Jansem Campos moderiert das tägliche Kulturmagazin auf Brasiliens ältestem öffentlichen Radiosender MEC AM. 1923 gründeten ihn Philanthropen und gaben ihm das Motto: eine Schule für die, die keine Schule haben.
"Kultur ist einer der wichtigsten Aufträge unseres öffentlichen Senders. Deswegen haben wir hier bei MEC AM viel Kultur im Programm. Wir wollen vor allem brasilianische Kultur verbreiten, also vor allem die freie Szene und Produktionen, die nicht in den Massenmedien vorkommen."
Doch Jansem Campos fürchtet um seinen Job. Anfang Juli verkündete der Wellenchef, dass Radio MEC AM Ende des Monats vom Netz gehen sollte. Der Sender solle mit dem großen, landesweiten Klassik-Sender MEC FM vereinigt werden. Es wäre der nächste Schritt, nachdem Bolsonaro bereits Anfang des Jahres die beiden großen staatlichen Fernsehkanäle vereinigte. Denn schon kurz nach der Wahl 2018 war das Ende des öffentlichen Rundfunks eine Top-Priorität für Bolsonaro.
"Privatisieren oder ganz abschalten"
"Wir wollen unsere staatliche Propaganda nicht in unseren offiziellen Rundfunkkanälen. Deshalb wollen wir sie entweder privatisieren oder ganz abschalten. Wir können nicht jährlich eine Milliarde Reais verschwenden, an ein Medienunternehmen, dass nur einen Hauch Publikum hat."
Bolsonaros Idee: Wenn die Regierung Sendezeit will, dann soll sie diese bei den privaten Medien einkaufen. Allen voran natürlich beim evangelikalen Pro-Bolsonaro-Sender Record TV. Die kritischen Sender dürften leer ausgehen. Doch dafür muss zunächst der staatliche Rundfunk verschwinden – entweder in dem er nach und nach demontiert oder an Investoren verkauft wird.
Nichts passiert in Sachen Privatisierung
Mittlerweile ist ein Monat ins Land gegangen und Jansem Campos moderiert nach wie vor auf Radio MEC AM. Fragt man die Wellenleitung, warum denn erst angekündigt wurde und nun nichts passiert, gibt sie sich einsilbig. Man wisse von nichts. Die Schließung des Radiosenders sei eine Erfindung der Medien gewesen, sagt der von Bolsonaro eingesetzte Intendant des Unternehmens, Fake News.
Carolina Barreto hat eine Erklärung dafür. Sie ist das jüngste Mitglied im Personalrat des brasilianischen Rundfunkunternehmens.
"Man wollte bereits den gesamten staatlichen Rundfunk abschalten. Mit dem Argument: Die halten dort alle zum vorherigen Präsidenten Lula, seine alle Kommunisten, und so weiter. Doch dann fand die neue Regierung heraus, dass sie den Rundfunk auch gut als Propagandamittel nutzen können."
Aufsichtsgremium aufgelöst
Denn anders als in Deutschland wird der öffentliche Rundfunk in Brasilien direkt aus dem öffentlichen Haushalt bezahlt. Über die Verwendung wachte bis vor kurzem noch ein Gremium mit Mitgliedern von Parteien, Vereinen und Kirchen, ähnlich den Rundfunkräten in Deutschland. Doch schon die kurze Vorgängerregierung von Michel Temer löste die Kontrollinstanz auf und ebnete den Weg dafür, dass Präsident Bolsonaro heute vom Intendanten bis zum letzten Reporter durchregieren kann.
"Wir haben jetzt schon viele Fälle von interner Zensur, also Geschichten, die unterdrückt werden. Oder Stories, in denen wie wild herumredigiert wird oder Themen, die gar nicht erst zu Stande kommen."
"Es fehlt an Ressourcen"
Mitte August die nächste Schrecksekunde für die Mitarbeiter: mehrere Medien berichten über eine Liste aus dem Wirtschaftsministerium mit anstehenden Privatisierungen: Neben der Post, Häfen und Stromerzeugern steht auch die EBC auf der Liste. Aber Jansem Campos kann sich nicht vorstellen, dass jemand sein Radio kaufen wollen würde.
"In Brasilien fehlt es uns an Ressourcen, um unabhängig Kultur unter die Leute zu bringen. Es gibt ein Monopol von Medienunternehmen, die ihre eigenen Produkte verkaufen wollen. Und dazu haben wir Alternativen im Programm: Kunst, die kein Sponsoring kriegt, die nicht massentauglich ist – die findet bei uns ihren Platz."
Große Verwirrung beim staatlichen brasilianischen Rundfunksender EBC. Und um die Verwirrung komplett zu machen, ist die EBC mittlerweile nicht mehr auf der Liste der zu privatisierenden Unternehmen. Vorerst jedenfalls: Denn nun soll eine Studie untersuchen, ob sich der Verkauf überhaupt lohnt – oder ob man einfach gleich den Stecker ziehen sollte.