Der Trend, zeitunabhängig und nach eigenen Wünschen das Fernsehprogramm zu gestalten, hält weiter an – und vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender konnten mit ihren Mediatheken davon zuletzt stark profitieren.
Laut einer Untersuchung der AGF Videoforschung wurden die Online-Video-Angebote von ARD und ZDF Anfang 2021 von deutlich mehr Personen genutzt als noch im Herbst 2020. In der Plattformstudie 2021-I gab fast ein Drittel (30,2 Prozent) der befragten Personen an, in den zurückliegenden vier Wochen öffentlich-rechtliche Angebote genutzt zu haben. Im vorangegangenen Untersuchungszeitraum waren es nur 23,1 Prozent.
Dabei profitierten die Sender insbesondere von der großen Nachfrage nach Informationen im Zuge der Corona-Pandemie.
Kooperation von ARD und ZDF bei den Mediatheken
Um den Streaming-Angeboten von Netflix, Amazon und anderen großen Plattformen – auch in den Bereichen Film und Serie – etwas entgegensetzen zu können, haben ARD und ZDF zuletzt eine stärkere
Kooperation und eine engere Verzahnung ihrer jeweiligen Mediatheken
vereinbart. Dabei wird allerdings zunächst kein neues Streamingportal ins Leben gerufen; stattdessen sollen die Inhalte beider Sender sowohl in der ARD-Mediathek als auch in der ZDF-Mediathek abrufbar sein.
In manchen Bereichen arbeiten ARD und ZDF bereits seit vielen Jahren zusammen, etwa bei großen Sportereignissen wie der Fußball-EM.
Fortschritt für die Nutzerinnen und Nutzer
Der Medienforscher Florian Kerkau von Gold Media Research sieht in der neuen Online-Zusammenarbeit einen wichtigen Fortschritt für die Nutzerinnen und Nutzer. Es sei ein Anfang und aus Zuschauersicht hilfreich, wenn man verschiedene Angebote miteinander in Zusammenhang setze, "was ja immer so ein bisschen das Problem war beim ZDF und der ARD, dass sie parallele Angebotswelten anbieten".
Allerdings sieht Kerkau die öffentlich-rechtlichen Angebote nicht vollständig in Konkurrenz zu den großen Streaming-Diensten: "Man muss schon ein bisschen unterscheiden. Netflix zum einen aus inhaltlicher Sicht ist ja auf Filme und Serien spezialisiert und die öffentlich-rechtlichen Angebote bilden ja einen viel größeren Raum ab. Da ist Information, Nachrichten, Live-Übertragung und ähnliches mehr viel stärker ausgeprägt als bei den Streaming-Diensten."
Streaming-Angebote werden "überlebenswichtig"
Im internationalen Streaming-Geschäft hat im vergangenen Jahr auch die Konkurrenz unter den großen Anbietern zugenommen. So konnten Amazon Prime Video und Disney+ gegenüber Netflix aufholen. Unterdessen wird in Deutschland seit einigen Jahren über eine "Riesen-Mediathek" verschiedener Medienhäuser diskutiert, auch wenn eine Zusammenarbeit mit privaten Streaming-Anbietern bei ARD und ZDF derzeit nicht geplant ist.
Aus Sicht von Florian Kerkau ist die Online-Präsenz in den Mediatheken "überlebenswichtig" für die Öffentlich-Rechtlichen: "Es ist jetzt schon so, dass viele Altersgruppen über das Live-Fernsehen nicht erreichbar sind. Und es ist so, dass man ohne Streaming dann dort verloren hat und einfach nicht mehr stattfindet." Für Kerkau ist dabei nicht allein die finanzielle Ausstattung entscheidend für den Erfolg, auch wenn Vergleiche mit globalen Anbietern wie Netflix schwierig seien. "Man kann mit entsprechenden Mitteln auch in Deutschland ein sehr gutes Angebot bauen."
Kritik von ehemaligen Sender-Chefs der ARD
Entscheidend ist also eine Strategie für das digitale Zeitalter. Doch diese sei bei den Öffentlich-Rechtlichen zu spät entwickelt worden, kritisieren jetzt frühere Sender-Verantwortliche.
Die langjährigen Intendanten Jobst Plog (bis 2008 beim NDR) und Heinz Glässgen (bis 2009 bei Radio Bremen) sowie die ehemalige HR-Chefredakteurin Luc Jochimsen diskutieren in einem Gastbeitrag in der "FAZ", wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk aussehen würde und müsste, wenn man ihn unter heutigen Umständen neu "(be-)gründen" wollte. Sie sprechen sich dafür aus, dass eine vom Bundespräsidenten einberufene Kommission Vorschläge zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erarbeitet. Die Rundfunkanstalten sollten zu gemeinwohlorientierten Kommunikationsnetzwerken umgebaut werden.