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Mecklenburg-Vorpommern
Informationspolitik zu "Nordkreuz"-Liste wirft Fragen auf

Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern informiert etwa 1.200 Personen darüber, dass sie auf einer Liste der rechtsextremen Gruppe „Nordkreuz“ stehen. Zugleich sehe Innenminister Caffier (CDU) keine Gefährdung der Gelisteten, berichtet Korrespondentin Silke Hasselmann im Dlf. Er habe den Begriff "Todeslisten" kritisiert.

Silke Hasselmann im Gespräch mit Claudia Hennen | 24.07.2019
14.06.2019, Schleswig-Holstein, Kiel: Lorenz Caffier (CDU), Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, spricht während einer Pressekonferenz. Die Innenminister von Bund und Ländern haben ihre Frühjahrskonferenz am letzten Tag mit Beschlüssen zur Bekämpfung von Clan-Kriminalität und zur Förderung von Einbruchschutz beendet. Foto: Frank Molter/dpa | Verwendung weltweit
Lorenz Caffier (CDU), Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, sieht keine Gefährdung der Personen und Institutionen, die auf einer Liste des rechtsextremen Netzwerks "Nordkreuz" geführt werden. Dennoch informiert sein Ministerium nun die Betroffenen. (picture alliance / Frank Molter / dpa)
Claudia Hennen: Seit Montag verschickt das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern Briefe an etwa 1.200 Personen und Institutionen im Land. Darin wird ihnen mitgeteilt, dass ihre Namen auf jenen Listen stehen, die von der Gruppe "Nordkreuz" geführt wurden. Das dürfte die Empfänger zunächst in Angst und Schrecken versetzen, denn Nordkreuz ist eine Internet-Chat-Gruppe aus dem rechtsextremen Spektrum. Mehr noch: Sie steht im Verdacht, eine schwere staatsgefährdende Straftat vorbereitet zu haben. Das Bundeskriminalamt ermittelt bereits seit zwei Jahren gegen Nordkreuz-Mitglieder in Mecklenburg-Vorpommern und fand dabei Namenslisten, die von Teilen der Presse und der Landespolitik rasch als "Todeslisten" bezeichnet wurden. Was es damit auf sich hat, möchte ich jetzt mit unserer Landeskorrespondentin Silke Hasselmann besprechen.
Guten Tag nach Schwerin! Wer oder was ist die Nordkreuz-Gruppe?
Silke Hasselmann: Das ist ein Netzwerk von Leuten aus Norddeutschland – vorrangig aus Mecklenburg-Vorpommern – die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden und über einen geschützten Messenger-Dienst miteinander kommunizieren.
Was man bislang sicher weiß: Viele, wenn nicht gar die meisten Nordkreuz-Mitglieder hatten oder haben beruflich mit Bundeswehr, Polizei oder Justiz zu tun. Mehr als 30 Nordkreuz-Mitglieder definieren sich als sogenannte Prepper, die Lebensmittel, Medikamente, teils Waffen horten, um für einen möglichen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung durch Naturkatastrophen oder Anschläge gewappnet zu sein.
Seit 2017 ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen einen Anwalt aus Rostock und gegen einen ehemaligen Polizisten aus einem Dorf bei Schwerin. Diese "Nordkreuz"-Mitglieder hätten – so der Verdacht – eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet. Bislang gibt es aber keine Anklage, geschweige denn einen Prozess oder gar ein Gerichtsurteil dazu. Aber im Zuge diese Ermittlungen sind diese Listen bekannt geworden, allerdings schon vor etwa zwei Jahren.
Materialsammlungen zu Personen und Institutionen
Claudia Hennen: Was steht nun in den Briefen an die rund 1200 Betroffenen, die das Landeskriminalamt von Mecklenburg-Vorpommern derzeit verschickt?
Silke Hasselmann: Darin werden die Betroffenen zunächst darüber informiert, dass das Bundeskriminalamt bei Durchsuchungen Ende August 2017 "Materialsammlungen zu Personen und Institutionen unter anderem aus Mecklenburg-Vorpommern festgestellt" habe, die überwiegend im Zeitraum der Jahre 2015 bis 2017 aus öffentlich zugänglichen Quellen – z.B. aus dem Internet – zusammengetragen worden waren. Die Angeschriebenen erfahren weiterhin, dass das BKA aktuell "eine Gefährdung der genannten Personen, Institutionen und Organisationen" ausschließt.
Dieser Bewertung schließen sich die Sicherheitsbehörden des Landes Mecklenburg-Vorpommern und auch Innenminister Lorenz Caffier (CDU) uneingeschränkt an: "Nach derzeitigen Erkenntnissen liegen damals wie heute keine Gefährdungsaspekte zu diesen Personen und Institutionen vor."
200 Leichensäcke und Ätzkalk
Claudia Hennen: Das klingt nicht logisch: Einerseits werden die Betroffenen nun informiert, andererseits schließt Caffier eine aktuelle Gefährdung aus. Wie ist das möglich?
Silke Hasselmann: Lorenz Caffier ärgert sich zunächst einmal über irreführende und panikmachende Begriffe wie "Todeslisten" bzw. "Feindeslisten", die in vielen Medien und – wie er sagt - teilweise auch aus dem politischen Raum immer wieder verbreitet werden. Diese Darstellung sei konsequent zurückzuweisen.
Dass die seit zwei Jahren ermittelnden BKA-Beamten keine besondere Eile hatten und z. B. erst jetzt 29 Zeugen aus Mecklenburg-Vorpommern vernommen haben, deren Namen sich auf den Listen finden – auch das ist für den Innenminister ein Hinweis darauf, dass nie Gefahr in Verzug war.
Nun sind aber viele Leute doch sehr beunruhigt – erst recht nach den jüngsten rechtsextremistisch motivierten Attentaten auf Kommunalpolitiker. So berichtete u. a. der NDR mit Bezug auf sichergestellte Daten, "dass sich die rechtsextreme Nordkreuz-Fraktion auf den Tag X vorbereitet, um dann zuzuschlagen". Aus Vernehmungsprotokollen von 2017 wurde die Aussage eines Reserveoffiziers zitiert, dass im Krisenfall "die Personen gesammelt und zu einem Ort verbracht, an dem sie dann getötet werden sollen."
Im Juni schrieb die Rostocker "Ostseezeitung", dass die Nordkreuz-Gruppe laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellt habe. Eine Information, die wohl aus einer nichtöffentlichen Sitzung des Bundestags-Innenausschusses stammt. Kurz davor hatte jedenfalls die Bundesanwaltschaft "erweiterte Überwachungsmaßnahmen" gegen die Nordkreuz-Gruppe gestellt.
Wie das mit der Bewertung "damals wie heute keine Gefährdung" zusammenpasst, bleibt rätselhaft. Die Sicherheitsbehörden äußern sich nicht im Detail dazu.
Kritik an Innenminister Caffier
Claudia Hennen: Haben sich Betroffenen dazu geäußert?
Silke Hasselmann: Die Betroffenen empfangen jetzt nach und nach die Briefe mit dieser Information, in denen sich auch ein Kontakt findet, falls sie doch weitere Fragen haben oder Ängste, dann können sie sich an die Sicherheitsbehörden wenden.
Die Landtagsabgeordnete der Partei DIE LINKE, Eva-Maria Kröger, hat immerhin schon vor zwei Monaten erfahren, dass sich ihr Name auf einer ominösen Nordkreuz-Liste befindet. Das hätte sie gern eher gewusst, sagt sie. Denn dann hätte sie sich das Umfeld der Familie sensibler anschauen können. Sie kritisiert zudem Innenminister Caffier, dass der durch fast zwei Jahre währendes Nicht-Informieren "Raum für Spekulationen und Gerüchte gelassen zu hat".
Gericht: Kein Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung
Claudia Hennen: Was die Verbindungen in die Bundeswehr und zum Spezialeinsatzkommando der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern angeht – wie ist da der Stand der Ermittlungen?
Silke Hasselmann: Der Bundeswehrreservistenverband Mecklenburg-Vorpommern hatte im November 2017 vier Mitglieder ausgeschlossen, musste sie im Frühjahr aber wieder aufnehmen. Denn das Amtsgericht Bonn sah keine genügenden Ausschlussgründe: Die Mitgliedschaft in der Chat-Gruppe Nordkreuz und die Zugehörigkeit zu Prepper-Szene sei "kein Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung".
Was die vier ehemaligen bzw. aktiven SEK-Mitglieder der Landespolizei angeht, die Kontakte zur Prepper-Szene haben und unter anderem Munition in Größenordnungen entwendet haben sollen: Da ermittelt die Staatsanwaltschaft Schwerin immer noch.