Das Foto zeigt den Österreichern Bundeskanzler Sebastian Kurz zusammen mit einer älteren Dame. Die Frau trägt Tracht, eine rot-weiß-rote Flagge und sie begrüßt den Kanzler sichtlich begeistert mit gebührendem Abstand.
Entstanden ist das Foto am 13. Mai, beim Besuch des Kanzlers in der kleinen Gemeinde Kleinwalsertal in Vorarlberg. Es wird später die Beiträge praktisch aller reichweitenstarken Medien zieren, die über den Besuch berichten.
Sebsatian Kurz‘ Instagram-Post zum Besuch im Kleinwalsertal.
Dabei lässt sich die Kanzlervisite in Kleinwalsertal auch so zusammenfassen: "Das, was da passiert ist, war ein schwerer und für Sebastian Kurz sehr ungewöhnlicher PR-Fehltritt", sagt der österreichische Politikberater Thomas Hofer.
Nur wenige Pressefotos aus dem Kleinwalsertal
Hintergrund: Sebastian Kurz kommt im Kleinwalsertal in Kontakt mit hocherfreuten Bewohnern, die einander und dem Kanzler viel zu nahe rücken, viele ohne Schutzmaske. Ein Problem für den Kanzler, der seit Wochen eine strenge Einhaltung der Abstandsregeln anmahnt und sonst immer penibel auf seine Außendarstellung achtet.
Die kritische Szene hat die Tageszeitung "Voralberger Nachrichten" in einem Video festgehalten. Sebastian Kurz ist zu sehen, wie er sich den Weg durch eine Menschenmenge bahnt und sogar für Handyfotos posiert.
Kaum Abstand – die "Voralberger Nachrichten" haben das Video aus dem Kleinwalsertal bei Youtube hochgeladen.
Die wenigen Fotos, die Medien unter dem Stichwort Kleinwalsertal bei den gängigen Bildagenturen zur Verfügung stehen, zeigen diese Szenen aber nicht.
"Standard"-Fotograf: Gut für den Kanzler, schlecht für die Presse
"Furchtbar, es ist wirklich ganz ganz furchtbar, wenn so etwas passiert, und da muss man echt aufpassen", ärgert sich Matthias Cremer. Der 64-jährige ist der einzige angestellte Fotograf der Wiener Tageszeitung "Der Standard" und seit Jahrzehnten erfolgreich im Geschäft.
Redaktionen größerer Medien hätten den Besuch des Kanzlers im Kleinwalsertal schlicht verpasst oder aus Kostengründen keine Fotografen hingeschickt, sagt er: "Das ist gut gelaufen für den Kanzler und schlecht gelaufen für die Presse".
Kurz' Fotograf Dragan Tatic
Sebastian Kurz mit Entscheidermiene und Handy am Ohr, Sebastian Kurz als Erklärer im Gespräch mit den Größen der Weltpolitik, Sebastian Kurz mit Hundewelpen – immer wieder illustrieren Medien ihre Berichte mit Bildern, die den Kanzler in Szene setzen.
In der Regel hinter der Kamera: Dragan Tatic. Er ist seit 2013 der offizielle Fotograf von Sebastian Kurz und laut der Homepage des Bundeskaleramts externer Referent in der Abteilung "Digitale Kommunikation".
Instagram-Post von Sebastian Kurz. Auch hier stand Dragan Tatic hinter der Kamera.
Für ein Interview mit der ARD steht Tatic nicht zur Verfügung. Sein Argument in früheren Interviews: Er mache seit Jahren Fotos von öffentlichen Terminen und stelle sie zur Verfügung, ohne Einfluss darauf, ob Medien diese Bilder auch nehmen.
Politikwissenschaftlerin kritisiert "idealtypische Perspektive"
Eine durchaus problematische Praxis, sagt Politikwissenschaftlerin Petra Bernhard, Expertin für visuelle Kommunikation und PR-Fotos in der Politik.
"Das sind Bilder, die eine ganz bestimmte idealtypische Perspektive auf Politik einnehmen, die also die Auftraggeber und Auftraggeberinnen im besten Licht präsentieren. Wenn dieses Bildmaterial zum Gegenstand der journalistischen Berichterstattung wird, dann übernehmen Medien zwangsläufig auch diese Perspektive."
Die Fotos seien in der Regel von hoher Qualität, und würden kostenlos über Bildagenturen angeboten werden, sagt Petra Bernhard. Ein Faktor für Redaktionen in Zeiten knapper Budgets.
"Standard"-Fotograf fordert Transparenz
"Standard"-Fotograf Matthias Cremer will dem Kanzler keinen Vorwurf aus dieser Praxis machen, denn dieser wolle ja schließlich wiedergewählt werden. Redaktionen müssten eben selbst Fotografen beauftragen oder die Verwendung von Kanzleramtsfotos transparent machen. Die Bilder aus dem Kleinwalsertal zeigten besonders deutlich, worin der Unterscheid bestehe.
"Das Journalistische ist, dass man versucht, das Markante an einer Situation herauszuarbeiten, auch wenn das jetzt nicht im Sinne des Bundeskanzlers ist. Wenn einer, der wochenlang predigt – 'Haltet Abstand, macht Mundschutz und passt auf aufeinander' – quasi ein Bad in der Menge nimmt, dann läuft da was schief. Das muss man darstellen. Da geht es gar nicht um Ästhetik, sondern um das Dokumentieren dieser Situation. Das muss man machen, das ist genau der Punkt. Und wenn man auf diesem Punkt nicht drauf ist, ist man kein Journalist".