Ralf Krauter: Mit einem Börsenwert von über 400 Milliarden US-Dollar zählt Facebook zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Damit das so bleibt, sah sich Facebook-Gründer und Chef Mark Zuckerberg diese Woche gezwungen, im US-Kongress zu erklären, wie es zu dem Datenskandal rund um Cambridge Analytica kommen konnte, und was er tun will, um den Missbrauch persönlicher Nutzerdaten künftig zu verhindern. Nach allem, was man so hört und liest, hat sich Zuckerberg bei diesen Anhörungen ziemlich wacker geschlagen, und wurde mitnichten so gegrillt, wie es einige kritische Abgeordnete und Senatoren angekündigt hatten. Die Politiker ließen sich also offenbar ebenso besänftigen wie die meisten User. Denn von den 87 Millionen Nutzern weltweit, die von dem Datenskandal betroffen sind, davon gut 310.000 aus Deutschland, haben bislang erstaunlich wenige Facebook den Rücken gekehrt. Warum bleiben so viele, obwohl Facebook doch so massiv Vertrauen verspielt hat? Das habe ich vor der Sendung den Mediensoziologen Dr. Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg gefragt.
User akzeptieren, dass sie keine Datenkontrolle haben
Jan-Hinrik Schmidt: Die einfache Antwort: Weil Facebook für viele Menschen anscheinend nach wie vor einen Nutzen bringt. Facebook ist für viele Menschen eine Plattform, wo sie mit ihren Freunden und Bekannten in Kontakt bleiben können, wo sie sich auch über alle möglichen Themen informieren können, wo sie selbst auch etwas über sich selbst erzählen können und so andere an ihrem Leben teilhaben lassen können, sodass es für manche Menschen vielleicht auch tatsächlich eine Frage der Abwägung ist, welchen Nutzen mir Facebook bringt und was ich dafür selbst von mir preisgebe, auch im Sinne von Daten.
Ich könnte mir vorstellen, dass sich für manche auch durch diese Enthüllungen die Situation gar nicht grundsätzlich verändert hat, weil sie eh schon das Gefühl hatten, na ja, mit meinen Daten passiert eh so viel, was ich nicht kontrollieren kann, da ist das jetzt nun auch nicht mehr schlimm. Was noch hinzukommt, vielleicht als dritter Faktor, ist, dass aber selbst, wenn Menschen sich entscheiden würden, sie möchten Facebook nicht mehr nutzen, dass es für viele Zwecke ja gar keine funktionierende Alternative gibt, weil Facebook in den letzten Jahren dafür gesorgt hat, dass es praktisch keine Konkurrenz gibt, also dass sie auf dem Markt der Netzwerkplattformen in gewisser Weise eine Monopolstellung haben.
Krauter: Durch das Aufkaufen von Instagram und WhatsApp zum Beispiel.
Schmidt: Genau. Das Monopol von Facebook an sich plus das Übergreifen in andere Bereiche, wie die Fotoplattform oder die Instant-Messenger-Dienste, die inzwischen auch schon zu Facebook gehören. Da ist es also schwer, selbst wenn man Facebook als Plattform nicht mehr nutzt, aber Instagram und WhatsApp, dann ist man nach wie vor im Facebook-Kosmos, wenn man es mal so ausdrücken möchte, gefangen.
Facebooks ungewisse Zukunft
Krauter: Ist Facebook too big to fail geworden, um einen Begriff aus der Bankenkrise mal zu verwenden? Ist es also letztlich unersetzlich für die User?
Schmidt: Das ist schwer zu verallgemeinern, weil es inzwischen so unglaublich viele Nutzer weltweit gibt, sodass es auch ganz viele verschiedene Nutzungszwecke und Einsatzzwecke von Facebook gibt. Ich glaube, für manche ist es unersetzbar im Sinne einer lieben Gewohnheit, dass man sich einfach daran gewöhnt hat, auch mal eben auf Facebook zu checken, was so gerade passiert, ob es das eigene Umfeld ist oder eben das Weltgeschehen.
Was in dem Zusammenhang aber interessant zu beobachten ist, ist, dass für manche Menschen inzwischen Facebook voll und ganz verzichtbar ist. Ich denke jetzt hier vor allem eben an Jüngere, die sich gar nicht mehr auf Facebook tummeln, weil Facebook aus deren Sicht gar nicht mehr angesagt ist. Die sind dann vielleicht eher auf Instagram oder bei Snapchat oder bei anderen Diensten zu finden, sodass wir hier auch sehen können, dass Facebook als Plattform der eigenen Selbstdarstellung, der Beziehungspflege immer Konjunkturen unterworfen ist. Das heißt, es ist überhaupt nicht gesagt, dass wir in fünf Jahren - jetzt unabhängig von den aktuellen Geschehnissen -, dass Facebook in fünf Jahren als Plattform selbst noch so eine dominierende Stellung hat, weil da möglicherweise ganz andere Dienste existieren, die für Nutzerinnen und Nutzer attraktiv sind.
Und diese Konjunkturzyklen, könnte man sagen, die kann auch Facebook spüren. Wobei ich sagen muss, Facebook ist inzwischen so stark, und auch durch die Verbindung zu Instagram und WhatsApp ja auch noch in anderen Bereichen verankert, dass die größere Gefahr für Facebook im Moment meiner Ansicht nach tatsächlich aus den aktuellen Debatten rund um Datenschutz, um Selbstbestimmung und auch um mögliche Wahlmanipulationen geht. Also das, wo Zuckerberg sich jetzt eben in diesen Tagen vorm Kongress in den USA verantworten muss.
Politischer Druck auf Facebook wächst
Krauter: Wenn man sich da ein bisschen informiert, dann findet man ja schnell raus, dass Mark Zuckerberg in den 14 Jahren seit der Gründung von Facebook immer wieder Fehler eingeräumt hat und Besserung beim Schutz der Privatsphäre der Nutzer gelobt hat, um dann aber im Großen und Ganzen auch immer wieder einfach weiterzumachen wie davor auch schon. Glauben Sie, dass sich diesmal wirklich was ändert, dass Facebook wirklich zu seiner Verantwortung steht, die privaten Daten der Nutzer besser zu schützen?
Schmidt: Ja, ich glaube, der Druck auf Facebook war noch nie so hoch wie jetzt. Das hat viel damit zu tun, dass inzwischen auch in den USA der Druck wächst. Wir haben in Deutschland natürlich in den letzten Jahren an vielen Beispielen über Facebook gesprochen und uns darüber mokiert oder beschwert. Aber die deutsche Regierung oder auch Europa hatte nie so den gleichen Ansatzpunkt, wie es jetzt möglicherweise der amerikanische Kongress haben wird. Wenn in den USA tatsächlich stärkere regulierende Instrumente eingesetzt werden, wenn Facebook da noch stärker in die Verantwortung gezogen wird, dann wird das Unternehmen und wird auch Mark Zuckerberg persönlich das stärker spüren, als wenn - ich sag es jetzt mal ein bisschen despektierlich - irgendwo im fernen Europa, vielleicht in Deutschland, sich ein Justizminister aufregt, um es mal ganz platt zu sagen.
Diese Vorstellung, man könnte Facebook sich selbst überlassen im Sinne einer Selbstregulierung die Grenzen vernünftig zu ziehen, ich glaube, die ist spätestens jetzt überholt. Das hat nicht funktioniert, das wird auch weiter nicht funktionieren. Es ist, glaube ich, klar geworden, dass eine staatliche Regulierung notwendig ist. Das Problem ist, dass das nicht leicht ist, weil wir, wenn ich noch mal auf Deutschland schaue, wir in unserem System der Medienregulierung eigentlich für solche Plattformen wir Facebook gar keinen richtigen Platz haben, weil sie ja keine Telekommunikationsanbieter wie sagen wir mal Vodafone oder T-Mobile sind. Sie sind auch keine Presseunternehmen oder Rundfunkanstalten. Sie sind irgendwas dazwischen, und das kann im Moment mit dem geltenden System der Medienregulierung noch nicht so gut erfasst werden.
Aber da wird ja auch in Deutschland und in Europa dran gearbeitet, dass hier die sogenannten Intermediären, also die Netzwerkplattformen, die Suchmaschinen et cetera hier auch stärker in die gesellschaftliche Verantwortung genommen werden können.
Bezahlmodell als Garant für informationelle Selbstbestimmung?
Krauter: Sprechen wir zum Schluss noch mal ganz schnell über den User an sich, der sich jetzt eben vielleicht tatsächlich überlegt, steige ich aus oder nicht. Es geht, Sie haben es schon gesagt, um so eine Kosten-Nutzenabwägung. Man rechnet also gegen, was habe ich davon, weiter im Netzwerk zu bleiben, was kostet es mich, drin zu sein. Das Tückische bei Facebook ist, der Preis, den man bezahlt, nämlich, dass eben persönliche Nutzerdaten analysiert und, zu Profilen gebündelt, dann an Firmen verkauft werden, dass dieser Preis ja sehr indirekt bei einem selbst fällig wird. Ist das eins der Probleme? Überblicken manche Menschen das vielleicht einfach gar nicht, welche Kosten da hinten dranhängen?
Schmidt: Ja, genau. Für viele Menschen ist es möglicherweise noch auf einer sehr abstrakten Ebene bewusst, dass sie zwar nicht mit Geld, aber irgendwie mit ihren Daten zahlen. "Zahlen" ist ja auch nicht der richtige Ausdruck. Es findet halt ein Tausch statt. Ich bekomme eine Dienstleistung, nämlich eine Plattform, und im Gegenzug werden eben meine Datenspuren gesammelt, aggregiert, und daraus wird der Wert geschöpft. Völlig richtig, das ist ein sehr indirekter, abstrakter Tausch, und den allermeisten von uns würde es ja auch unglaublich schwer fallen, jetzt sozusagen in Geld mal zu beziffern, was denn unsere Daten wert sind. Die Frage, ist das überhaupt noch ein gerechter Tausch - wenn man sich anschaut, welchen Börsenwert Facebook hat auf der einen Seite, und andersherum sozusagen, was wir selbst als einzelne Nutzer daran ja auch teilhaben, indem wir Facebook so aktiv nutzen, das lässt sich unglaublich schwer abschätzen.
Ich glaube, dieser Vorstoß, den die Sheryl Sandberg, eine der leitenden Facebook-Managerinnen, jetzt gemacht hat, dass sich sie zumindest offen zeigte, darüber auch ein Bezahlmodell für Facebook einzurichten, geht hier schon mal so ein bisschen in die richtige Richtung. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass sich auf einmal nur noch reiche Menschen Privatsphäre leisten können. Das wäre der völlig falsche Weg. Privatsphäre, informationelle Selbstbestimmung muss für alle gewährleistet werden.
Aber ein Bezahlmodell für Facebook würde zumindest einigen mehr, glaube ich, die Augen öffnen, dass die Nutzung von Facebook eben nicht umsonst ist, weil ob wir nun mit Geld zahlen, mit unserer Aufmerksamkeit für die Werbung, mit unseren Datenspuren, die wir Facebook sozusagen zur weiteren Nutzung überlassen - all das sind eben letzten Endes Tauschgeschäfte, die wir als Nutzer eingehen, wenn wir auf Facebook registriert sind.
"Facebook wird weiterhin Datenspuren sammeln"
Krauter: Wäre das nicht der Todesstoß für Facebook, wenn man eine Bezahlschranke einführt, zumindest für manche Nutzer?
Schmidt: Das weiß ich nicht. Das wird sich dann zeigen. Ich glaube nicht, dass nun alle Nutzerinnen und Nutzer weltweit von Facebook auf dieses Bezahlmodell umschwenken würden. Es wird viele geben, die sagen, nein, ich wäge das ab, und im Grunde ist es mir kein Geld wert, für mich ist das in Ordnung, mit meinen Datenspuren zu zahlen, um es so auszudrücken. Manche werden es sich nicht leisten können, wie gesagt. Es wird auch unglaublich stark davon abhängen, wie das genau gestaltet ist, wofür ich denn genau bezahle, also sprich, wenn ich monatlich Geld für Facebook bezahle, was Facebook im Gegenzug dann nicht mehr tut. Weil ich nicht glaube, dass Facebook drauf verzichten wird, weiterhin Datenspuren zu sammeln. Das ist ja auch für das Funktionieren der Plattform in der jetzigen Form unerlässlich.
Diese Ankündigung ist also an sich noch nicht ausreichend, um jetzt wirklich zu beurteilen, welche Folgen das haben wird. Aber was ich sagen wollte, ist, dass es zumindest ein interessanter Ansatzpunkt ist, mal nun über Alternativen zu dem derzeit existierenden, dominierenden Modell nachzudenken, was nämlich bedeutet, die Bezahlung, die du als Nutzerin, als Nutzer, die Gegenleistung, die du erbringst, die besteht darin, dass wir deine Datenspuren quasi unbegrenzt sammeln, aggregieren und für weitere Dienste verwenden können. Und ich glaube, dieses Geschäftsmodell, das ja auch vielen anderen sozialen Medien und anderen Internetdiensten zugrunde liegt, das ist auf lange Sicht, glaube ich, nicht vereinbar und auch nicht tragbar mit unseren Vorstellungen von einer wie auch immer gestalteten informationellen Selbstbestimmung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.