Abend für Abend machen tausende Demonstranten ihrer Wut über die Regierung Luft – seit über einer Woche geht das so, in mehreren Städten des Landes. In der Hauptstadt Skopje müssen schwer bewaffnete Polizisten Regierungsgebäude und den Amtssitz von Präsident Gjorge Ivanov sichern. Er hat mit einer Generalamnestie für Politiker die neuen Proteste ausgelöst.
Ivanov steht Machthaber Nikola Gruevski nahe. Der ist zwar vor den für Juni geplanten Neuwahlen als Regierungschef zurückgetreten, hält aber im Hintergrund weiter alle Fäden in der Hand. Gruevski wird beschuldigt, Wahlen gefälscht, Korruption Vorschub geleistet und das Abhören von bis zu 20.000 Oppositionellen angeordnet zu haben. Dann eine Generalamnestie? Die Leute sind empört:
"Es ist inakzeptabel, dass man Mazedonien erst in eine so chaotische Lage bringt und sich dann von einem aus den eigenen Reihen von aller Schuld freisprechen lässt", sagt diese Frau. "Es reicht. Genug der Gewalt, genug der Einschüchterung. Schluss mit dieser Diktatur", schimpft er. "Wir wollen eine bessere Zukunft. Wir stehen hier für unsere Rechte ein. Präsident Ivanov muss sofort zurücktreten."
EU versucht, in Mazedonien zu vermitteln
Die Lage ist verfahren in Mazedonien und droht weiter zu eskalieren. Für heute Abend ist die bisher größte Demonstration von Regierungsanhängern angekündigt, Gruevski werde bis zu 30.000 Demonstranten aus dem ganzen Land nach Skopje karren lassen, schätzen unabhängige mazedonische Journalisten.
Schon ist vom "schwarzen Donnerstag" die Rede, weil die Gruevski-Anhänger möglicherweise auf zehntausende demonstrierende Regierungsgegner treffen – und das am Abend vor Vermittlungsgesprächen der EU, die für Freitag in Wien geplant sind. Der österreichische EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn will Gruevski mit Oppositionsführer Zoran Zaev an einen Tisch bringen. Doch Zaev stellt Bedingungen:
"Wenn es Gruevski, Gjorge Ivanov und Parlamentspräsident Trajko Veljanovski wollen, können wir alles in zwei Stunden regeln. Doch dafür muss zuvor die Generalamnestie zurückgenommen werden und die für den 5. Juni angesetzten Wahlen müssen verschoben werden. Ohne diese Bedingungen wird meine sozialdemokratische Partei nicht an dem Treffen in Wien teilnehmen", so Zaev.
EU-Kommissar Hahn versucht seit Monaten, in Mazedonien zu vermitteln, erst waren Neuwahlen für Ende April angesetzt, dann für Anfang Juni, nun ist auch dieser Termin umstritten, weil auf den Wählerlisten offenbar immer noch tausende Verstorbene stehen und weil die Regierung nach wie vor den Großteil der Medien unter strikter Kontrolle hat.
Mazedoniens Abgleiten ins politische Chaos verhindern
Auch Vertreter der demonstrierenden Bürgerrechtsgruppen fordern, bei den Vermittlungsgesprächen in Wien mit am Tisch zu sitzen – wobei eine von vielen offenen Fragen lautet, wer das bunte Spektrum zivilgesellschaftlicher Gruppen in Mazedonien als Verhandlungsführer vertreten sollte. Stojan Andov, früher Parlamentspräsident und der Opposition nahe stehend, sagt:
"Die Erfahrung mit bisherigen Vermittlungsgesprächen und dort geleisteten Unterschriften zeigt: Das hält ein, zwei Tage, und dann macht jeder ohnehin wieder, was er will – so, als wäre gar nichts unterschrieben worden. Insbesondere die Regierung tut das. Das macht solche Vermittlungsrunden doch mehr oder weniger überflüssig. In jedem Fall sollten die Wahlen auf einen Zeitpunkt verschoben werden, bis zu dem demokratische Grundbedingungen geschaffen sind."
Mazedonien, seit 2005 offiziell EU-Beitrittskandidat, ist von tatsächlichen Beitrittsgesprächen weiter entfernt denn je. Für die EU geht es derzeit vor allem darum, ein Abgleiten Mazedoniens ins politische Chaos zu verhindern.