Christoph Sterz: Es war wohl ein politisches Attentat mit rechtsextremem Hintergrund. Das ist die Ansicht der Bundesanwaltschaft, bezogen auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor gut zwei Wochen. Und auch wenn die Ermittlungen noch längst nicht abgeschlossen sind, wird seitdem über den Fall wieder viel berichtet und kommentiert in den Medien. Die "Süddeutsche Zeitung" zum Beispiel schreibt, Deutschland habe es "mit einer neuen, einer braunen RAF zu tun"; und der Tagesspiegel zitiert einen Extremismus-Experten, der von einem großen Potenzial für rechten Terror spricht und sagt, "die nächsten zwölf bis 18 Monate" würden besonders gefährlich werden. Andrea Röpke, vielfach ausgezeichnete freie Journalistin und Buchautorin mit Spezialgebiet Rechtsextremismus: Ist das medialer Alarmismus – oder wachen die Redaktionen jetzt endlich auf?
Andrea Röpke: Ich glaube, die Redaktionen sind längst aufgewacht. Tatsächlich, nach den Verbrechen des NSU mit den zehn Morden und Anschlägen ist schon eine Sensibilisierung da. Ich glaube nicht, dass wir unbedingt von einer braunen RAF sprechen müssen, aber wirklich genauer in diese Richtung – rechte Gewalt, rechten Terrors – gucken zu müssen, ist wirklich mehr als gerechtfertigt.
Sterz: Nun ist es ja so, ich habe es gesagt: Die Ermittlungen laufen noch. Laut der Bundesanwaltschaft gibt es auch bisher keine Hinweise auf ein rechtsterroristisches Netzwerk. Warum ist es an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt wichtig, genau jetzt so zu informieren und eben über diese Möglichkeit des politischen Anschlags zu sprechen?
Röpke: Es ist natürlich erstmal gerechtfertigt, weil es ein Politiker ist, der sich engagiert hat für Flüchtlinge. Wir haben tatsächlich eine total verrohte Entwicklung seit 2013/14. Er stand im Visier der Rechten. Er wurde angefeindet. Dann natürlich die Hinrichtungsmethode und nicht zuletzt tatsächlich der Tatort Kassel. Wir haben auch bei den Verbrechen des NSU einen der Morde fast unaufgeklärt, was die Netzwerke im Hintergrund angeht, in Kassel gehabt. Also das heißt, wir müssen wirklich sensibilisiert werden. Wir müssen Akten wälzen. Wir müssen ganz akribisch auch als Journalisten uns daran setzen zu schauen: Was haben wir versäumt? Was haben wir damals recherchiert? Was haben die Untersuchungsausschüsse hervorgebracht? Und gibt es vielleicht Zusammenhänge zu der Tat, die jetzt passiert ist?
"Natürlich tragen wir da eine Mitverantwortung"
Sterz: Gestern hat der Journalist Georg Diez gesagt, dass über Rechtsextremismus seiner Meinung nach oft zu zögerlich berichtet wird und dass es in den Medien eine gewissen Angst davor gebe, Dinge zu benennen, die mit rechtem Terror zu tun haben. Sehen sie das auch so?
Röpke: Ja, leider. Ich habe selber das Jahrbuch Rechte Gewalt veröffentlicht über zwei Jahre hinweg, weil wir eben auch die Notwendigkeit gesehen haben, wirklich analytisch, hintergründig, umfassend mit diesem Alltagsterror in Deutschland umzugehen. Ich glaube, medial scheut man wirklich immer wieder davor. Wer hat schon gern tatsächlich das Problem im eigenen Haus? Es ist immer leichter, nicht vor der Haustür kehren zu müssen. Ich habe auch das Gefühl, dass rechte Gewalt, rechter Terror, die sich hier wirklich anhand einiger Organisationen einnisten konnten, dass wir das medial in den letzten Jahren zu wenig beleuchtet haben.
Sterz: Bedeutet das auch für Sie persönlich als Fachjournalistin, dass sie dann einfach nicht angefragt werden? Und dass wenn jetzt so etwas passiert, dass da Leute Sie anrufen, aber sonst eben nicht?
Röpke: Ja, klar. Wir werden natürlich massiv befragt, wenn etwas passiert ist, aber wenn wir dann in die Tiefe gehen wollen und dann Parallelen ziehen wollen oder wenn wir darauf hinweisen wollen, dass vielleicht die Tatorte kein Zufall sind, sondern dass es gerade dort passiert, wo auch eine militante Neonazi-Szene existiert. Wenn darauf hingewiesen wird, dass Combat 18, eine militante Organisation, wieder am Erstarken sind, dass die sich europaweit vernetzen, dann wird das oft nur kurz aufgegriffen und ist dann in den nächsten Tagen, Wochen schon wieder vergessen. Und vor allen Dingen finde ich auch, dass investigative Recherche – und die passiert natürlich allerorts und es gibt sehr gute Politik-Redaktionen, die da hinterher sind – aber es ist noch zu wenig. Also wir müssen wirklich unabhängig von der Generalbundesanwaltschaft in der Lage sein zu recherchieren: Ist das jetzt wirklich ein Einzeltäter? Ist das wirklich eine Einzeltat gewesen? Oder steckt nicht doch, wie es so viele vermuten und wie es so naheliegend ist: Stecken weitere Mittäter oder sogar Netzwerke dahinter?
Sterz: Das heißt eine mangelhafte Recherche könnte dann auch dazu beitragen, dass Rechtsextremismus vielleicht auch verharmlost wird?
Röpke: Ich glaube nicht, dass die Recherchen immer mangelhaft sind. Ich würde gar nicht so weit gehen. Ich glaube einfach, dass wir nicht das Potential dazu haben, dass wir nicht die Zeit dazu haben, wirklich ausreichend zu recherchieren. Also wir haben alle Ansätze, wir haben alle Hinweise darauf, dass hinter dem NSU, zum Beispiel den Verbrechen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, ganze Netzwerke existierten. Unter anderem auch militante Netzwerke, die dazu gehörten beim Tatort Kassel. Und ich denke, es hat Ansätze gegeben, das ausreichend aufzuklären, aber es sind auch Grenzen da. Also es ist natürlich auch immer wieder schwierig. Aber natürlich hängt auch von unseren Recherchen, die wir anstellen, die Aufklärung ab. Das heißt, natürlich tragen wir da eine Mitverantwortung, und wenn wir nicht in der Lage sind und das nicht können und nicht genug Möglichkeiten haben, dann hakt es natürlich auch in der Aufklärung. Und dann können tatsächlich Taten abgetan werden und verharmlost werden als Taten von durchgeknallten, rechten Einzeltätern, und tatsächlich steckt womöglich weitaus, viel mehr gefährliches Potential dahinter.
Berichterstattung mit Bodyguard
Sterz: Apropos gefährliches Potential. Die Recherchen, die Sie als Fachjournalistin im Bereich Rechtsextremismus machen, die sind ja auch nicht ungefährlich, und wenn Sie sich jetzt diese Tat mit mutmaßlich rechtsextremistischen Hintergrund anschauen, kommen Sie dann auch ins Grübeln und bekommen es auch so ein bisschen mit der Angst zu tun, was die eigene Arbeit und eben die Recherchen vor Ort angeht?
Röpke: Na ja, wir warnen ja schon seit Jahren davor, dass sich da in Hinblick auf Pegida und andere, dass sich da tatsächlich große Mischszenen offenbaren. Das heißt, wir haben zusehends eine Vermischung von militanten Neonazi-Rechtsextremen-Spektrum mit Kampfsport-Milieu, mit Rotlicht-Milieu, mit Rocker-Milieu. Die Affinität zu Waffen hat noch zugenommen. Die Waffenbeschaffung ist leichter geworden. Schießübungen sind leichter geworden europaweit. Vor dieser Entwicklung warnen wir seit Jahren, auch in den Büchern. Von daher ist das nicht ganz so neu. Klar, es ist auch für uns recherchierende Journalisten und für diejenigen, die da wirklich vor Ort sind, ist es ganz klar gefährlicher geworden. Das sieht man ja auch schon an den ganz "normalen" asylfeindlichen Demonstrationen. Das geht ja bis hin zu einer AfD-Veranstaltung, wo Kamerateams angegriffen werden. Also ich kenne viele Journalisten, viele Teams, die nicht mehr ohne Bodyguards rausgehen. Also die Berichterstattung, gerade in diesem rechtsextremen Milieu, ist wirklich gefährlicher geworden in den letzten Jahren.
Sterz: Was wäre zu tun, um das zu ändern. Weil, ich meine, alleine mehr berichten, hilft ja nicht – oder?
Röpke: Ich glaube, wir müssen einfach dieses Thema – rechtsextremistische Gewalt, Verrohung der Gesellschaft, soziale Medien als eigene Medien zum Aufputschen usw. – es muss einfach breiter und akzeptabler vermittelt werden. Das heißt, wir gehen da immer so ran: Wir sind empört. Dann wird eine braune RAF daraus gemacht. Sicherlich, da ist was dran, aber wir spitzen das Ganze zu, wir schüren Panik und wir sollten wirklich nachhaltig damit umgehen mit dem Thema. Es ist ein Teil unserer heutigen Gesellschaft. Wir haben diese rechte Gewalt. Wir haben tatsächlich diese Strukturen. Wir haben diese Organisationen im Hintergrund. Die sind da. Und damit sollten wir nicht hysterisch umgehen, sondern wirklich professionell, nachhaltig mit der Profession der Wissenschaft zusammenarbeiten und wirklich überlegen: Wie können wir damit umgehen und nicht einzelne Leute ins Visier geraten lassen, sondern uns als Bollwerk, als ganze Gesellschaft, als Zivilgesellschaft dahinstellen und vermitteln: bis hier hin und nicht weiter. Mehr lassen wir nicht zu. Das heißt tatsächlich, ich glaube als erstes, sich dem Problem wirklich vernünftig stellen.
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