„Ein Tauchboot, das gelegentlich Touristen zum Wrack der ‚Titanic‘ transportiert, wird im Atlantik vermisst“, heißt es am späten Montagnachmittag noch nüchtern in der ersten kurzen Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Kurz vorher hat die BBC über das Thema berichtet und es so auf den Radar internationaler Medien gebracht.
Keine zwei Tage später sind alleine in Deutschland unzählige Nachrichtenmeldungen und Reportagen zu der Suche erschienen. Die dpa schreibt inzwischen von einem „modernen Abenteuer“ – und meint damit die Reise unter Wasser, auf sich die fünf Insassen des vermissten U-Boots eingelassen haben.
Experte Jackob: „Wahnsinnig interessant für Nachrichten“
Für Kommunikationswissenschaftler Nikolaus Jackob liegt genau hier eine entscheidende Erklärung dafür, warum so viele Medien so breit berichten. Das Thema beinhalte zahlreiche der Faktoren, die ein Ereignis zum Medienthema machten, erklärt der Geschäftsführer des Instituts für Publizistik der Universität Mainz gegenüber dem Deutschlandfunk: „Überraschung, etwas Mystik, historischer Kontext.“
Eben ein „Abenteuer“, das an Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ erinnere, so Jackob. Hinzu komme, dass das Wrack der Titanic „selbst ist im Grunde eine Medienpersönlichkeit“ sei. „Das macht dieses Ereignis so wahnsinnig interessant für Nachrichten.“
Ob das auch die Rezipienten dieser Nachrichten, die Leserinnen oder Zuhörer, das so sehen würden, spiele deshalb erst einmal auch keine Rolle, stellt der Kommunikationswissenschaftler mit Blick auf die Ergebnisse aus Jahrzehnten der Nachrichtenforschung fest. „Das hat vor allem etwas damit zu tun, was Journalistinnen und Journalisten denken, was eine Nachricht ist.“
„Der Journalismus ist ein neuigkeitssüchtiges System“
Und ist diese Berichterstattung über eine einzelne Rettungsaktion angemessen? In welchem Verhältnis steht sie etwa zu der nach dem Schiffsunglück im Mittelmeer in der vergangenen Woche? Aus Mediensicht gebe es bei diesem anderen Thema eine „gewisse Abstumpfung“, stellt Jackob fest.
Der Journalismus sei ein „neuigkeitssüchtiges System“, das von Aktualität lebe. Und wenn ein Schiff mit Flüchtenden kentere und dabei Hunderte Menschen stürben, sei das zwar tragisch, aus Mediensicht aber leider eben keine große Überraschung mehr.
"Guardian" kritisiert unterschiedliche Reaktionen
Der „Guardian“ hatte in einem Kommentar den Einsatz von Rettungsbemühungen bei beiden Ereignissen miteinander verglichen.
Hier gebe es „wohl kaum einen krasseren Gegensatz zur Reaktion in der letzten Woche auf das Sinken eines Fischkutters im Mittelmeer mit ungefähr 750 Menschen an Bord, einschließlich Kindern“, kritisiert die britische Tageszeitung, ohne dabei auf die Berichterstattung einzugehen.
Hier hatte der "Guardian", so wie viele andere Medien auch, ausführlich berichtete und dabei früh eine Art Live-Ticker eingerichtet.
Medienpsychologin Urner: U-Boot-Suche "überschaubare Geschichte"
Die Geschichte des vermissten U-Boots sei vor allem eine „überschaubare Geschichte", unterstreicht Maren Urner. Die Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln sagte im Deutschlandfunk, bei der Suche nach den fünf Menschen gebe es einen Zugang und eine Dramatik, die es bei sonstigen Themen oft nicht gebe.
Die Klimakrise und der Krieg gegen die Ukraine etwa seien viel komplexer. Außerdem sei bei diesen Themen kein Ende absehbar, was bei Menschen eine Nachrichtenmüdigkeit und eine Abwehrhaltung erzeuge.
Dennoch sei es wichtig, auch Themen wie Flucht und ihre Ursachen so abzubilden, „dass auch sie Menschen interessieren“, fordert Urner. Es brauche mehr Verantwortung im Journalismus, welche Themen wie verhandelt würden.