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Corona und Medien
Die Krise der politischen Kommunikation

Täglich neue Negativrekorde, düstere Aussichten – so erlebt Deutschland gerade die Corona-Pandemie. In Mittelpunkt öffentlicher Kritik stehen die Politik und ihre zum Teil widersprüchliche oder irritierende Kommunikation. Doch auch die Medien tragen ihren Teil zu dieser Krise bei.

Text: Michael Borgers / Johannes Hillje im Gespräch mit Sebastian Wellendorf | 18.11.2021
Jens Spahn mit Maske in der Bundespressekonferenz
Jens Spahn (CDU), geschäftsführender Bundesgesundheitsminister, stellt vor der Bundespressekonferenz die aktuelle Situation in der Coronapandemie vor und beantwortet Fragen von Journalisten. (picture alliance/dpa)
Der für seine Pointen bekannte Autor und Moderator Micky Beisenherz fasste das Dilemma von Medien und Politik Ende Oktober in seiner Kolumne für den Stern zusammen: „Wir alle haben es kommunikativ versaut“. Eine frühe Impfflicht wäre wichtig gewesen, sei aber nun kaum noch umsetzbar, weil man sich zu früh darauf festgelegt hatte, dass es keine geben könne.

Bremen: „Vernünftig und gut kommuniziert“

Bald drei Wochen später steht Beisenherz mit seiner Meinung nicht mehr alleine da. Eine mögliche Impfpflicht ist in den Mittelpunkt der Debatte gerückt. Eine solche Maßnahme würde signalisieren, „wie wichtig die Impfung ist und dass genau das die soziale Norm sein soll“, sagte etwa die Verhaltensökonomin Katrin Schmelz in der Deutschlandfunk-Sendung „Zur Diskussion“.
Einerseits. Andererseits käme eine staatliche Pflicht aber auch einem Vertrauensbruch gleich, so Schmelz, die seit Pandemiebeginn zur Impfmotivation forscht. Denn die Politik habe schon früh betont, dass eine Impfung freiwillig bleibe.
Eine Sicht, an der Andreas Bovenschulte, der erste Bürgermeister von Bremen, bis heute festhält. In Sachen Corona gilt sein Bundesland deutschlandweit aktuell als eine Art Musterschüler. Man habe „93 Prozent der impfbaren Personen erreicht“, unterstreicht der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. Und gelungen sei das, „indem man vernünftig und gut kommuniziert“. Während der gesamten Pandemie habe man in Bremen eine „zurückhaltende und nüchterne Kommunikation gepflegt“ – so auch beim Thema Impfung.

Keine Debatten aus „Angst vor Polarisierung“?

Doch nicht überall sind die Zahlen so gut wie in Bremen. Weshalb nicht wenige in dem frühen Ausschließen einer Impfpflicht inzwischen den kommunikativen Kardinalsfehler im Kampf gegen die Pandemie sehen. Wenn Gesundheitsminister Jens Spahn davor warnt, mit der Frage die Gesellschaft weiter zu spalten, ist das beispielsweise für „Zeit“-Journalist Mark Schieritz nur noch ein „Ausweichargument, das man bringt, wenn etwas vermeintlich unpopulär ist“.
Denn inzwischen spreche sich ja eine Mehrheit der Gesellschaft für eine Impfpflicht aus. Er frage sich, so Schieritz, „ob wir aus Angst vor Polarisierung, bestimmte Debatten nicht mehr führen“.
Politische Maßnahmen und Kommunikation - Wie die vierte Corona-Welle brechen
Es ist nicht nur die Impfpflicht, die umstritten ist. Auch die Ankündigung, die epidemische Notlage zu beenden, sorgt bei steigenden Zahlen zunehmend für Verwunderung. FDP-Generalsekretär Volker Wissing begründete vor Kurzem auf Twitter das Festhalten an der (noch von der bisherigen Regierung auf den Weg gebrachten) Entscheidung damit, das Gesundheitssystem sei stabil – und löschte seinen Tweet nach massiver Kritik kommentarlos wieder.

Hillje: „Kommunikations- und Regierungsvakuum“

Aktuell sei ein „Blame Game“ zwischen geschäftsführender und sich bildender Regierung zu beobachten, stellt Johannes Hillje fest. „Und Blame Games beschädigen Vertrauen immer grundsätzlich, und stiften auch meistens mehr Verwirrung, als dass sie Klarheit schaffen“, sagte der Politikwissenschaftler und Kommunikationsberater in @mediasres. „Das Kommunikations- und das Regierungsvakuum hängen direkt zusammen.“
Der Kommunikationsberater Johannes Hillje.
Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje. (Erik Marquardt / privat)
Hillje sieht aber auch die Medien in der Verantwortung. Die Pandemie sei langfristig, Medien seien aber „ganz stark gegenwartsfixiert“. Vorausschauendes Handeln und langfristiges Denken würden nur selten von Medien belohnt – und das würden Politiker merken.
„Jetzt wäre wichtig, dass man denjenigen eine mediale Bühne bereitet, die das mit Kompetenz einschätzen können“, fordert Hillje. Und diese Personen dürfe „man dann nicht als Panikmacher abstempeln“.

Klare Kommunikation

„Wir sind in einer epidemischen Notlage, und das muss auch kommuniziert werden“, betont Katrin Schmelz in der Dlf-Sendung „Zur Diskussion“. Dass die Notlage nun aber ende und man eine Impfpflicht diskutiere – „das bringt alles durcheinander“, analysierte die Verhaltensökonomin. Und was kann die Politik aus ihrer Sicht besser machen?
Man könne ja diskutieren, fand Schmelz. „Aber was man beschließt, muss auch umgesetzt werden.“ Und begründet werden müssten die Maßnahmen, „von denen man früher behauptet hat, dass es sie nicht geben wird“.
Oder wie Micky Beisenherz es sagt: „Jetzt ist Ende der Debatte, Pragmatismus angesagt.“