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McAllister (CDU) zu Brexit-Verhandlungen
"Die britische Seite muss sich jetzt bewegen"

Eine Einigung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich liegt in der Luft. Doch in der Fischereipolitik finde man noch nicht zueinander, sagte EU-Parlamentarier David McAllister (CDU) im Dlf. Bis Sonntag bräuchte es aber eine Einigung, damit das EU-Parlament den Vertrag noch verabschieden könne.

David McAllister im Gespräch mit Friedbert Meurer |
David McAllister (CDU) spricht beim kleinen Landesparteitag der CDU Niedersachsen. Der CDU-Europapolitiker erwartet eine erhebliche Kluft in den Beziehungen der Europäischen Union zu Großbritannien ab dem nächstem Jahr. (Zu dpa "McAllister: Großbritannien verliert mit dem Brexit Vorteile")
EU-Parlamentarier David McAllister (CDU) hofft auf eine Einigung von EU und UK bis Sonntagnacht (dpa / picture alliance / Christophe Gateau)
Es scheint, als könnten die EU und Großbritannien sich nach allen Schwierigkeiten nun doch auch kurz vor Jahresende auf einen Handelsvertrag einigen. In London heißt es, das Unterhaus bereite sich schon auf eine Sondersitzung vor. Aber es gibt noch einigen Zwist. Das Europaparlament hat eine Entschließung verabschiedet, wonach das Handelsabkommen bis Sonntag um Mitternacht stehen muss.
David McAllister von der EVP ist CDU-Vorsitzender der Koordinierungsgruppe zum Brexit und des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments. Im Deutschlandfunk erläuterte er, dass ohne Einigung bis Sonntagnacht nicht genügend Zeit für die Parlamentarier bliebe, den Vertrag ausreichend zu prüfen und ihn in einer möglichen Sondersitzung am 28. Dezember zu verabschieden. Zwar habe es in den vergangenen Tagen deutliche Fortschritte in den Verhandlungen gegeben und eine Einigung sei möglich, aber bei der symbolträchtigen Fischereipolitik lägen die Positionen noch weit auseinander. Daher habe man in der EU bereits Notfallmaßnahmen beschlossen, damit im Fall des Scheiterns der Verhandlungen die Transportwege auf beiden Seiten des Ärmelkanals nicht zusammenbrechen.
Brexit-Abkommen - Verhandlungsmasse Fisch
Die Fischereirechte sind wirtschaftlich zwar unbedeutend, allerdings haben sie einen hohen emotionalen Wert – beide Seiten fahren hier eine harte Linie.
Friedbert Meurer: Warum dieses Ultimatum jetzt?
David McAllister: Weniger als zwei Wochen vor dem Ende der Übergangsperiode haben wir leider immer noch kein Abkommen und damit auch keinen Text, mit dem wir im Parlament arbeiten können. Das Europäische Parlament ist bereit, in der letzten Dezember-Woche, wie Sie das gerade geschildert haben, eine außerordentliche Plenarsitzung abzuhalten - allerdings unter der Bedingung, dass es bis Sonntag eine Einigung gibt.
Meurer: Warum bis Sonntag?
McAllister: Das erklärt sich schon aus den faktischen Abläufen. Die Übergangsphase geht bis zum 31. Dezember. Vorher muss das Abkommen ratifiziert werden. Und auch der Rat braucht ja einige Tage, um sich in den Mitgliedsstaaten das Abkommen anzuschauen. Dann würde es formell an das Europäische Parlament überwiesen werden. Das könnte erfolgen nach den Weihnachtsfeiertagen, am 27. Oder 28. Dezember, und das wiederum hätte zur Folge, dass die Plenarsitzung am 29. Dezember beispielsweise stattfinden könnte – allerdings nur unter der Bedingung, dass sobald die Verhandlungen abgeschlossen sind der fertige und unterschriftsreife Text bereits unverzüglich uns vorgelegt wird, damit wir schon mit den Arbeiten beginnen können.

"Wir brauchen ausreichend Zeit"

Meurer: Ist das ein Ultimatum, eine Frist, die Sie in Richtung London sagen, oder auch in Richtung EU-Kommission, lasst euch nicht so lange hinhalten, ihr müsst jetzt liefern?
McAllister: Dieser Prozess erfordert von allen Beteiligten unglaublich viel Geduld, Kreativität und Pragmatismus. Das ist ja eine ganz besondere Situation, in der wir uns befinden. Gleichwohl machen wir jetzt deutlich als Europäisches Parlament, wie es der Kollege Lange gerade im Vorbericht formuliert hat, wir brauchen ausreichend Zeit, um uns auch entsprechend auf die Prüfung dieses mehrere hundert Seiten umfassenden Dokuments dann vorzubereiten. Deshalb appellieren wir an alle Beteiligten, dass wir jetzt wirklich in diese letzte Schlussphase ganz konzentriert gehen. Frau von der Leyen hat ja gestern zurecht darauf hingewiesen, erhebliche Fortschritte sind ja erzielt worden in wesentlichen Fragen. Allerdings bleiben große Differenzen insbesondere in der Fischerei-Politik, und diese zu überbrücken, wird in der Tat sehr herausfordernd.
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Auswirken wird sich der Brexit auf Wissenschaftler und die Universitäten - ob am Ende "hart" oder "weich" - in jedem Fall. Und vielleicht sogar positiver als von vielen orakelt.
Meurer: Nehmen wir mal an, es gibt bis Sonntagabend, bis Sonntag um Mitternacht keine Einigung, sondern das verschleppt sich dann noch um ein paar Tage, dann aber vielleicht doch, ich sage einfach mal, am 27. Dezember – wollen Sie dann allen Ernstes sagen, bei allem Verständnis dafür, dass Sie den Vertrag ausführlich lesen wollen, aber soll es dann am Europaparlament scheitern, dass wir am 1. Januar Chaos verhindern?
McAllister: Hier geht es nicht einfach nur um das Lesen eines Vertrages, sondern es geht darum, dass das Europäische Parlament als einzige Instanz, die demokratisch legitimiert ist von den Menschen, ein ganz entscheidendes Mitwirkungsrecht haben muss. Es geht ja auch um die Verteidigung unserer parlamentarischen Interessen, wie wir auch grundsätzlich deutlich gemacht haben, dass dieses Verfahren ohnehin so besonders ist, dass es unter keinen Umständen ein Präzedenzfall sein darf für künftige Verfahren.

"Es darf kein Abkommen um jeden Preis sein"

Meurer: Der Konflikt leuchtet ein. Aber was ist ab dem 1. Januar?
McAllister: Wenn jetzt dieses Wochenende kein Ergebnis erzielt wird, wenn weiterverhandelt wird, dann ist die Frage, dann erreichen wir ja definitiv nicht mehr den 1. Januar mit der Ratifizierung. Was machen wir dann? – Dann gibt es die Forderung und den Vorschlag, die Übergangsfrist flexibel zu verlängern. Das Problem ist nur, dass die britische Seite kategorisch ausgeschlossen hat, auch nur über eine Verlängerung der Übergangsfrist nachzudenken. Und darüber hinaus: Selbst wenn es diesen politischen Willen gäbe, ist das rechtlich sehr kompliziert, denn die Übergangsfrist ist in einem internationalen Abkommen, nämlich im Austrittsabkommen festgelegt worden, und beide Seiten hätten die Möglichkeit gehabt, bis zum 30. Juni die Übergangsfrist zu verlängern. Das hat die britische Seite kategorisch abgelehnt.
Das heißt, die Probleme, die rechtlichen Probleme sind so groß, dass vieles dafür spricht, dass man sich jetzt dieses Wochenende wirklich auf den Durchbruch konzentriert. Denn wenn man sich einigen kann in der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr, dann, glaube ich, kann man sich nach den vielen Monaten auch jetzt einigen. Deshalb geht unser Appell, die britische Seite muss sich jetzt schließlich bewegen in diesen letzten Tagen. Wir wollen ein ausgewogenes, balanciertes Abkommen, gut für beide Seiten, aber es darf kein Abkommen um jeden Preis sein. Auch wir müssen die Integrität unseres Binnenmarktes zu jeder Zeit …
Boris Johnson und Ursula von der Leyen in Brüssel. Sie stehen vor Fahnen der Europäischen Union und Großbritanniens. Beide tragen Masken. Sie sehen sich an, von der Leyen macht eine einladende Geste.
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Der britische Politologe Anthony Glees ist skeptisch, ob noch ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU zustande kommt.
Meurer: Sie und die Fraktionsvorsitzenden haben sich gerade mit Verhandlungsführer Michel Barnier getroffen. Manche mögen vielleicht den Verdacht haben, wissen Sie mehr als wir, dass es vielleicht bis zum Sonntag eine Einigung geben wird, und deswegen haben Sie das Ultimatum gesetzt. Liegt die Einigung in der Luft bis zum Sonntag?
McAllister: Wie Frau von der Leyen gestern Abend per Tweet bekanntgegeben hat: Es sind erhebliche Fortschritte in ganz komplizierten Fragen erzielt worden. Aber der größte Stolperstein, der größte Stumbling Block, wie die Engländer sagen, ist jetzt die Fischerei-Politik. Das ist ein wirtschaftlich nicht so bedeutendes Thema, im Gesamtkontext gesehen, aber es ist natürlich politisch und symbolisch enorm aufgeladen. Die Frist, die die Fraktionsvorsitzenden aus meiner Sicht zurecht formuliert haben, liegt einfach darin begründet, dass dieser Sonntagabend der letztmögliche Termin ist, um im Rat und im Europäischen Parlament noch bis zum Jahresende ein förmliches Ratifizierungsverfahren durchzuführen.
Da wir aber in der jetzigen Situation nicht ausschließen können, dass es auch scheitern könnte, wird das Europäische Parlament heute Morgen in einigen Stunden wesentliche Notfallmaßnahmen beschließen, um die schlimmsten Folgen ab dem 1. Januar auch abzufedern.

Vier Gesetzespakete als Notfallmaßnahmen

Meurer: Was werden das für Notfallmaßnahmen sein?
McAllister: Das sind insgesamt vier Gesetzgebungspakete. Es geht zum einen um die grundlegenden Anbindungen im Luftverkehr. Es geht zum zweiten um die Flugsicherheit. Es geht zum dritten um die grundlegenden Anbindungen im Straßenverkehr, sowohl Güterverkehr wie Personenkraftverkehr. Und schließlich auch Fischerei, damit nach dem 1. Januar erst mal die Transportwege auf beiden Seiten des Ärmelkanals nicht zusammenbrechen.
Die Grafik zeigt die Werte des Exports von Gütern aus Großbritannien innerhalb (EU-Intrahandel) und außerhalb (EU-28-Extrahandel) der Europäischen Union für die Jahre 2009 bis 2019.
Werte des Exports von Gütern aus Großbritannien innerhalb (EU-Intrahandel) und außerhalb (EU-28-Extrahandel) der Europäischen Union für die Jahre 2009 bis 2019. (Statista)
Meurer: Beim Thema Fischerei fährt ja die britische Regierung schweres Geschütz auf. Es sollen fünf Fregatten in den Ärmelkanal entsendet werden, in die britischen Gewässer, um im Fall der Fälle ab dem 1. Januar zu verhindern, dass französische oder spanische Fischerboote in britisches Hoheitsgebiet eindringen. Wie ist das denn auf Brüsseler Seite und bei Ihnen angekommen?
McAllister: Das ist natürlich jetzt spezielle Rhetorik, die in dieser letzten Phase vorgetragen wird. Ich finde, wir sollten uns sehr um die Sache kümmern, und in der Sache gilt folgendes: Beide Seiten haben im November letzten Jahres eine politische Erklärung vereinbart. Diese politische Erklärung war nicht nur die politische Grundlage für das Austrittsabkommen, sondern auch für den Beginn der Verhandlungen über die künftige Partnerschaft, wo wir uns jetzt in der heißen Phase befinden. Da steht eindeutig formuliert unter Punkt 73, im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaft sollen die Parteien ein neues Fischereiabkommen ausarbeiten, in dem unter anderem der Zugang zu Gewässern und Quotenanteilen geregelt wird. Darum geht es: Wie können wir auch künftig dänischen, niederländischen, belgischen, französischen, deutschen, irischen Fischern Zugang zu britischen Gewässern und bestimmte Quotenanteile an dem Fisch in diesen Gewässern garantieren. Es geht darum, dass die Fischereiunternehmen verlässlich planen können, dass sie berechenbar in die Zukunft gehen können.
Meurer: Und ob das so sein wird – Entschuldigung, Herr McAllister -, das werden wir vielleicht in den nächsten Stunden, wenn man ganz optimistisch ist, oder in den nächsten Tagen erfahren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.