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Russische Community in Deutschland
Großes Misstrauen gegen westliche Medien

Die russischsprachige Community in Deutschland ist divers. Aber selbst bei den Menschen, die der Propaganda aus Moskau nicht glauben, sei das Misstrauen gegenüber westlichen Medien zum Teil groß, beobachtet die Wissenschaftlerin Elizaveta Kuznetsova.

Von Annika Schneider | 07.04.2022
    Ukraine-Krieg - Russisches Konsulat in Frankfurt/Main. Kerzen brennen vor einem Bild des russischen Präsidenten Putin, das ihn als «War Criminal» (Kriegsverbrecher) bezeichnet, auf dem Pflaster vor dem russischen Konsulat.
    Die Kreml-Propaganda entzweit die russischsprachige Community in Deutschland - Protest vor dem Russischen Konsulat in Frankfurt a. M. (picture alliance/dpa/Frank Rumpenhorst)
    Rund 450 Autos, die mit russischen Fahnen quer durch Berlin fahren: Der Autokorso vom vergangenen Wochenende hat medial und politisch für Aufsehen gesorgt. Die Proteste waren öffentlichkeitswirksam, sie zeigen aber nur einen kleinen Teil der russischsprachigen Community in Deutschland, der insgesamt rund 3,5 Millionen Menschen angehören. Darunter sind Zugewanderte aus Russland, aber auch aus anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Aktuelle Daten, über welche Medien sie sich genau informieren, gibt es allerdings nicht.

    Große Unterschiede zwischen Generationen und Nationalitäten

    „Die russischsprachige Community in Deutschland ist sehr divers“, sagt die Politik- und Medienwissenschaftlerin Elizaveta Kuznetsova dem Dlf. Sie forscht an der Harvard University zu russischer Propaganda und lebt seit kurzem in Berlin. Die Wissenschaftlerin sieht in der Community große Unterschiede zwischen den verschiedenen Generationen, Nationalitäten und politischen Einstellungen. Daneben seien für sie auch soziale Medien und Messengerdienste wie Telegram eine wichtige Quelle von Informationen, aber auch Desinformationen.

    Mehr über die Propaganda der russischen Regierung

    Junge Russinnen und Russen, die in den vergangenen zehn Jahren nach Deutschland eingewandert seien, seien meist wegen ihrer Arbeit oder für ein Studium hierhergekommen und eher progressiv eingestellt, so Kuznetsova. Sie nutzten meist viele verschiedene Nachrichtenquellen. Dazu gehörten unabhängige russische Medien, von denen viele ihre Berichterstattung aber inzwischen hätten einstellen müssen, sowie westliche Medien wie die CNN, die „Financial Times“ und die Deutsche Welle. Viele nutzten auch russische Staatsmedien, würden die Informationen dort aber anzweifeln.
    Die Gruppe der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler hingegen sei gespalten. Einige glaubten der russischen Propaganda, andere setzten sich kritisch mit ihr auseinander. Bei den meisten sei aber das Misstrauen gegenüber westlichen Medien groß.

    Misstrauen gegenüber westlichen Medien

    Manche Teile der Community glaubten zufolge gar keinen Medienberichten mehr – weder russischen noch westlichen. In Interviews hätten ihr Menschen erzählt, dass Russland in deutschen Medien nicht neutral dargestellt werde, zum Beispiel indem Aussagen aus dem Russischen nicht exakt ins Deutsche übersetzt würden, berichtete Kuznetsova.
    „Das Misstrauen in westliche Medien ist auch in Russland weit verbreitet und eine wichtige Säule der russischen Propaganda“, sagte die Wissenschaftlerin. Russische Propaganda wiederhole immer wieder, dass es keine unabhängigen Informationen gebe und westliche Medien voreingenommen berichten würden.

    Gespaltene Familien und Freundeskreise

    Menschen in Russland glaubten oft, dass es in Europa nicht ausreichend unabhängige Informationen gebe. Das führe zu vielen Konflikten von Russinnen und Russen in Deutschland mit Familien und Freunden in ihrem Heimatland. „Das Hauptproblem ist, dass es unmöglich ist, darüber eine vernünftige Diskussion zu führen.“ Wer an russische Propaganda glaube, lehne oft alle Fakten aus westlichen Medien grundsätzlich als Falschmeldung ab.
    So sei ein informierter Dialog nicht möglich. In vielen Familien werde gar nicht mehr über politische Themen geredet. Andere würden sich zerstreiten und den Kontakt abbrechen. „Das ist sehr tragisch, weil viele Russinnen und Russen hier keinen Kontakt mehr zu ihren Familien in Russland haben.“
    Auch Grigorij Arosev hat Beziehungen abgebrochen zu Freundinnen und Freunden in Russland, die den Krieg unterstützen. Diese Unterstützung sei eine "rote Linie“, sagte der Journalist - die für ihn weder zu verzeihen noch zu entschuldigen sei.

    Russische Medien in Deutschland gegen den Krieg

    Arosev arbeitet für Radio Golos Berlina, einen Berliner Radiosender, der sich mit seinem Programm auf Russisch an russischsprachige Menschen in Deutschland richtet. Seit Jahrzehnten gibt es eine Reihe solcher Medien in Deutschland, darunter auch die Wochenzeitung „Redakzija Germanija“, auf Deutsch „Redaktion Deutschland“.
    Beide Redaktionen positionieren sich klar gegen den russischen Angriffskrieg. Radio Golos hat mit der russischen Invasion sein Programm komplett umgestellt. „Wir sehen keine Möglichkeit zur Zeit, die Unterhaltungsprogramme weiterzuführen“, sagte Arosev im Dlf.
    Seine Aufgabe sei es, objektiv und unabhängig über den Krieg berichten, betonte der Journalist. Auch wenn man klar auf der Seite der Ukrainer stehe, gebe es Falschmeldungen sowohl von der russischen, als auch der ukrainischen Seite. „Die Zeit eines Krieges ist eine Zeit der Misinformation und deswegen suchen wir nach Fakten“, stellte der Journalist klar. Man mache auch deutlich, wenn etwas nicht überprüfbar sei.
    Zur klaren Positionierung des Senders gegen den Krieg habe es bisher nur wenige negative Rückmeldungen von Hörerinnen und Hörern gegeben. Die Menschen, die Autokorsos mit Russlandfahnen veranstalteten, seien eine „große Minderheit“. Es gebe keine Umfrage dazu, wie viele aus der russischen Community in Deutschland sich mit Putin verbunden fühlen, aber es gebe diese Menschen sicher, sagt Arosev.

    Wladimir Kaminer will neues Medium gründen

    Der Schriftsteller Wladimir Kaminer schätzte im rbb, es gebe in Deutschland Millionen Menschen, die die Propaganda des russischen Staatsfernsehens konsumieren würden. Er kündigte an, deshalb hiernzulande ein neues russischsprachiges Medium zu gründen, um die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft besser zu informieren.
    Es sei wichtig, der russischen Propaganda etwas entgegenzusetzen: „Wir müssen diese Situation nutzen, dass jetzt so viele gute und auch in Russland bekannte Journalisten ins Ausland flüchten mussten“, sagte Kaminer. Er habe bereits Kontakte zu Journalistinnen und Journalisten geknüpft, vor allem zu den jungen.

    "Nowaja Gaseta" bald auch in Europa

    Ein neues Projekt plant auch die unabhängige russische Zeitung "Nowaja Gaseta", deren Chefredakteuer Dmitri Muratow im vergangenen Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war. In Russland hat die Zeitung ihr Erscheinen Ende März eingestellt, will aber nun eine unabhängige Ausgabe in Europa veröffentlichen.
    Man werde in mehreren Sprachen über die Ereignisse in Russland informieren, und zwar für russischsprachige Menschen, die europäische Werte teilen, kündigte der zukünftige Chefredaktuer der "Nowaja Gaseta Europe" auf Twitter an.