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Medienfreiheit in Ungarn
Orban erhöht Druck auf die freie Presse - EU erhebt Klage

Seit in Ungarn Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei regieren, geht es dort mit der Pressefreiheit bergab. Zuletzt wurde der Sender Klubradio gesperrt, jetzt soll eine Steuerreform den Journalisten das Leben weiter erschweren. Die EU hat Ungarn nun verklagt.

Von Stephan Ozsváth | 18.07.2022
Nach seinem Wahlsieg spricht Viktor Orban zur Presse
Wer darf was berichten? Ungarns Staatschef Orban spricht zur Presse (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Tausende waren es, die letzte Woche vor das Parlament in Budapest gezogen sind. Ihr Ärger richtete sich diesmal gegen eine Steuerreform: Für etwa 300.000 Freiberufler – darunter viele Journalisten – fällt künftig die Pauschalsteuer weg. Sie müssen künftig tiefer in die Tasche greifen. Selbst schuld, meint Imre Para Kovács – Moderator beim regierungskritischen Klubrádió, das seit einem Jahr nur noch Online sendet:
"Wollt Ihr, dass man Euch für dumm verkauft? Darauf hat das ungarische Volk am 3. April eine klare Antwort gegeben. Bevor jetzt jeder schreit: Scheiss-Faschisten-Regierung: Es war ja nicht so, dass wir schlafen gegangen sind und wir hätten über Nacht so eine Regierung bekommen."

Aus öffentlichen Medien wurde Staatsfunk

Seit 2010 wählen die Ungarn Orbán immer wieder. Und seitdem geht es bergab mit der Pressefreiheit: Insgesamt minus 62 Punkte in der Statistik von "Reporter ohne Grenzen". Das sei keine unabhängige Organisation, kontert die Regierung.
Nur: Aus dem öffentlichen wurde unter Orbán ein Staatsfunk, 500 regierungsfreundliche Medien schlüpften unter das Dach einer Stiftung, die Regierung ließ Journalisten ausspähen, das unabhängige "Klubrádió" verlor die Frequenzen im Äther. Sender und 200.000 Hörer mussten ins Netz umziehen.

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Regierung plant Werbesteuer

Zuständig dafür ist die Medienbehörde. Sie ist von Fidesz-Leuten geführt – die Regierung hält sie für unabhängig. Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen, ist allerdings besorgt: "Seit der Wiederwahl von Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz im April dieses Jahres hat die Medienaufsicht erneut die unabhängigen Radios ins Visier genommen. Und zu unserer großen Sorge plant sie eine Werbesteuer, welche die bereits stark geschrumpfte Medienvielfalt weiter schwächen könnte."
Die Einzelheiten sind noch unklar. Csaba Lukács, der die unabhängige Wochenzeitung Magyar Hang leitet, denkt aber, die Werbesteuer ziele vor allem auf große, unabhängige Medien wie RTL Klub oder unabhängige Online-Portale wie telex.hu. Etwa zwei Dutzend unabhängige Medien gibt es derzeit noch in Ungarn – sie alle kämpfen ums Überleben und einen winzigen Anteil am Werbemarkt. Magyar Hang überlebt nur mit Hilfe seiner Leser.

Apathie nach der Wahl

Lukács hat andere Probleme: "Seit den Wahlen ist die unabhängige Presse in großen Schwierigkeiten. Das hat zwei Gründe: Das eine ist die Apathie nach der Wahl. Die Leute kaufen deshalb keine Zeitungen mehr. Es gibt Zeitungen, die in einem Monat ein Viertel ihrer Leser verloren haben. Bei uns waren es 18 Prozent. Das dünne Eis, auf dem wir tanzten, brach ein."
Hinzu kämen gestiegene Preise und der schwache Forint, sagt Lukács - denn seine Zeitung wird in Bratislava gedruckt, dort wird in Euro bezahlt. 11.000 Leser braucht er zum Überleben: "Die Explosion der Lebensmittelpreise führt dazu, dass die Leute die Zeitung nicht mehr in den Einkaufswagen legen. Mit Blick auf Fleisch- und Brot-Preise ist der erste Luxusartikel, auf den Verbraucher verzichten können, die Zeitung."

Krise erreicht auch Fidesz-Medien

Aber auch bei den regierungsnahen Medien regiert neuerdings der Rotstift. Das sei aber nicht nur der Inflation geschuldet, meint Medienrechtler Gábor Polyák, das Geld fließe zunehmend in Richtung Social Media. "Die Zeitung 'Figyelö' wurde eingestellt. Boulevardblätter wurden zusammengelegt. Pesti TV sendet nicht mehr. Die Tageszeitung Magyar Hírlap ist nur noch online zu erreichen. Trotz öffentlichen Geldes hat die Krise auch die Fidesz-Medien erreicht. Und eine Lehre aus der Wahl war, dass sich mit Propaganda-Mitteln auf Facebook & Co. mehr Wähler kaufen ließen als so eine teure, korrupte Medien-Maschinerie aufrecht zu erhalten, wie sie in den vergangenen zwölf Jahren entstand."