Bei Remdesivir handelt sich um einen Wirkstoff gegen Ebola. Das Medikament wurde vom US-Pharma-Unternehmen Gilead entwickelt. Bei klinischen Tests mit Ebola-Patienten fiel es aber leider durch, weil es kaum Wirkung zeigte. Mittlerweile gibt es aber Indizien, dass Remdesivir doch helfen könnte - nicht gegen Ebola, sondern gegen das neue SARS-Coronavirus-2. Remdesivir gilt als Hoffnungsträger im Kampf gegen das Coronavirus. In China laufen schon seit einigen Wochen Versuche damit.
Und nun soll eine großangelegte klinische Phase-3-Studie mit 1.000 Patienten, zeigen, ob das Ebolamittel tatsächlich gegen Covid-19 hilft. Die München Klinik Schwabing, wo Ende Januar die ersten Covid19-Patienten in Deutschland behandelt wurden, ist eines von drei Testzentren hierzulande, die bei dieser Studie mitmachen. Professor Clemens Wendtner ist Chefarzt dort, hat inzwischen über 100 Covid19-Patienten behandelt, und aktuell knapp ein Dutzend auf der Intensivstation.
Ralf Krauter:Woher rührt die Hoffnung in diesen Wirkstoff Remdesivir?
Clemens Wendtner: Remdesivir ist ja ein sogenanntes Nukleosidanalogon. Es wurde bereits vor einigen Jahren bei Patienten mit einer Ebola-Infektion erprobt. Es zeigte sich, dass Remdesivir recht gut verträglich war, allerdings bei den Ebola-Patienten dann doch nicht therapeutisch den Effekt induzierte, den sich alle Prüfärzte erhofft hatten, und insofern kam es auch nicht zur Zulassung. Aber dieses Medikament hat ein bisschen ein Revival gehabt und ist dann auch bei Patienten zum Einsatz gekommen mit COVID-19. Es gibt wenige Fallberichte. Ein Patient in den USA ist mit dem Medikament behandelt worden. Es gibt in Deutschland auch wenige Patienten, die im Sinne eines individuellen Heilversuches mit Remdesivir behandelt wurden, und hier zeigte sich dann doch bei dem einen oder anderen Patienten ein sehr guter therapeutischer Effekt.
Aber wie immer: Das sind sehr subjektive Einzelbeobachtungen und man muss das in der Breite natürlich evaluieren, gucken, ist es wirklich so, bringt das Medikament einen Effekt oder nicht, und deswegen sind zwei Phase-Drei-Studien mit diesem Medikament aufgesetzt worden. Wir nehmen in der Tat an dieser Studie teil. Es sind leider nur drei Zentren in Deutschland selektiert worden, das UKE in Hamburg, die Uniklinik in Düsseldorf und wir in München. Aber Studien sind wichtig. Es gibt andere Medikamente, die wir auch eingesetzt hatten, Ritonavir, Lopinavir, das sogenannte Kaletra (das ist ein HIV-Präparat). Wir hatten subjektiv den Eindruck, dass es beim einen oder anderen Patienten schon was bringt, aber eine große Studie mit 200 Patienten hat uns eines Besseren belehrt. Da war im Prinzip kein Unterschied zu einer Placebo-Gruppe beziehungsweise einer Gruppe von Patienten, die Best supportive care erhielten – wieder ein Zeichen, wie wichtig klinische Studien sind.
Krauter: Die Herausforderung ist letztlich anekdotische Evidenz, eben nicht zu verwechseln mit dem, was man aus einer verlässlichen Statistik über eine große Studie herauslesen kann.
Wendtner: Ja, richtig.
Remdesivir für wenig symptomatische bis schwer erkrankte Patienten
Krauter: Kommen wir noch mal auf Remdesivir zu sprechen. Das bremst ja die Vervielfältigung des Erbguts von RNA-Viren, zu denen auch das neue Corona-Virus zählt. Welchen Patienten würden Sie das denn verabreichen, in welcher Form und in welchem Stadium der Erkrankung?
Wendtner: Das Gute an diesen beiden Studien ist, dass wir das gesamte Patientenkollektiv fast einschließen können. Wir können Remdesivir bei wenig symptomatischen Patienten verwenden, die noch eine sehr gute Sauerstoffsättigung haben, viel Sauerstoff im Blut aufnehmen, vielleicht nur eine beginnende Lungenentzündung entwickeln. Da ist die Frage, kann Remdesivir eine Lungenentzündung quasi im Frühstadium auffangen und Schlimmeres verhindern. Aber in der zweiten Phase-Drei-Studie ist auch der Einsatz von Remdesivir bei Patienten möglich, die schwerer erkrankt sind, bereits einen Sättigungsabfall haben, wenig Sauerstoff im Blut transportieren und dann natürlich auch in der Regel eine schwere Lungenentzündung haben. Diese Patienten dürfen dann auch behandelt werden. Sie können sogar auf Intensivstationen liegen. Das einzige, was nicht erlaubt ist, dass sie auch kreislaufunterstützende Medikamente, sogenannte Katecholamine erhalten. Aber sonst haben wir eigentlich einen sehr breiten Einsatz für unsere Patienten in dieser Woche, in nächster Woche geplant.
Krauter: Ich habe gelesen, das ist ein weißes Pulver, was dann als Infusion verabreicht wird.
Wendtner: Ja, ganz genau! Das ist so. Das ist eine Infusion, eine Kurzinfusion, 30 bis 60 Minuten, wird über die Vene appliziert, und das Pulver wird aufgelöst, bevor es infundiert wird. Die Applikation läuft je nach Studienarm zwischen fünf und zehn Tagen, einmal täglich.
US-Unternehmen kündigte Verkaufseinschränkungen an
Krauter: Nun hat das US-Unternehmen Gilead, das Remdesivir entwickelt hat, am Wochenende verkündet, den Verkauf einzuschränken. Aber Sie haben schon den Stoff, den Sie brauchen für die Studie?
Wendtner: Ja. Es ist ja kein Medikament, was sich im Markt befindet. Was man jetzt natürlich seitens der Firma unterbinden wird, sind die individuellen Heilversuche, weil man für die Studie genug Studienware benötigt, und die Studienzentren werden natürlich mit Remdesivir beliefert.
Hoffnungsträger unter den antiviralen Medikamenten
Krauter: Wie optimistisch sind Sie, dass Remdesivir sich als wirksame Waffe gegen COVID-19 entpuppen könnte?
Wendtner: Von allen Substanzen, die wir jetzt, sage ich mal, auf dem Papier gesehen haben, ist das bestimmt eine Substanz, wo wir doch große Hoffnungen haben. Es gibt noch ein paar andere Kandidaten, die wir auch im Fokus haben, wo aber zum Teil Studien noch nicht aufgesetzt sind, aber von den antiviralen Medikamenten ist das bestimmt ein Hoffnungsträger.
Krauter: Die klinische Studie soll Anfang April starten, also nächste Woche. Wann werden Sie denn absehen können, ob sich Ihre Hoffnungen möglicherweise erfüllt haben?
Wendtner: Ja. Man weiß ja von den wenigen Heilversuchen, dass sich hier sehr früh auch schon Effekte zeigen können, durchaus schon nach wenigen Tagen, ein, zwei Wochen, ob eine Besserung auch der Pneumonie einsetzt. In der Summe wird man natürlich eine Abschätzung erst nach vielen, vielen hundert Patienten dann auch treffen können. Aber wir gehen davon aus, dass wir natürlich von der klinischen Beobachtung auch eine frühere Einschätzung dann abgeben können.
Auch Medikament Tocilizumab soll getestet werden
Krauter: Abschließende Frage zum Schluss. Sie sagten gerade, wir haben noch andere Wirkstoffkandidaten im Visier, wo aber noch keine klinischen Studien ganz konkret aufgelegt sind. Was sind die?
Wendtner: Ja, es gibt Medikamente, die gewisse Proteasen auch blockieren, Enzyme blockieren, die für den Eintritt des Virus über die Schleimhäute verantwortlich sind. Ein Kandidat ist in Japan zugelassen für eine Bauchspeicheldrüsen-Entzündung. Die Substanz ist per se weltweit verfügbar, in Japan sogar zugelassen in einer anderen Indikation, aber auch hier würden wir gerne sehen, dass eine Studie kommt.
Was, glaube ich, auch noch sehr interessant ist: Wir sprachen ja kurz über Patienten auf Intensivstationen, Patienten mit schweren Lungenentzündungen, Virus-Pneumonien. Hier ist zu beobachten, dass die Patienten auch ein sehr schweres Lungenödem entwickeln, sehr viel Flüssigkeit in der Lunge haben durch eine starke Entzündungsreaktion, und der therapeutische Ansatz wäre hier, dass wir die Entzündung blockieren durch ein Medikament – das heißt, in diesem Fall Tocilizumab -, und auch hier ist die gute Nachricht, dass eine Studie am Horizont ist und wir auch Zugriff hoffentlich auf diese Substanz dann in Kürze haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.