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Medienpropaganda
Reporter als Panzerfahrer ohne Uniform

Im Krieg stirbt bekanntlich die Wahrheit zuerst, und mit ihr sterben journalistische Kritik und Objektivität. Medien werden zu wichtigsten Instrumenten der Manipulation. Doch wie soll dieser Maschinerie der Desinformation entgegengetreten werden? In Berlin trafen sich namhafte russische, ukrainische und georgische Intellektuelle, um darauf Antworten zu finden.

Von Maximilian Grosser |
    Eine Moderatorin des englischsprachigen Ablegers von Russia Today bereitet sich auf die Sendung vor.
    Der Journalist und ukrainische Parlamentsabgeordnete Mustafa Nayem warnte in Berlin vor der Rolle des kremlfinanzierten TV-Senders Russia Today: Der sei eine Art trojanisches Pferd der psychologischen Kriegsführung. (picture alliance / dpa / Dzhavakhadze Zurab)
    "Stellen sie sich mal vor, das Ballett des Moskauer Bolschoi Theater würde in einem Panzer nach Berlin kommen, um hier aufzutreten. Ist das Ballett, ist das noch Kunst? Eigentlich schon, denn es sind Tänzer. Aber der Panzer stünde vor der Tür."
    Mustafa Nayem zog in Berlin diesen surrealen Vergleich, um die Rolle des kremlfinanzierten TV-Senders Russia Today auf den Punkt zu bringen. Der sei eine Art trojanisches Pferd der psychologischen Kriegsführung, warnte der Journalist und ukrainische Parlamentsabgeordnete. Die Reporter, die für den Propagandasender arbeiten, seien so etwas wie Panzerfahrer, die nur ihre Uniform nicht tragen.
    "Wenn wir zugeben, dass die Propaganda für Russland ein Mittel des Krieges ist, dann sagen sie mir, wo der Unterschied zwischen Russia Today und einem Panzer ist. Solange wir nicht einsehen, dass die russischen staatlichen Medien auf unserem Territorium tatsächlich auch kriegsführend sind, werden wir den Krieg verlieren."
    Für Mustafa Nayem ist es das Wichtigste, die Mechanismen medialer Verzerrung offenzulegen, um Menschen vor der Gehirnwäsche zu bewahren. Auch soziale Netzwerke hält Nayem für die Aufklärung bedeutender – aus eigener Erfahrung. Immerhin hat er die Kiewer Maidan-Proteste mitausgelöst und dazu als Erster per Facebook-Nachricht aufgerufen. Mischa Gabowitsch widersprach Nayem ein wenig, die Reichweite von Sendern wie Russia Today solle nicht überwertet werden. Auf dem Berliner Treffen osteuropäischer Schriftsteller und Intellektueller betonte der Soziologe, dass die geschönten TV-Bilder kremlnaher Sender noch einen anderen Zweck erfüllen.
    "Ich würde das gar nicht mal in das klassische Muster von Propaganda und Lüge pressen wollen. Man darf nicht unterschätzen, wie stark der Unterhaltungsimpuls ist, die Leute wollen Russland genauso wie anderswo unterhalten werden. Die Medienformate passen sich dem an. Nur ist das Infotainment anders ausgerichtet, als man das aus Deutschland oder anderen Ländern kennt. Wenn man das nur als Propaganda abtut, wird man dem Phänomen nicht gerecht."
    Die Mechanismen medialer Verzerrung offenlegen
    Russisches Fernsehen sei ein klassisches Medienprodukt neoliberalen Denkens, das mit der Wahrheit spiele, als sei sie egal - so sieht es Mischa Gabowitsch, der mit seinem Buch "Putin kaputt?" bekannt wurde. Gegen diese medialen Wahrheitsspiele können Russlands Intellektuelle und Schriftsteller kaum etwas ausrichten - allerdings nicht nur, weil ihnen kaum noch jemand zuhört.
    "Ich würde Schriftsteller und was man gemeinhin als Intellektuelle bezeichnet, nicht überbewerten, die sind vor allem wichtig, um dem Moskauer Publikum so eine bestimmte Sprache zu geben. Was es heute gibt, das sind Blogger. Und da denke ich, dass die heute eine größere Wirkung haben, wie man sich zur Politik verhält. Alexej Nawalny ist das bekannteste Beispiel."
    Gabowitsch spielt auf einen aktuellen, erfolgreichen Film Alexej Nawalnys an, der die korrupten Machenschaften des russischen Generalstaatsanwalts aufdeckt und nur in sozialen Medien verbreitet wurde. Auch in Viktor Orbans autoritär regierten Ungarn, so erzählte es der Schriftsteller und Historiker György Dalos in Berlin, werden die Stimmen von Schriftstellern kaum wahrgenommen.
    "Merkwürdigerweise spielten die Schriftsteller eine größere Rolle zu Zeiten der Diktatur. Und heute haben Schriftsteller in Ungarn die etwas bittere Erfahrung gemacht, dass den Herrschenden egal ist was sie sagen. Wir können zu wenig unsere Erfahrung mit einer jungen Generation teilen. Es ist sehr schwer, einem Zwanzigjährigen zu erklären, warum diese Demokratie ein wenig unecht ist."
    Die Rolle im Informationskrieg bleibt unklar
    Eine eindeutige Antwort, welche Rolle sie im Informationskrieg und auch im ganz realen spielen können, gaben osteuropäische Intellektuelle und Schriftsteller nicht. Nur der georgische Autor Zaza Burchuladze betonte am Schluss, dass die Bilder der Kriegszeit festgehalten werden müssen, für ein realistisches Geschichtsbild neben einseitigen Heldenmythen.
    "Allgemein ist der Krieg eine kritische Situation, in der der Mensch dazu neigt, das Gesicht zu verlieren. Er hat keine Zeit mehr zur Selbstreflexion, er kann kein Hamlet mehr sein. Kriege sind Generatoren von Reflexen und Impulsen, dem Trieb nach Überleben. Vielleicht bin ich naiv, wenn ich jetzt an dieser Stelle dazu Hölderlin zitiere: Wir sind nichts, was wir suchen ist alles."