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Medienkünstler Oliver Hangl
Urbane Interventionen aus Olliwood

Stille Discos, Konzerte in Baulücken oder beim Bummel durch die Stadt: Der österreichische Medienkünstler sorgt mit seinen urbanen Interventionen in Wien für Aufsehen. Sein Publikum ist Teil der Inszenierung.

Von Paul Lohberger |
    Oliver Hangl bei einem Guerilla Walk in Taipeh
    Oliver Hangl bei einem Guerilla Walk in Taipeh (Oliver Hangl)
    Ich bin einer der Miterfinder der Silent Discos, ich hatte wie drei andere Menschen in Europa die Idee, lautlose Funkkopfhörer-Discos im öffentlichen Raum zu gestalten."
    Ganz ohne Lautsprecher kommt die Musik vom DJ über Funkkopfhörer zu den Gästen, an einem vorher bestimmten Ort in der Stadt. Die Menschen bewegen sich in einer Disco, die per Kopfhörer als zusätzliche Ebene im gewöhnlichen öffentlichen Raum entsteht – auf Plätzen, in Parks und mittlerweile auch in Schwimmbädern.
    Bis zu 300 Leute bei den Silent Discos
    Die Transformation des Raums fand Oliver Hangl viel interessanter als das kommerzielle Potenzial des Party-Aspekts – auch wenn bis zu 300 Leute zu seinen Silent Discos kommen.
    "Mich interessiert an den Silent Discos vor allem die Isolation der Teilnehmer im Raum – sobald ich die Kopfhörer aufhabe, vergesse ich die Umgebung und beginne zu tanzen. Von außen gesehen, sieht es eigentlich ziemlich krank aus, tanzende Menschen ohne Musik zu sehen."
    Verbunden durch die Kopfhörer werden die Menschen zu einer Gemeinschaft. Mit dieser Gruppe kann Oliver Hangl nun gezielt kommunizieren und Aktionen starten. Als Weiterentwicklung seiner Silent Gehsteigdiscos inszeniert Oliver Hangl ein "Kino im Kopf". Da kam aus den Kopfhörern eine Hörfilmfassung von "La Strada", dem Schaustellermärchen von Federico Fellini mit der zusätzlichen Tonspur für Blinde und Sehbehinderte.
    "Eine zweite Wahrnehmungsebene hat viel Potenzial"
    Das Bild zu "La Strada" aber war die Aussicht auf die unablässig rollende Autolawine am Wiener Gürtel.
    "Zum Beispiel hier am Hauptbahnhof, wo schon ein Grundlärm ist oder auf einer stark befahrenen Straße, da eine zweite Wahrnehmungsebene reinzusetzen, das hat noch viel Potenzial. Ich habe doch noch einige Ideen."
    Oliver Hangl in voller Montur
    Oliver Hangl in voller Montur (Oliver Hangl)
    Das Interview mit Oliver Hangl findet nicht zufällig am neuen Wiener Hauptbahnhof statt. Der Künstler soll das Viertel mit seinen Angeboten bespielen, damit die Stahlbetonarchitektur der komplett neuen Stadtgegend an Identität gewinnt. Einerseits isolieren die Kopfhörer die Individuen, andererseits zeigen sie: Alle leben in ihrer eigenen Welt, die doch ein und dieselbe ist – oder ist alles Theater?
    Hangl macht die ganze Stadt zur Bühne
    Das Aufbrechen der Inszenierung ist ein zentrales Ziel des modernen Theaters, und tatsächlich kam Oliver Hangl durchs ambitionierte Off-Theater zu seiner heutigen Arbeit. In den 1990ern war er zuerst Schauspieler und dann Produktionsleiter bei Inszenierungen, die überall stattfanden, nur eben nicht auf der Guckkastenbühne. Wenn Medienkünstler Oliver Hangl nun seine Funkkopfhörer austeilt, wird die ganze Stadt zur Bühne. Die immer neuen Projekte zeugen von kreativer Energie, die ihm in jungen Jahren nicht jeder zutraute.
    "Ich bin ohne Bücher aufgewachsen, das ist absurd. Meine Deutschlehrerin sagte, dieses Kind hat keine Fantasie, und ich denke, mein Künstlersein ist eine einzige Auflehnung gegen diesen Satz."
    Guerilla Walks - Stadtführungen auch für Einheimische
    Bevor er sich als Statist beim Wiener Serapionstheater meldete und damit quasi "in die Kunst" geriet, war Oliver Hangl kurz davor, einen Abschluss in Wirtschaft zu machen. Zahlreiche Auslandssemester führten ihn nach Osteuropa. Auch dort setzt Oliver Hangl heute seine Projekte um, vor allem die Guerilla Walks - Stadtführungen für maximal 50 Fremde und Einheimische.
    "Kulturhauptstadt Pilsen gab es einen Guerilla Walk, wo das Publikum gesagt hat, da fährt ein Zug, wollen wir eine Station mitfahren."
    Auf dem Weg durch die Stadt startet Oliver Hangl spontane Aktionen in Abstimmung mit seiner Gruppe: Sie kommen mit Passanten ins Gespräch, besuchen wildfremde Leute in ihrer Wohnung. Dass Oliver Hangl mit seinen hellblonden Haaren und seinem strahlenden Lächeln charismatisch und einnehmend wirkt, erleichtert den Erstkontakt in solchen Situationen.
    "Ich fand es immer spannend, in unbeachteten Räumen etwas zu machen"
    Bei seinem zweite mobilen Format, den Walking Concerts, kommen andere Leitfiguren ins Spiel: Geführt von Oliver Hangl, wandern die kleinen Stars der österreichischen Indie-Szene mit ihrem Publikum und einem mobilen Tonmischer durch die Stadt. Immer geht es darum, der Stadt als Wesen zu begegnen.
    "Ich interessiere mich für Räume im eigentlichen Sinne, physische Räume, aber auch Räume, die im Kopf entstehen. Ich interessiere mich aber auch für Bewegung, eine Stadt lebt von ihrer Dynamik, ihren Bewohnern, die sich durch die Räume bewegen. Ich fand es immer spannend, in unbeachteten Räumen etwas zu machen, die man nur im Vorbeifahren sieht, darin liegt der Hauptfokus meiner Arbeit."