Es ist in diesen Tagen vieles anders als sonst, und dazu gehört auch, dass keiner sagen kann, was sich geändert haben wird, wenn es nicht mehr so ist. So bleiben vorerst nur das Wünschen und das Fürchten.
Was aus medienkritischer Sicht wünschenswert sein könnte: dass das Beispiel Christian Drosten Schule macht. Damit ist nicht der Hype gemeint, der um den Berliner Virologen durch den werktäglichen Podcast "Coronavirus-Update" von NDR Info entstanden ist. Außerhalb von Witzen ist die Sehnsucht nach einer Heldenfigur so albern wie der journalistische Reflex, den Namen "Drosten" und die Berufsbezeichnung "Kanzler" in eine Überschrift zu packen, wie es etwa die "Zeit" getan hat.
Interessant ist das Modell von Information, das die ruhigen, tastenden Auskünfte von Drosten vorstellen. Es kommen einem beim Zuhören nicht Thesen und Ansagen entgegen, sondern man wird Teil einer Denkbewegung. Drosten schafft im Gespräch mit der NDR-Redakteurin Anja Martini Orientierung und Verständnis dadurch, dass er den Raum seines Wissens absteckt – was auch bedeutet, dessen Grenzen zu kennen, etwa wenn der Mediziner über das Verhältnis zur Politik redet, die anders funktioniert als die Wissenschaft. Was ferner bedeutet, dass er sich selbst revidiert und korrigiert. So lässt sich im besten Fall auch das verstehen, was man noch gar nicht begreifen kann.
Zeit, beim Abwägen zuzuhören
Neu ist dieser Modus des Redens freilich nicht – Tiefe und Genauigkeit der Expertise sind etwas, wofür sich gute Podcasts Zeit nehmen. Neu ist die Aufmerksamkeit, die einem solchen Format entgegengebracht wird – das natürlich von der Konzentration profitiert, die das Megathema Coronavirus bewirkt. Dass man in Zeiten der Ungewissheit gewillt ist, werktäglich eine halbe Stunde aufzubringen, um jemandem beim Abwägen zuzuhören. Und dass danach Medien auf diese Erklärungen reagieren, sie vermelden und ernstnehmen.
Und deshalb wäre es doch schön, wenn diese – sagen wir mal ganz verkürzt und griffig –Verdrostung des Journalismus auch für andere Bereiche gelten könnte.
Wenn etwa die Steuergesetzgebung in dieser ruhigen und umsichtigen Weise und unter millionenfacher Anteilnahme betrachtet würde, so dass man tatsächlich möglichst alle Faktoren berücksichtigt hätte, die für eine Entscheidung wichtig sind – und das hieße dann vermutlich, mindestens zwei Folgen lang durchzudenken, was das angedrohte Auswandern von SAP-Milliardär Hasso Plattner bei Einführung einer Vermögenssteuer für Auswirkungen hätte: für das Land, für die Wirtschaft, für Plattner.
Die Verdrostung in der Berichterstattung
Immerhin kann man die Verdrostung der Berichterstattung jetzt schon spüren, wenn verkürzte Aussagen des Virologen in anderen Medien von Drosten selbst wieder kritisch bedacht werden. Wie aktuell gegenüber der Zeitschrift "Stern". Die hatte für ein Interview mit Drosten geworben mit der Schlagzeile: "Keine vollen Fußballstadien in den nächsten zwölf Monaten". Grundlage dafür war folgende Erklärung des Mediziners im Gespräch: "Ich glaube aber überhaupt nicht daran, dass wir in irgendeiner absehbaren Zeit wieder Fußballstadien voll machen. Das ist überflüssig. Das wird es bis nächstes Jahr um diese Zeit nicht geben. Auf Dinge, die schön sind, aber nicht systemrelevant, wird man lange verzichten. Bei Schulen wiederum wird man vermutlich relativ bald nachschauen, ob die Maßnahmen so relevant sind, oder ob man da den Druck wieder rausnehmen kann."
Ist die Schlagzeile nun aus dem Kontext gerissen oder gerade noch zulässig? Ich würde mich hier nicht festlegen wollen, zumindest nicht in einem Satz. Denn ich kann die Entscheidung des "Stern" verstehen und ich verstehe auch Drostens Kritik daran. Das sind die Erfolge, die die Verdrostung in meinem Innern schon feiert: Ich lese eine Überschrift eingedenk ihrer völligen Begrenztheit.