Normalerweise hätte Mohammad überhaupt kein Problem damit, dass wir durch die Nachrichtenredaktion seines Medienhauses gehen. Dass wir mit Redakteurinnen und Redakteuren sprechen. Dass erkennbar ist, wo wir sind, wie sein Medium heißt. Aber in diesen Tagen ist nichts mehr normal.
"Normalerweise haben wir einen Plan. Wir haben eine Strategie, kurzfristig, mittelfristig und langfristig. Jetzt ist es so: Ich weiß nicht, was morgen passieren wird. Manchmal haben wir hier das Gefühl, dass wir nicht einmal wissen, was bis zum Abend passiert."
Druck auf Medienschaffende
Mohammad ist nicht sein richtiger Name. Aber wie alle Journalisten, die nicht für die Taliban arbeiten, hat er Angst, er muss sich schützen. Er ist leitender Redakteur, zuständig für die Nachrichten, ein erfahrener Journalist, der schon viel erlebt hat.
Staatliche Medien wie der Fernsehsender RTA Pastho haben nicht die Probleme, die Mohammad schildert. Sie sind Sprachrohr der Taliban seit deren Machtübernahme im August 2021. Wer aber wie Mohammads Medium nicht auf Regierungslinie ist, dem wird das Leben schwergemacht.
Er spüre jeden Tag den Druck, sagt der Nachrichtenredakteur: "Es gibt verschiedene Arten von Druck. Ich als verantwortlicher Redakteur oder auch die Leute aus unserem Management, wir bekommen Druck vom Geheimdienst der Taliban, dem GDI. Wir bekommen Anrufe. Ich werde in ihr Büro zitiert und verhört. Sie stellen mir Fragen. So etwas kann ich aber nicht meinem Team erzählen. Wenn die hören, was wir durchmachen, dann werden die auch ganz mutlos. Auf uns lastet in vielerlei Hinsicht Druck."
Willkürliche Festnahmen und Misshandlungen
Seit August 2021 hat sich die Medienlandschaft in Afghanistan fundamental verändert. Radio- und Fernsehsender mussten reihenweise schließen. Schätzungen zufolge hat knapp die Hälfte aller Journalistinnen und Journalisten ihren Beruf aufgegeben oder aufgeben müssen. 6000 von ihnen seien arbeitslos. Viele haben das Land verlassen. 200 Reporterinnen und Reporter sind nach UN-Angaben Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban geworden: willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Bedrohung und Einschüchterung.
"Das Problem ist, dass die Taliban in den letzten anderthalb Jahren eine Reihe von offiziellen und inoffiziellen Dekreten erlassen haben, die so vage formuliert sind, dass sie beliebig interpretiert werden können", erklärt Ayesha Tanzeem, Afghanistan-Expertin des US-Staatssenders Voice of America. "Wenn ich mit afghanischen Journalisten spreche, gibt es keinen einzigen von ihnen, der nicht stark von der Zensur betroffen ist. Es ist nicht ein Ministerium oder eine Medienabteilung, die das alles kontrolliert. Es gibt das Tugendministerium, es gibt den Geheimdienst, örtliche Taliban können sich beleidigt fühlen. Sie können dich anrufen, sie können dich besuchen kommen. Sie können dich abholen, sie können dich festhalten, dich vier Stunden oder vier Monate festhalten, und das hat eine abschreckende Wirkung auf die Medien."
"Keine Anweisungen der Taliban"
Abdul Wahed Rayan, der Direktor der staatlichen Nachrichtenagentur Bakhtar, kennt solche Probleme nicht. "Wir bekommen nie Anweisungen von der Regierung, was wir berichten sollen und was nicht", sagt er.
"Wir berichten über politische Angelegenheiten, Soziales oder die Sicherheitslage, und wir haben Journalisten hier in der Zentrale in Kabul und auch in den Provinzen, die entscheiden, welche Berichte sie gut finden. Und dann entscheiden wir hier, diese Agenturmeldung auch zu veröffentlichen. Im Grunde genommen bekommen wir also keine Befehle von der Regierung."
Dass Abdul Wahed Rayan möglicherweise keine Anweisungen bekommt, ist nicht erstaunlich. Er ist selbst ein Talib, ein Angehöriger der nun herrschenden Taliban.
"Wenn früher ein Medium von einer Organisation, einem Land oder einer Gruppe finanziell unterstützt wurde hier in Afghanistan, dann mussten die Journalisten auch in diesem Sinne für deren Ziele tätig sein. In den vergangenen 20 Jahren wurden viele hier von der NATO unterstützt oder anderen, in deren Sinne sie dann berichtet haben. Aber seit das Emirat die Macht übernommen hat, sage ich unseren Journalisten immer, dass sie bitte frei berichten sollen, dass sie sich nicht von jemand aus dem Ausland manipulieren lassen sollen. Ich betone immer wieder, ihr seid frei und berichtet über die Realität."
Eingeschränkter Blick auf Proteste
Eine Realität in Afghanistan sind auch die Frauenproteste wie jüngst im Dezember, als Frauen erst verboten wurde zu studieren und es dann hieß, Frauen dürften auch nicht mehr bei internationalen Hilfsorganisationen arbeiten.
Seine staatliche Nachrichtenagentur berichte über solche Proteste normalerweise nicht, sagt Direktor Rayan. "Es geht uns, wie gesagt darum, die Wirklichkeit abzubilden. Ja, es gibt einige kleine Gruppen von fünf bis zehn Frauen, die sich zusammenschließen. Vielleicht werden sie von Botschaften oder Nachrichtendiensten unterstützt, von denen sie Geld bekommen. Um solche kleinen Gruppen, die unserer Gesellschaft nur Ärger machen wollen, um die brauchen wir uns nicht zu kümmern. Aber wenn es große Versammlungen gab, auch große Proteste, dann waren wir immer vor Ort und haben darüber berichtet. Aber über solche kleinen Dinge müssen wir nicht berichten."
Tatsächlich haben Viele Angst und so sind es manchmal nur wenige Frauen, die sich zusammentun, auf die Straße gehen oder sich zuhause treffen und ihren Protest dann filmen, um ihn in den Sozialen Medien zu teilen. Aber manchmal sind es auch viele, wie in der westafghanischen Großstadt Herat Ende Dezember. Um die Demo aufzulösen, setzten die Taliban-Sicherheitskräfte ein umfunktioniertes Löschfahrzeug als Wasserwerfer ein.
Ärger über freie westliche Medien
Afghanische Medien berichten über solche Proteste inzwischen kaum mehr – die einen, weil sie eben den Taliban nahestehen. Die anderen, weil der Druck auf sie zu groß ist. So sind es oft nur ausländische Medien, die die Proteste in Afghanistan abbilden.
Doch diese Berichte stoßen bei den Taliban mehr und mehr auf Missfallen. Der Talib Abdulhaq Hamad ist im Informationsministerium für Medien-Beobachtung zuständig. Er ist wohl eine Schüsselfigur, will man verstehen, wie die Taliban ausländische Medien sehen.
Er ärgere sich sehr über die Darstellung der Taliban im Ausland, sagt Hamad: "Es gibt mehrere Dinge, die uns wütend machen. So ist es die Missachtung der islamischen Werte und die der Scharia. Die ausländischen Journalisten sehen es nur aus ihrer eigenen Perspektive heraus und ignorieren die islamischen Gesetze. Ein Beispiel: Als neulich ein Mörder dazu verurteilt wurde, von dem Vater des Ermordeten erschossen zu werden, da haben ausländische Medien das als ungerecht dargestellt. Aber das sind unsere islamischen Regeln. Aber das verstehen sie nicht, weil sie es nur aus ihrem Blickwinkel sehen."
Die Realität der Taliban
Westliche Journalisten berichteten regelmäßig Lügen und Propapanda, so Hamads Vorwurf. "Es geht uns um faire Berichte, um eine Berichterstattung, die der Realität entspricht. Was passiert wirklich in diesem Land? Fühlen Sie sich in Afghanistan nicht sehr sicher, oder sehen Sie nicht, dass eine Zentralregierung von einer Gruppe gesteuert wird und das ganze Land regiert? Sehen Sie nicht das normale Leben, das die Afghanen inzwischen führen? Wir wollen nicht, dass sich internationale Journalisten für uns einsetzen, aber wir wollen auch nicht, dass sie gegen uns vorgehen und in ihren Berichten Lügen und Propaganda verbreiten. Für uns zählt die Realität, darüber sollten sie berichten. So sieht für uns ein fairer Bericht aus."
Die Taliban wollen, dass eine Realität abgebildet wird, wie sie sie sehen. Es geht ihnen dabei nicht nur um vermeintlich oder tatsächlich falsche Berichte über Afghanistan. Abdulhaq Hamad geht es um das Berufsverständnis von Journalisten.
Ausländische Medien im Visier
"Die Aufgabe eines Journalisten ist es nicht, eine Situation zu analysieren, zu kommentieren oder gar den Richter zu spielen. Ihre Aufgabe ist es nur, eine Nachricht weiterzugeben. Ich kann ein gutes Beispiel nennen: das Univerbot für Frauen durch die Taliban-Regierung. Ein Journalist sollte darüber berichten, dass Frauen auf der Grundlage dieses Dekrets verboten worden ist, in die Universitäten zu gehen. Aber ich denke, es ist nicht seine Aufgabe, zu erklären, dass die Zukunft der Mädchen nun in Gefahr ist oder dass es ungerecht ist, dass die Taliban-Regierung dieses Verbot ausgesprochen hat. Nach meinem Verständnis sollte dies nicht die Aufgabe eines Journalisten sein."
Wie es scheint, sind nach den afghanischen Medien nun auch tatsächlich die ausländischen ins Visier geraten. Eben weil sie nicht so berichten, wie es sich die Taliban wünschen. Seit deren Machtübernahme bis in jüngste Zeit hatten viele Korrespondenten Arbeitsgenehmigungen bekommen und konnten relativ frei berichten aus Afghanistan. Das aber hat sich in den vergangenen Wochen geändert. Immer mehr Journalistinnen und Journalisten wird ein Arbeitsvisum verweigert. Das Afghanistan der Taliban schottet sich ab – und das sieht man eben auch bei den Medien.