Archiv

Medien und Rechtspopulismus
"Ich bin immer der Ausländer für solche Leute"

Der Spiegel-Redakteur Hasnain Kazim ist der Sohn indisch-pakistanischer Eltern. Das macht es für ihn nicht leichter, über Rechtspopulisten zu berichten. Aber nicht nur für diese bleibt er "der mit dem Migrationshintergrund".

Hasnain Kazim im Gespräch mit Brigitte Baetz |
    Der Journalist Hasnain Kazim in einer Fußgängerzone
    Journalist Hasnain Kazim, Österreich-Korrespondent des SPIEGEL (dpa, picture alliance/Can Merey)
    Brigitte Baetz: Sehen Sie sich eigentlich als Journalist mit Migrationshintergrund?
    Hasnain Kazim: Na, ich mich selbst nicht. Ich werde dazu gemacht. Das Problem ist ja, man fragt sich ja immer, wann wird man diesen Migrationshintergrund los, wann spielt der keine Rolle mehr. Und in meinem Fall oder in Fällen von Menschen, die im äußerlich wahrnehmbar irgendwie Wurzeln woanders haben – wegen ihrer dunklere Hautfarbe oder wegen ihres vielleicht nicht ganz so geläufigen Namens – bleibt das immer. Ich meine, als Kind habe ich das verloren. Ich bin in einem Dorf groß geworden. So, dann war ich irgendwann ein Mitglied dieser Dorfgemeinschaft und dann spielt das überhaupt keine Rolle mehr. Aber immer wenn man neu irgendwo hinzukommt - in eine neue Gruppe, muss man sich eben neu definieren, sich neu rechtfertigen beziehungsweise begründen, wo man herkommt. Und als Journalist, der in der Öffentlichkeit steht, tut man das natürlich permanent. Das wird einem das zugeschrieben. Also ich kann auch über völlig nicht kontroverse Themen schreiben, ich kann über eine Radtour schreiben, die mache, ich kann eine Konzertkritik schreiben, Buchkritik, Literaturkritik – und trotzdem bin ich immer der Ausländer für manche Leute. Das ist eben schwierig, weil ich glaube, dass sehr viele Menschen sich nicht daran gewöhnen können, dass ein Deutscher eben nicht blond und blauäugig sein muss. Und er muss auch Hans Müller oder Maria Meier heißen.
    "Die AfD tut es ja – also dürfen wir es auch"
    Baetz: Der Aufstieg der AfD hat der sich auf das Verhältnis der Umwelt Ihnen gegenüber ausgewirkt?
    Kazim: Auf jeden Fall. Er hat sich ausgewirkt schon in der Zeit, als die AfD stärker wurde, als sie dann das Thema Migration, Flüchtlinge, Ausländer fand – das war ja nicht ihr ursprüngliches Thema. Dadurch wurde sie ja stark. Man merkt das ganz deutlich daran, dass immer mehr Menschen sich jetzt trauen, durchaus rassistische, feindselige Bemerkungen zu machen, Kommentare abzugeben und dafür sich nicht mehr zu schämen. Sie müssen nicht mehr hinterm Berg halten, denn die Partei im Bundestag tut es ja auch – die AfD. Also dürfen wir es auch. So denken diese Leute. Ich habe das gemerkt am Tag der Bundestagswahl. Als klar war, dass die AfD auf jeden Fall über fünf Prozent ist und in den Bundestag einzieht, da schrieb mir unter anderem jemand: `Ab heute gibt es für Menschen wie dich nur noch einen Platz in Deutschland – am Galgen´. Das war für mich so symptomatisch für die Haltung, die die Leute haben. Jetzt können sie wirklich ihren ganzen Hass einfach so raushauen. Und es ist nicht mehr peinlich, sondern es ist eben etabliert.
    "Es gibt Regeln des Miteinanders – die gelten immer"
    Baetz: Sie haben mit Kollegen schon vor Jahren auf die wachsenden Hasskommentare reagiert, indem Sie mit Hate-Poetry, so hat man das genannt, auf Tour gegangen sind, also aus Leserbriefen vorgelesen haben. Sie haben ein ganzes Buch geschrieben, "Post von Karlheinz" heißt das. Ist das immer noch die richtige Art, damit umzugehen?
    Kazim: Also das Vorlesen war ja tatsächlich nur das Vorlesen der Post, die wir bekamen. Das war keine Reaktion darauf, wir haben ja nicht darauf geantwortet. Vereinzelt haben das Kolleginnen und Kollegen getan, aber das hatte kein System. Ich habe mir dann ja 2016 vorgenommen, Als es immer mehr wurde und es hieß, wir müssen die Sorgen und Nöte der Bürger ernst nehmen, wir müssen mit ihnen auf Augenhöhe reden, den Dialog suchen, das hat mich geärgert. So viel Hass, so viel abgrundtief Brutales, Gewalttätiges in der Sprache – was soll ich denn da mit denen auf Augenhöhe reden? Was soll ich überhaupt den Dialog suchen? Macht das Sinn? Da habe ich dann angefangen zu antworten. Ich glaube, die Auseinandersetzung zu suchen, ist schon der richtige Weg. Aber eben – naja was heißt Augenhöhe – also nicht mit Verständnis nicht mit "wir akzeptieren alles, was ihr sagt", sondern wir müssen auch schon ganz klar sagen: Hört mal, es gibt Grenzen in einem zivilisierten Miteinander, die gibt es auch heute noch. Die werden sich nicht ändern, nur weil es eine AfD gibt oder weil es irgendwelche Rechtsextremen gibt, die jetzt mächtiger werden, sondern es gibt Regeln des Miteinanders. Die gelten immer. Die müssen wir einfordern. Zur Not müssen wir Leuten auch sagen, ihr steht jenseits dieser Grenze, ihr seid im Abseits, ihr grenzt euch selber aus. Ich grenze euch nicht aus, sondern ihr grenzt euch selber aus, ihr steht im Abseits. Ihr müsst jetzt etwas dafür tun, dass ihr wieder zurück in die Gesellschaft kommt.
    "Die muss man einordnen und sagen, so geht es nicht"
    Baetz: Als Journalist soll man ja möglichst eine neutrale Haltung einnehmen. Können Sie das als Hasnain Kazim, wenn Sie über Rechtspopulismus berichten? Sind Sie nicht dann durchaus immer auch Partei?
    Kazim: Ich halte diese Aussage, man sollte immer neutral berichten, grundsätzlich schon mal für nicht richtig. Man kann über Rassismus, über Menschenfeindlichkeit, über Niederträchtiges nicht neutral und kühl Bericht erstatten und so tun, als wäre das eine normale Stimme im gesamten Meinungsspektrum im Diskurs. Wenn es so etwas gibt wie Leute, die sagen – und solche Post bekomme ich ja, wir müssen die alle an der Grenze erschießen. Das schreiben mir relativ viele Leute. Die wollen ja damit sagen, wir fühlen uns überfordert mit so viel Zuwanderung. Wir müssen vielleicht eine andere Grenzpolitik, eine andere Flüchtlingspolitik einführen. Das kann ich ja nachvollziehen. Das ist ja eine legitime Forderung, das so zu tun. Man muss nicht dieser Meinung sein, aber darüber könnte man berichten. Aber wenn Leute sagen, wir müssen die alle erschießen oder alle auf's Schlauchboot und zurück auf's Mittelmeer, am besten mit Loch drin. Das sind so die Formulierungen, die kommen. Da kann man nicht sagen, das ist eine Meinung, die auch im Raum steht und die muss man sich anhören, sondern die muss man kritisieren, die muss einordnen und sagen, so geht es nicht.
    "Sehr, sehr schwierig, mit solchen Leuten umzugehen"
    Baetz: Wie erfahren Sie das, wenn Sie mit Gesprächspartnern wie zum Beispiel Caroline Sommerfeld-Lethen sprechen? Eine bekannte deutsche Identitäre, die auch in Österreich lebt, die Sie deswegen, weil Sie Österreich-Korrespondent des SPIEGEL sind unter anderem ja auch besucht haben. Wie gehen Sie mit denen um?
    Kazim: Das ist sehr schwierig, weil sie sich ja auch winden und immer so tun, als wären sie eben eine normale, akzeptable Stimme im gesamten Spektrum. Was sie nicht sind, denn sie sind schon tatsächlich rassistisch. Ich habe das Gespräch dann gesucht mit ihr. Sie sagt mir dann ins Gesicht, ich könne kein Deutscher sein. Ich bin zwar in Deutschland geboren, ich bin in Deutschland sozialisiert, ich war bei der Bundeswehr im Übrigen, bin deutscher Staatsbürger. Aber trotzdem sagt sie, ich könne kein Deutscher sein, weil ich eben nicht weiß bin. Das ist zutiefst rassistisch. Das ist immer noch die alte Vorstellung, dass man weiß sein muss, um Deutscher sein zu können – ethnisch definiert. Dann sagte sie, es wäre ja schon in Ordnung und ich wäre ja immerhin kulturell angepasst, aber Deutscher könnte ich mich nicht nennen. Vor einigen Tagen hat sie dann in Köln – ich war nicht dabei – auf einer Podiumsdiskussion mich noch mal angesprochen, ich könnte kein Deutscher sein, ich wäre ein Fremdkörper. Was macht man mit einem Fremdkörper? Einen Fremdkörper entfernt man, weil er eben fremd ist, er gehört nicht dorthin. Das sind so die Denkweisen, die heutzutage sagbar geworden sind. Sie schämt sich nicht mal, sie traut sich das ganz offen zu sagen. Deswegen ist es sehr, sehr schwierig mit solchen Leuten umzugehen. Was soll man denen noch sagen?
    "In Deutschland gibt es No-Go-Areas für mich"
    Baetz: Sie sind beide Deutsche, die in Österreich leben. Ist die Situation in Österreich vergleichbar mit der in Deutschland?
    Kazim: Nein. Also man kann sie nicht vergleichen. Es ist schon so, dass es in Österreich auch sehr viel zu kritisieren gibt. Es gibt ja jetzt eine konservativ-rechtspopulistische Regierung. Man könnte meinen, es wäre schlimmer als in Deutschland. Tatsächlich ist es so, dass auch sehr viel passiert im Regierungshandeln, was sehr kritikwürdig ist - insbesondere von dem kleineren Koalitionspartner – der FPÖ, die rechtspopulistisch ist im weiten Teilen, in manchen Teilen sogar auch rechtsextrem. Auf der anderen Seite muss man bei Österreich aber auch sagen, ein Mensch wie ich mit meiner Hautfarbe, der eben fremd aussieht sozusagen – ich kann mich in Österreich überall bewegen. Es gibt keine Region in Österreich, wo ich sage, dass wäre eine No-Go-Area. Ich kann überall hingehen, ich muss nicht fürchten, dass ich angespuckt, geschlagen, beschimpft werde. Selbst ins sehr konservative Kärnten kann ich fahren. Das ist anders in Deutschland. In Deutschland gibt es No-Go-Areas für mich. Es gibt nationalbefreite Zonen, so nennen sie sich selbst, in Teilen Sachsens, in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt. Das ist für mich schon skandalös, dass ich in meinem eigenen Land nicht hinfahren kann, weil mir dort sozusagen Gefahr für Leib und Leben droht. Das ist ja schon seit vielen, vielen Jahren so. Und nichts geschieht. Man nimmt das einfach so hin. Es ist dann halt so.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.