitten in den Wirren der Räterepublik nach München ins akademische Leben zurück. Max Weber litt an der für die damalige Zeit typischen "Nervenkrankheit". In Heidelberg ereilt ihn, was wir heute Burn-out-Syndrom nennen würden:
"Nun gerät er in eine Nervenkrise. Und er wird eigentlich in eine wilde Welt hineingezogen, eine Welt der Ideologien, wo sich revolutionäre Kräfte melden, wo die Avantgarden auf einmal eine Rolle spielen. Es gibt einen ungeheuren Willen, das, was sich jetzt an sozialem Wandel zuträgt und auch an kulturellem Wandel, das irgendwie zu verstehen und irgendwie in eine Theorie der Gesellschaft einzubauen."
Im Zentrum dieser Theorie steht die später soziologische Berühmtheit erlangende These, dass protestantische Religiosität gut sei für die Arbeitsdisziplin. Und bescheidene Lebensführung zu kapitalistischem Wohlstand führe. Titel: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Wie aber gelang es dem "herbeikonstruierten" Puritanismus, den Kapitalismus mit anzuschieben, fragt Jürgen Kaube:
"Weber suchte eine Mentalität, würde man vielleicht heute sagen, für den Kapitalismus. Er sagt, es reicht nicht einfach aus, dass es technische Strukturen gibt oder ökonomische Interessen. Es braucht auch einen Berufsgeist. Das findet man bei den Puritanern, bei Leuten, die aus einer gewissen Heilsungewissheit heraus die Energie fanden, sich im Alltag bewähren zu können. Das ist das große Weber-Paradox, dass er im Grunde genommen sagt, Leute, die der Welt abhold waren, wenden sich ihr zu in dieser Art strengen, leistungsorientierten, keinen Spaß verstehenden, sich nichts erlaubenden Art der Lebensführung."
Damit war der Kapitalismus nicht nur ein Schicksal, weil die Produktionsverhältnisse oder eine Geschichtsphilosophie dies so vorgesehen haben.
"Weber trennt auf diese Weise Organisationsform und Geist des Kapitalismus und schickt die Marxisten samt ihrer Vorstellung, der Geist folge der Produktion, mit einem Handstreich nach Hause",
schreibt Jürgen Kaube angetan. Dennoch kommen ihm Zweifel:
"Sind das jetzt Protestanten, die zu Kapitalisten geworden sind, oder sind das Kapitalisten, die zu Protestanten geworden sind. Diese Frage, was schiebt da was an, ist eine Frage, die Weber letztlich mit seiner Methode nicht klären kann."
Neben seinen Kapitalismus-Studien beschäftigt sich der 1864 geborene Nationalökonom mit dem Themenkomplex politische Herrschaft, Bürokratie und Rationalisierung. So sehr Weber deren Notwendigkeit und Chancen begründet, er räsoniert immer auch darüber, was diesen entgegenzusetzen sei.
"Was er preist in seinem Werk, verachtet er auch und gleichzeitig erschrickt Weber davor. Wenn die Welt nur noch aus solchen Maschinen besteht, wo bleibt da die Freiheit, menschliche Aspekte. Wo bleibt der Zufall, die Öffnung? Wer beherrscht die Maschinen?"
Jürgen Kaube schildert eindrucksvoll, wie Weber mit dem Projekt scheitert, dem Bürgertum wirkungsvoll aufzuzeigen, dass es eigentlich zu einer politischen Kraft werden könnte. Aber es ist dazu nicht in der Lage:
"Er merkt, dass die Unterscheidung Bürgertum - Adel gar nicht mehr greift, dass seine eigene Schicht gar nicht mehr gefragt wird, dass er selbst gar nicht mehr gefragt wird."
Jürgen Kaubes Methode ist es, das zerrissene Leben Max Webers in den Brüchen der Epoche widerspiegeln zu lassen. Dabei nähert sich der Autor seinem Protagonisten über das Thema Lebensführung, seinem komplizierten Beziehungsgeflecht, den erotischen Problemen - wie seinen Rivalitäten mit Antipoden wie Simmel, Sombart oder seinem Bruder Alfred.
"Das Schicksal Webers war es, dass sich alle auf ihn berufen haben und auch alle gegensätzlichen Positionen. Er ist dann ausgeschlachtet worden, sozusagen."
Gefragt ist Max Weber heute zumeist in Gemeinplätzen und Kalauern von Politikern, wenn die Politik als das "Bohren dicker Bretter" mit "Augenmaß und Leidenschaft" beschrieben wird.
"Wenn man sein Leben sich anschaut oder die Verwobenheit seines Werkes mit dem Leben, dann kann man nicht auf die Idee kommen, ihn für eine bundesrepublikanische Normalvorstellung von Politik zu mobilisieren."
In Jürgen Kaubes glänzend geschriebener Biografie ist Max Weber mehr als nur der Schöpfer eines soziologischen Gründungsprojektes oder der namhafte Repräsentant einer nervösen Zeit. Dabei gelingt es dem Autor, mit der stärkeren Akzentuierung der politischen Stoßrichtung des Werkes noch einen Bogen zum aktuellen Weltkriegsdiskurs zu schlagen.
Buchinfos:
Jürgen Kaube: "Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen",
Rowohlt Berlin, 496 Seiten, 26,95 Euro.
Jürgen Kaube: "Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen",
Rowohlt Berlin, 496 Seiten, 26,95 Euro.