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Medientage München
Wie künstliche Intelligenz den Journalismus verändert

Die Medientage in München haben sich dem Thema "Künstliche Intelligenz" gewidmet. Viele Redaktionen nutzen elektronische Hilfsmittel, um Online-Auftritte zu optimieren, Daten zu analysieren oder Leserkommentare zu bewerten. Auch Textentwürfe können die Systeme bereits erstellen - und so in Zukunft die Arbeit von Journalisten stark beeinflussen.

Von Brigitte Baetz |
    "Wir haben festgestellt, nachdem wir so ein bisschen geguckt haben, dass wir an vielen Stellen tatsächlich das, was heute als künstliche Intelligenz bezeichnet wird, schon benutzen", erklärt Jochen Wegner, studierter Physiker und Chefredakteur von Zeit Online. Seine Redaktion benutzt viele elektronische Hilfsmittel, um ihren Online-Auftritt zu optimieren:
    "Das fängt an mit der Art, wie wir unsere Userdaten interpretieren. Also wenn wir Traffic haben, wie der sich zusammensetzt. Es gibt Tools, die wir da benutzen. Wenn wir zum Beispiel auf Facebook posten, haben wir ein Tool, das uns sagt, wann wohl ein intelligenter Zeitpunkt wäre, das zu tun. Oder es macht das gleich selbst, wenn wir das wollen, entscheidet das selbst.
    Deep Learning haucht dem Traum von der Mensch-Maschine Leben ein
    Es gibt andere, die herausfinden, ob Dinge, die gerade im Netz passieren, vielleicht viral werden könnten, also viele Menschen interessieren könnten. Auch die arbeiten mit Deep Learning. Und so gibt‘s viele Bereiche bei der Vermarktung und bei Anzeigen, wo künstliche Intelligenzen längst im Einsatz sind und es redet niemand drüber. Wir wissen es zum Teil eben einfach gar nicht."
    Deep Learning ist dabei das Zauberwort, das dem alten Traum von der Mensch-Maschine neues Leben eingehaucht hat. Erst die Möglichkeit, große Datenmengen zu verarbeiten, hat dieser Methode zum Durchbruch verholfen.
    Ganz kurz erklärt bedeutet Deep Learning, dass künstliche neuronale Netze so programmiert werden, dass sie eigenständig Beziehungen zwischen Informationen herstellen können. So wie Menschen das eigentlich auch tun: das Wichtige zum Beispiel vom Unwichtigen zu trennen. Unter anderem wäre Siri, die Sprachassistentin auf dem iPhone, ohne Deep Learning nicht zu denken.
    PollyVote kann Wahlvorhersagen und Textentwürfe erstellen
    Was läge da näher, als künstliche Intelligenz in den Medien eben nicht nur zur Datenanalyse und Kundenbindung zu benutzen, sondern auch zur "Content-Produktion".
    Andreas Graefe ist Sky Stiftungsprofessor an der Macromedia Hochschule und Research Fellow an der LMU München. Mit seinem Team hat er PollyVote entwickelt. Dieses Programm erstellt aus der Kombination unterschiedlicher Prognosemethoden Wahlvorhersagen, die erstaunlich treffsicher sind.
    Doch das System geht noch einen Schritt weiter. Es generiert auf Basis dieser Prognosedaten Textentwürfe und stellt sie als News-on-Demand zur Verfügung – ohne dass ein Mensch bei der Textverfertigung Hand angelegt hätte:
    "Man generiert die Varianz in den Texten letztendlich dadurch, dass man zum einen mal unterschiedliche Satzvarianten anlegt und dass man Synonyme für einzelne Wörter anlegt und dann sind Sie sehr schnell bei einer sehr sehr großen Anzahl von Texten, die sie generieren können.
    Kann künstliche Intelligenz den Journalismus überflüssig machen?
    Diese Texte sind eben dann nicht identisch, allerdings sehr sehr ähnlich, weil sie immer den gleichen Aufbau, immer die gleiche Struktur haben. Sie können aber auch unterschiedliche Texttypen anlegen, unterschiedlichen Aufbau anlegen, dann haben Sie auch mehr Varianz in den Texten."
    Und wäre das eine Möglichkeit, Journalisten überflüssig zu machen? Professor Andreas Graefe ist verhalten skeptisch:
    "Na, ich denke, dass wir das definitiv mehr und mehr sehen werden. Die Frage ist, in welchen Bereichen. Ich glaube, in wirklich gesellschaftlich relevanten Themen, die Menschen wirklich interessieren, wird’s schwierig sein, hier wirklich komplett automatisierte Texte zu erstellen, sei es mit Ausnahme vielleicht von Finanznachrichten."
    Künstliche Intelligenz könnte Journalisten Arbeit abnehmen
    Zeit-Online-Chefredakteur Jochen Wegner glaubt eher, dass künstliche Intelligenz Journalisten unbequeme Arbeiten wie das Durchforsten großer Datenmengen abnehmen werde. Der Versuch seiner Redaktion, einen künstlichen Moderator für Leserkommentare zu programmieren, sei nur halb geglückt,:
    "Aberir haben es geschafft, eine Software mit Deep-Learning Algorithmen zu entwickeln, die zu 75 Prozent Wahrscheinlichkeit erkennt, ob einer der 100.000 Kommentare von Lesern, die wir pro Woche bei Zeit Online haben, vielleicht mal strenger angeguckt werden sollte und wahrscheinlich auch aus dem Netz genommen werden sollte. Also die Trefferquote ist so hoch wie sie Menschen hätten, die bei uns im Team arbeiten.
    Natürlich stimmen wir nicht permanent überein. Doch das hat uns schon ein bisschen überrascht, weil die Software weiß natürlich überhaupt nichts über deutsche Sprache oder sonst über Journalismus oder Debatten in Deutschland oder AfD oder was auch immer. Aber sie macht das ganz gut und das hat uns ein bisschen zu Denken gegeben.