Seit 6:40 Uhr ist Schwester Karin vom Ambulanten Pflegedienst unterwegs in ihrem kleinen Dienstauto. Sie hat heute die Frühschicht der Überlandtour rund um die Gemeinde Pinnow übernommen und steuert nun die dritte Station an:
"Guten Morgen, Frau Borchert!"
"Ja, herzlich willkommen. Bitte setzen Sie sich…."
Im Bademantel gekleidet, wartet Peter Borchert bereits darauf, dass ihm Schwester Karin ihm bei Morgentoilette, Duschen und Anziehen hilft. Seit Morbus Parkinson den hochgewachsenen Mann immer steifer werden lässt, ist seine 72-jährige Frau Hanna mit der nötigen Hilfestellung überfordert. Zumal sie morgens oft sehr müde und zerschlagen sei, denn an Durchschlafen sei neuerdings nicht mehr zu denken. Ihr Mann leidet extrem unter unruhigen Beinen. Auch nachts müsse er mehrmals aufstehen und umherlaufen, komme aber nicht mehr allein hoch.
"Dann gehe ich wieder hin. Dann nehme ich ihn aus dem Bett, damit er laufen kann. Dann laufe ich mit ihm. Dann braucht er frische Luft. Und jetzt kommt auch noch Neuropathie, so heißt das wohl, diese Krämpfe oben auf den Schenkeln! Er sagt immer: 'Wie Nadeln stechen sie mir das da rein.' Jetzt hat er sich auch noch das Bein gebrochen. Das ist natürlich alles ein bisschen schwierig, aber wir stehen das durch. Ich gebe ihn nicht ab!"
Angehörige erkranken selbst
Ein Pflegeheim komme jedenfalls nicht in Frage, meint Frau Borchert. So denken viele in vor allem in den dünnbesiedelten ländlichen Regionen, wo Pflegeheime relativ rar gesät sind und deshalb oft weit vom Heimatdorf entfernt liegen. Auch deshalb werden im Nordosten drei Viertel der über 91.000 registrierten Pflegebedürftigen zu Hause betreut.
In jedem zweiten Fall stemmen Familienangehörige die Pflege ganz allein. Doch auch, wer sich von einem Pflegedienst helfen lässt, ist oft schwer belastet und erschöpft. Laut dem aktuellen Pflegereport der Barmer Krankenkasse, der erstmalig auch den Gesundheitszustand pflegender Angehöriger erfasst, gaben in Mecklenburg-Vorpommern knapp 60 Prozent Rückenschmerzen an, jeder zweite psychische Störungen, 23 Prozent sogar eine Depression.
Kein Wunder, dass allein in Mecklenburg-Vorpommern knapp 4.500 Menschen diese Aufgabe am liebsten abgeben würden, findet Barmer-Landesgeschäftsführer Henning Kutzbach:
"Je länger sie pflegen, je länger sie in Anspruch genommen werden, desto stärker ist zum einen nachher die Erschöpfung. Sie haben keine Zeit mehr für ihre Freunde, sie haben keine Zeit mehr für den Rest ihrer Familie. Und sie befinden sich nachher in einem Hamsterrad. Sie kommen gar nicht mehr richtig raus."
Besonders kräftezehrend: Pflege von Demenzkranken
Vor allem pflegende Angehörige von Demenzkranken brauchen dringend Hilfe für die eigene körperliche und seelische Gesundheit, findet Dr. Ina Zwingmann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Greifswald. Sie leitet ein Projekt, das jetzt im März gestartet und auf drei Jahre angelegt ist. Kommen Pflegebedürftige zu ihrem Hausarzt, soll die Praxis parallel gleich auch den Gesundheitszustand der Begleiter checken, sofern es sich um die pflegenden Eheleute, Kinder oder sonstige Angehörige handelt.
"Praktisch sieht das so aus, dass wir ein computergestütztes System entwickeln werden - das sogenannte 'Versorgungsmanagementsystem'. Das werden wir auf einem Tablet installieren, und das Tablet ist in der Haus- und Facharztpraxis. Wenn der pflegende Angehörige dann seinen Menschen mit Demenz zum Haus- oder Facharzt routinemäßig bringt und im Wartezimmer wartet, soll der pflegende Angehörige dieses Screening ausfüllen. Und entsprechend kommt automatisiert ein Maßnahmenplan für diesen Haus- und Facharzt."
Physiotherapie oder Kuren als Entlastung
Gut möglich, dass pflegende Angehörige auch einmal eine physiotherapeutische Behandlungen oder eine Kur für sich verschrieben bekommen. Ganz sicher werde man die Menschen darauf hinweisen, dass es allein in Mecklenburg-Vorpommern 17 Pflegestützpunkte gibt, in denen sie sich sehr konkret über Entlastungsmöglichkeiten unterrichten können. Die Pflegebeitragserhöhung um 0,5 Prozent bringt jedenfalls seit diesem Januar zusätzliches Geld ins gesetzliche Pflegesystem - auch für mehr Angebote ambulanter Pflegedienste auf dem platten Land.
Zurück in Pinnow. Am Arm von Schwester Karin präsentiert sich der an Morbus Parkinson und einsetzender Demenz erkrankte Herr Borchert geduscht, bekleidet und medizinisch versorgtseiner Frau Hanna.
"Das hat alles gut funktioniert, Herr Borchert?"
"Das funktioniert immer, und dass es den Pflegedienst gibt, ist eine große Erleichterung."
Seit einem Jahr nehmen sie den ambulanten Pflegedienst für seine Morgentoilette in Anspruch, was anfangs schwierig gewesen sei.
"Ich hab' gedacht: Ach, das schafft man alleine. Aber es ist nicht, denn eine kleine Demenz kommt ja dann auch noch dazu. Und wenn das jemand anders ist, dann sind die ganz anders, die Patienten. Wenn ich das mache, sagt er manchmal: 'Muss das sein?' oder ist sogar manchmal ein bisschen unhöflich dann. Und das macht er bei den Pflegeleuten nicht."
Doch auch an diesem Tag kommt der Pflegedienst nur für eine knappe halbe Stunde. Den Rest übernimmt die pflegende Ehefrau. Künftige Arztbesuche sollen auch ihr helfen, dass sie an dieser Aufgabe gesundheitlich nicht zerbricht.