In einem Großraumbüro mitten in Tiflis tippen einige Frauen in ihre Tastaturen. Auf einem Wandplakat ist ein schwarzer Kopfumriss zu sehen, darin in Rot Hammer und Sichel. Darunter steht auf Englisch "anti-westliche Propaganda". Das Plakat beschreibt bildhaft die Arbeit der Media Development Foundation, kurz MDF. Die Organisation wird durch Fördergelder finanziert, etwa aus den USA und der Akademie der Deutschen Welle. Sie befasst sich vor allem mit Faktenchecks - und hat viel zu tun. Leiterin Tamar Kintsurashvili klappt ihren Laptop auf und zeigt einen Artikel, den MDF analysiert hat:
"Hier ist ein typisches Beispiel. Es geht um den Weltjudoverband. Er hat mal eine georgische Athletin bestraft, weil sie während eines Wettkampfs ein Kreuz um den Hals trug. Wobei es hier nicht um das Kreuz selbst ging, sondern um Sicherheit. Das Tragen von Schmuck ist im Judo verboten."
In dem Artikel habe aber gestanden, dass die Judoka wegen ihrer Religion diskriminiert worden sei, erklärt Kintsurashvili. Die Botschaft dahinter - der Westen untergrabe Georgiens kulturelle Identität:
"Das basiert auf der Idee der sogenannten 'Russischen Welt'. Es zielt auf alle christlich-orthodoxen Menschen im postsowjetischen Raum. Demnach hat uns Russland zwar mit Panzern attackiert, aber der Westen will unsere Seele zerstören."
Kritik: Regierung fördert anti-westliche Narrative
Seit dem Krieg mit Russland im Jahr 2008 werden der Organisation MDF zufolge in Georgien immer wieder Narrative gestreut, die auf die EU- und NATO-Annäherung des südkaukasischen Landes abzielen. Der irreführende Judoartikel stammte aber nicht von russischen Autoren. Er erschien auf der Webseite von Imedi TV, einem großen georgischen Privatsender. Er hat den Ruf, der Regierungspartei Georgischer Traum nahezustehen. Sie verfügt im Parlament über eine Dreiviertelmehrheit, gegründet wurde sie vom Milliardär Bidsina Ivanishvili.
Für Tamar Kintsurashvili zeigt der Text von Imedi TV, wie tief anti-westliche Narrative in Georgien verankert sind. Sie schreibt das besonders der Regierung zu. Seit Monaten gehen im Land regelmäßig Menschen auf die Straße. Sie fordern die Umsetzung einer versprochenen Wahlrechtsreform und sie protestieren gegen einen wachsenden Einfluss Russlands.
Nach Recherchen von MDF werden die Proteste auf der Straße im Internet oft von Bots und Trollen begleitet, die zudem häufig der Regierung nahestehen sollen. Diese hätten Demonstranten als "LGBT-Aktivisten" bezeichnet - was in Georgien als Diffamierung gelten kann.
Gefälschte Onlineprofilen enttarnt
Eine Vertreterin der Regierungspartei weist die Vorwürfe auf Nachfrage des Deutschlandfunks zurück. Dagegen sieht Mamuka Andguladze, Medienexperte bei Transparency International, klare Anhaltspunkte:
"Seit zwei Jahren nimmt die inländische Propaganda deutlich zu. Allein vor der Präsidentschaftswahl 2018 wurden 200 gefälschte Onlineprofile enttarnt. Mit Abstand die meisten davon hatten für die regierende Partei Stimmung gemacht. Eine solche Situation beeinflusst das Verhalten der Wähler massiv. Ein anderer Trend ist, dass diese Propaganda russische Narrative aufgreift. Und damit liberale Werte in Georgien beschädigt."
Das sieht Oppositionspolitiker Giga Bokeria ähnlich - und schildert eine Maßnahme des regierenden Georgischen Traums vor den Parlamentswahlen 2016. Die Partei initiierte damals eine Verfassungsreform. In der Folge wird die Ehe nun strikt als Bund zwischen Mann und Frau definiert. Damit habe die Partei bewusst ein anti-westliches Narrativ für ihre Zwecke benutzt:
"Es gibt in Georgien Politiker und Kirchenvertreter, die Homosexuellen absprechen, Menschen zu sein. Wir unterstützen ihre zivilen Rechte, aber wir haben nie die gleichgeschlechtliche Ehe gefordert. Doch die Regierungspartei sagte, dass Europa uns zwingen wird, die Homo-Ehe einzuführen - weshalb wir schon vorher darauf reagieren müssen. Sie beschwor also eine künstliche Gefahr und reagierte selbst darauf."
Sorgen vor anstehender Wahl
Tamar Kintsurashvili von der Organisation MDF schließt nicht aus, dass sich diesen Herbst Ähnliches wiederholen könnte. Dann wird in Georgien ein neues Parlament gewählt. Sie macht sich Sorgen:
"Vor allem im postsowjetischen Raum ist fairer politischer Wettbewerb bisher kaum üblich. Für uns als Land mit noch nicht ausgereifter Demokratie ist das besonders schmerzhaft. Wir wollen aber mehr erreichen und ein echter Teil der europäischen Familie werden."
Mit ihrem Einsatz für ausgewogenen Journalismus hoffen die Faktenchecker, dazu einen Beitrag leisten zu können.