Auf den Gasherden brutzeln Rindfleisch, Reis und Bohnen. Brasilien ist auf dem Weg in die Mittagspause. Primetime für Radiomoderator Toni Villani.
"Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass wir Publikum von A bis Z haben. Glücklicherweise hat die klassische Musik in Brasilien ihr Stigma verloren, also: Musik für Reiche, mit Uni-Abschlüssen! Aber nein! Diese Musik ist für alle da."
Toni Villani erzählt von seinen Hörern in den unterschiedlichsten Lebenswelten. Sogar seine Nachbarn in einer Favela von Rio de Janeiro hören den Klassiksender MEC FM. Er ist sichtlich stolz darauf, nicht ohne Grund:
"Wir sind ein Investment des brasilianischen Staates: ein öffentlicher Radiosender. Also müssen wir unser Publikum genau im Blick behalten."
Präsident Bolsonaro will den Radiosender vom Netz nehmen
Denn Toni Villani und seine Kollegen können jedes Argument gebrauchen, um ihr Programm am Leben zu erhalten. Präsident Jair Bolsonaro hatte bereits vor seinem Amtsantritt versprochen, den öffentlichen Rundfunk vom Netz zu nehmen. Zwei Fernsehsender wurden bereits fusioniert, jetzt ist das Radio dran. Carolina Barreto, Personalrätin in der staatlichen Rundfunkfirma "Empresa Brasileira de Comunicacoes":
"Man wollte bereits den gesamten staatlichen Rundfunk abschalten. Mit dem Argument: Die halten dort alle zum vorherigen Präsidenten Lula, seine alle Kommunisten und so weiter. Doch dann fand die neue Regierung heraus, dass sie den Rundfunk auch gut als Propagandamittel nutzen können."
Anders als in Deutschland wird der Öffentliche Rundfunk direkt aus Steuermitteln bezahlt. Bis vor Kurzem gab es noch ein Kontrollgremium aus Parteien, Vereinen und Kirchen, ähnlich den Rundfunkräten in Deutschland. Doch heute regiert Präsident Bolsonaro über die staatliche Rundfunkfirma bis zum letzten Reporter durch.
"Wir haben jetzt schon viele Fälle von interner Zensur, also Geschichten, die unterdrückt werden. Oder Stories, in denen wie wild herumredigiert wird oder Themen, die gar nicht erst zustandekommen."
Zwei Fernsehsender wurden schon fusioniert, jetzt ist das Radio dran. Spricht man den Wellenchef auf die angekündigte Schließung an, tut er zunächst ahnungslos: Das Radio sei on air und man freue sich auf die Zukunft. Im Gespräch zeigt sich Thiago Regotto allerdings besorgt.
"Klar, kommerzielle Radiostationen spielen auch klassische Musik. Aber damit bedienen sie eigentlich nur die Bedürfnisse der großen Labels. Das ist eine ganz andere Qualität als ein unabhängiges öffentliches Radio bedienen kann. Und damit erfüllen wir genau die Mission, die uns vor 90 Jahren gegeben wurde."
"Wir sind eine Schule für die, die keine Schule haben"
Vor 100 Jahren war Brasilien nicht mehr als ein riesengroßer Bauernhof. Für die Kaffeeplantagen waren billige Arbeitskräfte wichtiger als Bildung und Kultur. In den 80ern erhielt die klassische Musik einen eigenen Sender: MEC FM. Auf der Schwesterwelle MEC AM ging es nun vor allem um brasilianische Kultur, also Musica Popular Brasileira, Literatur und bildende Künste.
"Nicht alle haben Zugang zu Büchern und nicht alle haben Zugang zu Konzertsälen. Also bringen wir es den Leuten nach Hause, per Radio. Kostenlos. Und das ist das Motto unseres Radios, dem wir bis heute treu sind. Wir sind eine Schule für die, die keine Schule haben."
Demensprechend harsch ist die Kritik an den Sparplänen der Regierung. Eine Petition des Personalrats haben zahlreiche brasilianische Künstler und Intellektuelle wie Chico Buarque unterzeichnet. Das verantwortliche Ministerium habe einfach eine falsche Vorstellung vom Programm, sagt Personalrätin Carolina Barreto.
"Es sind eben nicht zwei Radiosender mit dem gleichen Programm, sondern zwei völlig verschiedene Wellen, die sich ergänzen. Beide tragen aber das historische Erbe Brasiliens in sich, denn in ihren Sendungen fand die große Radio-Ära der 30er- und 40er-Jahre statt. Wer also den Wellen an den Kragen will, will auch der brasilianischen Geschichte ans Leder. Schwierig."
Was passiert mit dem Archiv des ältesten Radiosenders Brasiliens?
Schwierig wird es auch für das Archiv. Denn als ältester Radiosender Brasiliens liegen hier nicht nur wichtige Erstaufnahmen wie von Hetor Villa-Lobos oder anderen brasilianischen Musikern, hier liegen auch die Radioansprachen der Politiker seit Getúlio Vargas. Geschichte zum Hören. Doch in dem provisorischen Bürogebäude im Zentrum von Rio de Janeiro liegen die Bänder, CDs und Schallpatten auf dem Boden. In Pappkartons. In einem unzureichend klimatisierten Saal.
Auf den Missstand in den Archiven angesprochen, präsentiert die Verwaltung eine pragmatische Lösung: Man wird das Archiv schnell in eines der Fernsehstudios verlegen. Dort gebe es genug Platz und man kümmere sich jetzt um ein paar Schränke und eine neue Klimaanlage. Wo dann in Zukunft die Fernsehsendungen produziert werden sollen, wird nicht gesagt. Und wann das geschehen soll? Wie die gesamte Zukunft des ältesten brasilianischen Klassiksenders bleibt auch das im Unklaren.