Hunderttausende Ungarn in den Provinz-Städten Pécs, Szeged, Eger und anderen finden neuerdings jede Woche ein neues Blatt im Briefkasten. "City7" - 24 Seiten, bunt, Boulevard mit politischer Sättigungsbeilage. Zwischen Kreuzworträtseln, Bikini-Mädchen auf Seite 3, Autotests, Abnehmtipps und B-Prominenz ist Wahlwerbung für Premier Orbán und seine Partei Fidesz platziert. Warum es das neue Medium gibt, ist deshalb für Dániel Szalay klar. Er ist Chefredakteur des Branchen-Mediums Media1.
"Das Ziel ist klar, Propaganda zu verbreiten. Das sieht man schon daran, dass in der ersten Ausgabe auf der Titelseite war: ‚Die Linke steht auf der Seite des Virus‘, Menschen sterben wegen der Anti-Impf-Äußerungen von Gyurcsány und Co. Die Opposition wird dafür kritisiert, dass sich das Virus so schnell verbreitet hat und es so viele Todesfälle hier in Ungarn gab. Auf der anderen Seite wird über positive Maßnahmen der Regierung berichtet."
Keine Antworten auf Deutschlandfunk-Fragen
Ungarn beklagt viele Covid-Tote, ist aber auch Impf-Europameister. Orbán setzt auf russische und chinesische Impfstoffe – gegen den EU-Strom. Für das Chinesen-Vakzin lässt das Gratisblatt einen Fitness-Guru werben. Impftestimonials von Schauspielern und B-Promis allenthalben. "Die Aussichten sind gut" - diese Headline verbreitet Optimismus zur Wirtschaftslage. "Karácsony Regierungschef? Komm schon" ist der Kommentar auf der Titelseite, als der grüne Oberbürgermeister von Budapest seinen Hut als Orbán-Herausforderer der Opposition in den Ring wirft. Bei Ervin Güth weckt das neue Gratisblatt Erinnerungen an den Wahlkampf 2005/2006.
"Mir fällt Magyar Vizsla ein, der ungarische Wachhund", sagt der Redakteur des unabhängigen Online-Mediums Szabad Pécs, "das war eine reine Fidesz-Wahlkampf-Veröffentlichung. Da haben sie sowas auch probiert: Boulevard-News, Gratisversand, Tabloid-Format, mit einer klaren politischen Ausrichtung. Und bei Mediaworks ist ohnehin klar, worum es geht: das Ganze funktioniert auf Basis von Partei-Interessen."
Wie hoch die Auflage von "City7" ist, darüber schweigt sich der Konzern auf Deutschlandfunk-Nachfrage aus. Auch darüber, wer die Zeitung eigentlich genau macht. Im Impressum tauchen allerdings die Redakteure der lokalen Medien auf, hat Ervin Güth beobachtet. Online ist auf ihren Seiten das Boulevard-Kampfblatt sowieso zugänglich: Synergie-Effekte.
Gratisblatt erscheint gezielt in bestimmten Städten
Ervin Güth: "Wenn der Inhalt lokal ist, unterscheidet er sich nicht sehr von dem, was in der Regionalzeitung ‚Dunántúli Napló‘ oder dem Online-Medium ‚BAMA‘ erscheint. Was die Leserzahl betrifft: Ich habe keine Daten dazu, aber was ich so aus meiner kleinen Blase höre – selbst Fidesz-Bekannte halten nicht viel davon."
Woche für Woche erscheint "City7" in gut einem Dutzend Städten. In Budapest gibt es eine eigene Ausgabe unter eigenem Namen. Nach welchen Kriterien die Erscheinungsorte ausgewählt wurden, auch dazu keine Antwort des Unternehmens Mediaworks. Der Regierungssprecher wollte auf Nachfrage auch keine Angaben zum Gratisblatt machen. Branchenkenner Dániel Szalay erkennt jedoch ein Muster: "Die neue Gratiswochenzeitung ‚City7‘ erscheint in den Städten, wo die Regierungspartei Fidesz schlecht abgeschnitten hat bei den Kommunalwahlen oder in den Umfragen schlecht dasteht."
Bei der Kommunalwahl 2019 hat Orbáns Partei Fidesz in den großen Städten verloren. Städte wie Pécs im Süden, Miskolc im Nordosten oder die Hauptstadt Budapest gingen an die Opposition – ihre Strategie, den Kandidaten mit den besten Chancen gemeinsam zu unterstützen, ging auf. So will es die Opposition auch bei der Parlamentswahl nächstes Jahr machen. Der grüne Bürgermeister von Budapest ist ihr gemeinsamer Kandidat.