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Mazedonien nach dem Machtwechsel (5/5)
Kunst ist politisch

Proteste gegen die Regierung gab es in Mazedonien nicht nur auf der Straße, sondern auch in der Kunst: Die einen haben Themen wie Korruption und Geldgier musikalisch verarbeitet, die anderen haben sich an der neuen Architektur abgearbeitet. Eine Art Aufbruch ist seit dem Regierungswechsel im Mai aber nur zögerlich zu spüren.

Von Leila Knüppel |
    Sängerin auf der Bühne in Skopje während der Musikperformance "Pogan Pagan"
    Die Musikperformance „Pogan Pagan“ von Srgjan Janacijevic zeichnet ein düsteres Bild von der Regierungszeit der Gruevski-Regierung in Mazedonien (Deutschlandradio/ Leila Knüppel)
    Srgjan Janacijevic zündet sich eine Zigarette an. Groß, hager, schwarz gekleidet, etwas nervös. So steht er vor dem Eingang des Jugendkulturzentrums von Skopje.
    "Ich habe Angst, was passiert bei meiner Performance. Die Welt ist ziemlich konservativ geworden."
    Noch sind viele Besucher in der Theatervorstellung. Wenn sie rauskommen, geht es los, mit Srgjans Musik-Performance. Drinnen, auf der Bühne im Theaterfoyer, sind schon Engelsflügel und jede Menge Instrumente hinter einem Plastikvorhang zu sehen.
    "Die Performance heute handelt von einer jungen Frau, die einem großen Fall von Korruption auf die Schliche kommt. 60 Millionen sollen dabei aus dem Staatshaushalt gestohlen worden sein, durch die Regierung. Und man hat sie dann in die Psychiatrie gesteckt. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wirklich wahr ist. Aber als ich mit Leuten gesprochen habe, aus der Psychiatrie und so, haben sie gesagt: Die Geschichte klingt plausibel. Und wenn man sich die aufgezeichneten Telefonate der Regierung anhört, dann ist es wirklich plausibel. Das ist ziemlich erschreckend."
    Die Sorgen der Künstler
    Dass die Regierung Gruevski nach monatelangen, jahrelangen Protesten nun nicht mehr an der Macht ist - Srgjan scheint es noch immer nicht recht glauben zu können. Hier auf dem Theaterfestival dreht sich jedenfalls alles noch um die ehemalige Regierung und die Sorge der Künstler, Mazedonien könnte sich zu einer Diktatur entwickeln.
    Fast alle, die nun auf und vor den Bühnen stehen, haben gegen die ehemalige Regierung demonstriert. Nun machen sie wieder Kunst.
    "Nach fünf Jahren macht unsere Gruppe zum ersten Mal wieder was zusammen. In den letzten Jahren war es echt schwer geworden, solche Dinge zu machen, selbst am Theater. Weil ich mich sehr laut negativ über die damalige Regierung geäußert habe."
    Aber nun könne sich alles ändern, besser werden, meint Srgjan.
    "Wir sind ein junges Land. Vorher waren wir immer ein Teil einer größeren Weltmacht. Wir haben nie gelernt, in unserem eigenen Land zu leben, wie man es schützt, also, das lernen wir gerade."
    Die Angst des Königs vor dem Machtverlust
    Die Türen des Theaters haben sich geöffnet, Srgjan wird noch ein wenig nervöser, verabschiedet sich. Das Foyer ist nun voller junger Menschen. Fast alle kennen sich. So ist das hier in Skopje – und in der kleinen Kulturszene der Stadt erst recht.
    Auch Aktivistin Biljana und Dichterin Kalina haben sich die gerade gegebene Inszenierung von "Antigone und Kreon" angesehen.
    Biljana: "Es beschreibt die Charaktere in unserer politischen Landschaft."
    Kalia: "Du kannst es natürlich mit der politischen Situation in Verbindung bringen, denn du hast diesen König, der seit Jahrzehnten regiert. Er hängt an der Macht, kann nachts nicht schlafen, weil er befürchtet, seine Macht zu verlieren. Und das lässt sich genau auf unseren Ex-Premierminister ummünzen. Denn alles, was er getan hat, kann man sagen, war aus der Angst heraus, die Macht zu verlieren, seinen Thron."
    Schauspielerin Simona Dimkovska, die gerade noch auf der Bühne stand, kommt dazu.
    "Wir haben mehr als zehn Jahre im Nebel dieses politischen Drecks gelebt. Und man muss dagegen angehen, wenn etwas falsch läuft."
    Simona Dimkovska hat die Antigone gegeben, die sich im Stück dem Befehl des Herrschers entgegenstellt. Für Antigone geht dies tödlich aus. In Mazedonien mussten die Künstler, die sich der Regierung offen entgegenstellten, zumindest um ihre wirtschaftliche Existenz bangen, erzählt Lyrikerin Kalia Dimitrova:
    "Ich persönlich hatte allerdings nie das Gefühl, ich könne mich nicht offen äußern. Ich bin sehr jung und habe nichts zu verlieren. Das ist bestimmt anders, wenn man irgendwo eine höhere Position hat, die einem genommen werden kann. Das hatte ich nicht. Deswegen habe ich mich nie selbst zensiert."
    Wie geht es nun weiter?
    Eine junge Frau hat sich auf der Bühne mitten zwischen die Engelsflügel gestellt, greift nach dem Mikro. Srgjan und die anderen Musiker sind hinter einer grellrot angestrahlten Plane nur schemenhaft zu erkennen.
    Die junge Sängerin leidet sichtlich, zerreißt langsam Papier, sinkt dann auf der Bühne zusammen.
    Biljana Ginova hat sich mit den beiden Künstlerinnen etwas abseits gestellt. Sie reden darüber, wie es nun weitergeht, nach der "Bunten Revolution", den Demonstrationen, die die autokratische Regierung letztendlich zu Fall gebracht haben.
    "Ich habe während der Bunten Revolution Leute auf der Straße gesehen, die sonst absolut unpolitisch sind. Bei denen hat sich vielleicht etwas geändert. Und das ist wichtig, weil das eine große Gruppe ist, hier im Land."
    Auf der Bühne reißt die Sängerin die Plane herunter, die bisher Srgjan und seine Mitmusiker verhüllt hat. Rote Lichter lodern.
    Biljana: "Ich glaube, jetzt haben wir ein wenig mehr politisches Bewusstsein in der Gesellschaft."
    Kalia: "Aber ich denke, die Leute sind sich letztendlich noch immer nicht darüber bewusst, was in den vergangenen zehn Jahren wirklich geschehen ist. Und nur dann kann man ein autokratisches System überwinden. Nicht indem man nur die Regierung auswechselt. Und ich befürchte, da sind wir noch nicht angekommen. Jede Regierung kann autokratisch werden, wenn es die Menschen zulassen."