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Pressfreiheit in Europa
Streit um europäisches Medienfreiheitsgesetz

Die EU plant ein Gesetz, das den freien und unabhängigen Journalismus in den Mitgliedsstaaten stärken könnte. Doch ausgerechnet Länder wie Deutschland und Frankreich fordern die Abschwächung bestimmter Passagen - und gefährden so das ganze Vorhaben.

Harald Schumann im Gespräch mit Antje Allroggen |
Vera Jourova bei einer Pressekonferenz im Europäischen Parlament.
Vera Jourovás will die Pressefreiheit in der EU stärken - und stößt auf Widerstände. (IMAGO / Panama Pictures / Christoph Hardt)
Vera Jourová ist Vizepräsidentin der EU-Kommission und hat in ihrem Heimatland Tschechien den Kommunismus miterlebt – und damit auch das Leben in einem Staat, in dem es keine Pressefreiheit gibt. „Das war unkontrollierte Macht - und unanfechtbare Macht. So etwas darf in keinem Mitgliedsland der EU passieren“, so Jourová in einem Interview mit Investigate Europe.
Sie will deshalb die Pressefreiheit in der Europäischen Union schützen und sicherstellen, dass Medien in allen Mitgliedsländern frei berichten und „Politiker unter Kontrolle halten“ können – mit dem Media Freedom Act, dem Medienfreiheitsgesetz. 

Gesetz soll Pressefreiheit in allen EU-Mitgliedsstaaten stärken

Das Gesetz soll u.a. garantieren, dass öffentlich-rechtliche Medien unparteiisch berichten müssen und ihre Führungspositionen transparent besetzt werden. Staatliche Gelder sollen transparent und unabhängig von der politischen Ausrichtung an Medien verteilt werden. Der Einfluss von privaten Eigentümern auf ihre Zeitungen oder Fernsehsender soll beschränkt werden, Journalisten sollen redaktionelle Entscheidungen komplett unabhängig treffen können. Und auch das Ausspähen von Journalisten via Software wäre verboten, genauso wie sie zu zwingen, ihre Quellen preiszugeben.
Auf den ersten Blick alles höchst sinnvolle Maßnahmen für eine EU, in der die Pressefreiheit in vielen Ländern in den letzten Jahren stark gelitten hat. In Italien baut die rechtspopulistische Regierungschefin Giorgia Meloni den öffentlich-rechtlichen Sender RAI nach ihren Vorstellungen um und besetzt Führungspositionen mit Parteifreunden. In Polen, Ungarn oder Frankreich bringen Milliardäre und Mächtige immer mehr Medien unter ihre Kontrolle und lassen nach ihren ganz eigenen Vorstellungen berichten.

Deutschlands Blockadehaltung

Doch es gibt Kritik am Vorhaben Jourovás - und ausgerechnet Deutschland gehört zu den Ländern, die dem Gesetz skeptisch gegenüberstehen. So argumentierten deutsche Vertreter beispielsweise, dass die EU in diesen Fragen ihre Zuständigkeit überzieht und verwiesen auf die Kulturhoheit, die bei den einzelnen Staaten - und im Falle Deutschlands bei den Bundesländern - liegt.
Aber noch ein anderer Punkt spielt laut der Medienjournalistin Brigitte Baetz eine große Rolle bei der Skepsis der deutschen Regierung in Bezug auf das Medienfreiheitsgesetz: die Beschränkung des Einflusses von privaten Medieneigentümern auf redaktionelle Prozesse.
Laut Baetz fürchte die traditionell gut vernetzte Verlegerlobby um den Einfluss auf ihre Medien. "Journalisten könnten sich nun auf europäisches Recht berufen, wenn nicht nur der Staat, sondern auch die Eigentümer ihrer Medien Einfluss zu nehmen versuchen auf die Berichterstattung“ – zum Beispiel wie im Fall des Chefs des Springer-Konzerns Mathias Döpfner, der die Redaktion der "Bild" anwies, die FDP im Wahlkampf zu unterstützen.
Der Journalist Harald Schumann vom länderübergreifenden Rechercheverbund Investigate Europe kritisiert im Gespräch mit @mediasres die Blockadehaltung Deutschlands, das selbst über eine gesunde Presselandschaft verfüge.
"Zu sagen, wir brauchen kein europäisches Recht, ohne gleichzeitig Vorschläge zu machen, wie die problematische Situation in anderen Ländern verbessert und auf europäischer Ebene Medienfreiheit durchgesetzt werden kann, das war sehr schlechter Stil von der deutschen Seite. Nach dem Motto: Wir brauchen das nicht und was im Rest von Europa passiert, ist uns doch egal."

Angst vor "Blankoscheck zur Journalistenüberwachung"

Mittlerweile habe die deutsche Regierung eingelenkt - allerdings nur unter einer Bedingung, die Schumann besonders kritisch sieht. Zusammen mit Frankreich drängt Deutschland darauf, den Passus über den Schutz von Journalisten vor Überwachung und dem Einsatz von Spionagesoftware abzuschwächen. „Er soll aufgehoben werden, wenn es um die nationale Sicherheit geht. Das ist aber so vage definiert, dass es eine Art Blankoscheck zur Journalistenüberwachung wäre, wenn es ins Gesetz einfließen würde.“
Bei den kommenden Verhandlungen zwischen EU-Parlament und –Rat über den endgültigen Gesetzentwurf werde das einer der großen Streitpunkte werden, glaubt Schumann.