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Medien ohne Sommerloch
Einfach mal Katzenvideos schauen

Früher haben wir es für seine belanglosen Themen verhöhnt, in diesem Jahr vermissen wir es: das Sommerloch in den Medien. Wir können uns keine Sommerpause mehr erlauben, stellt unsere Kolumnistin fest. Und rät gerade deshalb, die Sache als Mediennutzerin selbst in die Hand zu nehmen.

Von Marina Weisband |
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Wenn das Sommerloch ausfällt: Katzenvideos (imago / Blickwinkel)
Wissen Sie, was ich vermisse? Das Sommerloch. Das war diese Zeit im Sommer, als die Politik Pause gemacht hat, alle waren im Urlaub, die Nachrichten waren voll von Belanglosigkeiten. Tier macht Sache. In Münster ist ein Blumenkübel umgefallen. Es gab ja nichts zu berichten. Das war eine schöne Zeit.
Das Sommerloch ist in den letzten zwei Jahren ausgefallen. Und es scheint nicht wieder zu kommen. Es gibt keinen Tag mehr, in dem es nichts zu berichten gibt. Jahrzehnte vergehen in Wochen, wenn man in historischen Zeiten lebt. Und das tun wir ohne Zweifel.
In diesen Sommer gingen wir mit einer weltweiten Pandemie, einer Wirtschaftsrezession, den USA am Rande des Faschismus und Massendemonstrationen. Und das ist nur die Spitze unserer schmelzenden Eisberge. Die nächsten Jahre werden geprägt sein von einer Fülle von Krisen, die Einfluss auf einander haben, uns schonungslos alle vorhandenen Ungerechtigkeiten aufzeigen und unsere Lebensart wieder und wieder radikal infrage stellen werden. Allein das sich verändernde Klima wird in seinen unzähligen und unvorhersehbaren Auswirkungen und Kettenreaktionen unsere Schlagzeilen bis auf Weiteres wohl beherrschen.
Jedes Essensfoto wird zum Schweigen über wirklich Relevantes
Ich vermisse es, auf Twitter Belanglosigkeiten zu schreiben. Fotos von einem besonders hübsch angerichteten Mittagessen. Erinnern Sie sich noch? Jedes Foto von einem Mittagessen ist ein Schweigen über massenhaftes Sterben geworden. Dabei brauche ich ihn. Diesen Quatsch. Katzenvideos halten mich am Leben. Der Humor ist alles, was mir hilft, einen Schritt zurück zu treten und zu atmen. Und atmen ist so wichtig. Sonst müsste man ja die ganze Zeit nur schreien.
Ein gefüllter Teller: Hackbraten mit Kartoffelpüree
Auch eine Hilfe im Sommerloch: Essensfotos posten (dpa)
Wie viel schwerer müssen es Redaktionen von Massenmedien haben? Jede Story ist eingebettet zwischen Bilder von brennenden Wäldern, wütenden Menschenmassen. Jede Auslassung ist ein Statement. Alles wird emotionaler. Auch die Journalist*innen selbst. Völlig zurecht, natürlich. In diesen Zeiten eine Meinung zu haben, schreibt die Moral uns vor. Aber wie verändert sich Journalismus unter der Bedingung der Dauerkrise? Wenn jedes Schreiben zu einem politischen Akt wird; jedes Nichtschreiben auch?
Ständige Anspannung tut niemandem gut
Natürlich kann man sich in eine eingebildete Objektivität zurückziehen. Aber die gibt es natürlich nicht. Das zeigen jene Publikationen am besten, die von sich selbst am lautesten behaupten, aus reinem, objektivem Journalismus zu bestehen. Ich bestehe darauf, dass Journalist*innen ihre eigene Macht im Diskurs anerkennen. Sie verstärken Stimmungen und oft genug schaffen sie durch ihr eigenes Berichten Fakten in der realen Welt. Aber ich sehe auch, dass ständige Anspannung und Emotionalisierung mir nicht gut tut. Wahrscheinlich niemandem gut tut.
Vielleicht war die Sommerpause mehr als das Fehlen relevanter Nachrichten. Vielleicht war es kollektiver Urlaub aus der emotionalen Vertiefung in Themen. Vielleicht hatte sie eine Funktion. Resetten. Ausatmen. Die brennende Welt ruhiger betrachten. Um zu sehen, wo gezielt gelöscht werden könnte.
Hin und wieder Quatsch machen
Wir können uns keine Sommerpause mehr erlauben. In drei Monaten könnten wir gut die nächsten 20 Jahre Entwicklung verpassen. Aber wir können vielleicht, hin und wieder, bewusst, gezielt und aller Aufregung zum Trotz, Quatsch machen. Witze machen. Fotos von unserem Essen twittern. Im Hinterhof einen Wein trinken. In vollem Bewusstsein unseres Privilegs, das tun zu können. In voller Solidarität mit allen, die keine Pause haben.
Ziehen Sie zunächst Ihre eigene Maske fest über Mund und Nase, erst danach helfen Sie anderen Passagieren. Alte Weisheit aus dem Flugbetrieb. Gerade der Journalismus und die Politik müssen einen klaren Kopf bewahren, atmen, um es allen zu ermöglichen.
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.