Zwölf türkische und internationale Journalisten. Ein Reisebus. Die Fahrt geht durch die umkämpften kurdischen Gebiete. Plötzlich wird unser Bus gestoppt. Wir haben vor einem Partei-Büro der regierenden AKP-Partei ein Foto gemacht. Im Handumdrehen versperren uns gepanzerte Polizeiwagen und ein halbes Dutzend Schwerbewaffneter den Weg.
Mit im Bus ist Vaysel Ok, ein türkischer Anwalt für Medienfragen. Er schickt einen Tweet ab, dass der Bus im Konfliktgebiet von bewaffneter Polizei gestoppt worden ist. Tweets stellen im Nu Öffentlichkeit her, wenn Journalisten tief im Land in eine Kontrolle geraten.
"Die letzten Monate sind besonders hart für türkische Journalisten. Seit der Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan und seine Familie werden verstärkt Journalisten angegriffen. Zuletzt hat die Regierung Twitter drei Mal vom Netz genommen. So soll verhindert werden, dass wir über Syrien und Sicherheit, Kurdenfrage und Korruption berichten. Mehr als zehn Prozent der türkischen Journalisten sind nach meiner Schätzung zurzeit durch die Justiz angeklagt. Rund dreißig Journalisten sind inhaftiert."
"Die Türkei ist kein Land, in dem Journalisten leben können"
Vaysel Ok gehört zur Medien-Organisation P24, einer türkischen Plattform für unabhängigen Journalismus, die als zivile Non-Profit-Organisation für die Verteidigung der Pressefreiheit eintritt. Rund 200 Fälle von Journalisten unter Anklage hat Vaysel Ok zur Zeit auf dem Schreibtisch. Einer ist der von Aysun Yazici, die wegen angeblicher Beleidigung des Sohns von Präsident Erdogan angeklagt ist und der 11 Jahre Haft drohe:
"Die Türkei ist kein Land, in dem Journalisten leben können. Entweder man wird verhaftet oder zum Schweigen gebracht, wie ein Kollege, der vor der Haustür zusammengeschlagen worden ist. Es gibt keine Kultur der Kritik."
Dieser Woche erreichte der Druck auf regierungskritische Medien mit der Polizeirazzia gegen die Zentrale des Medienkonzerns Koza Ipek einen vorläufigen Höhepunkt. Mit Kettensägen, Tränengas und Wasserwerfern wurden die Räume der Fernsehsender Kanal-Türk und Bugün besetzt, die zuletzt Oppositions-Politiker wie HDP-Chef Demirtas interviewt hatten - und abgeschaltet.
Besonders groß ist der Druck auf regierungskritische Medien in den umkämpften Kurdengebieten. Rund 100 Internetseiten sind seit Juli gesperrt, darunter die der kurdischen Nachrichtenagentur DIHA, deren Redaktion wir in Diyarbakir besuchen. Ferzende Tasan, einer der Redakteure:
"Unser Büro steht unter Beobachtung. Wenn Mitarbeiter rausgehen, um zu recherchieren, werden sie vor der Tür abgefangen und beleidigt. Oder gepanzerte Fahrzeuge vor der Tür wollen uns einschüchtern. Bei Demonstrationen, über die wir berichten, halten sie die Waffen auf uns. Sie wissen, wer wir sind. Sie machen uns das Leben überall schwer."
Auch ausländische Journalisten unter staatlicher Beobachtung
Ausländische Berichterstatter geraten ebenfalls ins Fadenkreuz staatlicher Behörden. Auch hier sind die Kurdengebiete besonders sensibles Terrain. Frank Nordhausen, Türkei-Korrespondent für Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung, hat schon vor dieser Reise nach Südost-Anatolien erstmals diese Erfahrung gemacht:
"Ich bin direkt angerufen worden, wie andere auch, von Jemandem aus dem Büro des Ministerpräsidenten, der mich darauf hingewiesen hat – in sehr gutem Englisch und sehr freundlich – dass ich die PKK nicht als Terror-Organisation bezeichne, weil das bei uns im Blatt nicht Usus ist."
Ohne Zweifel bleiben Politik wie Öffentlichkeit in der EU auch nach der Wahl zu verstärkter Beobachtung und Engagement aufgerufen. P24-Medienanwalt Vaysel Ok sieht angesichts der Welle von Repressionen immerhin einen kleinen Lichtschimmer:
"Fehlende Unabhängigkeit der türkischen Justiz ist mehr denn je das Problem. Aber wenn es ganz extrem wird, besteht für uns immer noch die Möglichkeit, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu ziehen. Der türkische Staat hat dort schon mehrere Niederlagen einstecken müssen."