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Mazedonien
"Alle Institutionen sind von der Regierung unterwandert"

Eine Expertengruppe der EU-Kommission wirft der mazedonischen Regierung Wahlbetrug, Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung vor. Regierungschef Nikola Gruevski will aber nicht zurückzutreten, er will die Krise offenbar bis zur Neuwahl im April 2016 aussitzen. Das bringt die Bürger auf die Barrikaden. Sie demonstrieren in Mazedoniens Hauptstadt Skopje gegen mafiöse Strukturen.

Von Leila Knüppel | 30.06.2015
    "Tritt zurück, tritt zurück", rufen fast tausend Demonstranten. Sie haben sich vor dem Haus von Regierungschef Nikola Gruevski versammelt. Schlagen mit Löffeln auf Töpfe, blasen in Trillerpfeifen, schwenken albanische und mazedonische Flaggen.
    Demonstrant:
    "Wir können es schaffen, dass Gruevski zurücktritt. Aber er besitzt mittlerweile so viel Macht wie ein Diktator. Es ist schwer. Aber das ist unsere letzte Chance, die Demokratie wieder nach Mazedonien zurückzubringen."
    Viele der Demonstranten sind seit Monaten bei den Protesten in den Straßen von Skopje dabei, kampieren vor dem Regierungssitz. Dort möchten sie so lange ausharren, bis die rechtsnationale Regierung zurücktritt, die mittlerweile neun Jahre an der Macht ist.
    Demonstrantin:
    "Alle Institutionen sind mittlerweile von der Regierung unterwandert. Wir haben keine unabhängige Rechtsprechung mehr."
    Demonstrant:
    "Sie missbrauchen ihre Macht, um die Wahlen zu fälschen. Wähler werden erschreckt, um für sie zu stimmen. Andere werden bezahlt. So gewinnen sie Wahlen."
    Die wenigsten der Demonstranten gehören einer Partei oder Organisation an – die Empörung hat sie auf die Straße getrieben – wie Tomislav Kezarovski. Einer der wenigen unabhängigen Journalisten im Land – und mittlerweile so etwas wie eine Leitfigur der Protestbewegung.
    Über ein halbes Jahr habe er im Gefängnis gesessen, erzählt er, nur weil er den Namen eines Informanten für einen seiner Artikel nicht preisgeben wollte.
    Petre Shilegov ist Pressesprecher der größten Oppositionspartei, der sozialdemokratischen SDSM.
    Mit Unterstützung der EU verhandelt sie zurzeit mit der Regierung. Im April kommenden Jahres soll es Neuwahlen in Mazedonien geben. Doch wie es bis dahin in den Zwei-Millionen-Einwohner-Land weitergehen soll, darüber gibt es nach wie vor keine Einigung, sagt Shilegov.
    Peter Shilegov
    "Aus unserer Sicht gibt es nur eine Möglichkeit, die Staatskrise zu beenden: Eine Übergangsregierung aus Experten muss die Neuwahlen vorbereiten. Denn auch ein EU-Expertenbericht bestätigt mittlerweile, dass alle Institutionen politisch unterwandert wurden – und nicht mehr handlungsfähig sind. Sie müssen wieder unabhängig werden. Die illegalen Machenschaften der Regierung müssen ein Ende finden.
    Vor Monaten hat Shilegovs Partei damit begonnen, heimlich mitgeschnittene Telefonate verschiedenster Regierungsmitglieder zu veröffentlichen. Sogenannte Bomben.
    In manchen unterhalten sich Minister über gefälschte Personalausweise und Wahlkarten, um die Wahlen zu manipulieren. In anderen vereinbaren sie Bestechungsgelder und Wahlgeschenke: ein paar Packungen Mehl für das richtige Kreuzchen auf dem Wahlzettel.
    Mehr als 600.000 illegale Mitschnitte soll es insgesamt geben. Ursprünglich angefertigt vom mazedonischen Geheimdienst im Auftrag der Regierung – sagt Shilegov.
    Shilegov:
    "Es gibt keine Zweifel, die Aufnahmen stammen vom mazedonischen Geheimdienst. Whistelblower haben dann gesagt, so wird das Land in den Abgrund gerissen – und haben ihre patriotische Pflicht erfüllt."
    Regierungschef Gruevski hat die Vorwürfe bestritten. Es gebe keine Korruption auf höchster Regierungsebene. Die Audioaufzeichnungen seien geschnitten worden, um die Realität zu verzerren.
    Doch mittlerweile hat eine EU-Expertengruppe das Material für glaubwürdig erklärt. Die Regierung habe den Geheimdienst dazu missbraucht, Spitzenbeamte in der öffentlichen Verwaltung, Staatsanwälte, Richter und politische Gegner zu kontrollieren – heißt es in dem EU-Bericht.
    Nun droht die Europäische Union, Mazedonien den Status als Beitrittskandidat abzuerkennen, sollte die Krise bis Herbst nicht beendet sein, sagt Shilegov.
    Shilegov:
    "Aber das ist nicht unser Fehler. Wir fordern bei den Verhandlungen nur, dass wir die gleiche demokratischen Standards erhalten, wie jedes andere Land in der EU. Denn wir möchten Mitglied werden. Aber offensichtlich erfüllt die Regierung Gruevski diese Standards nicht."
    Solange sich das nicht ändert, wird er weiter auf die Straße gehen.