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Medikamente aus dem Ozean

Pharmakologie. - In den 1970er Jahren haben Wissenschaftler damit begonnen, Substanzen, die von Meerestieren wie Schwämmen abgesondert werden zu sammeln. Sie vermuteten darin Wirkstoffe gegen Krankheiten wie Krebs. Und tatsächlich haben es einige wenige dieser Wirkstoffe als Medikamente auf den Markt geschafft. Im kanadischen Vancouver hat eine Forschergruppe einen weiteren vielversprechenden Kandidaten entdeckt, er stammt aus einem tropischen Schwamm. Der Wirkstoff soll Asthma-Patienten helfen.

Von Jochen Steiner |
    Die Schwämme in den Ozeanen mussten sich etwas einfallen lassen, um nicht etwa von Fischen gefressen zu werden.

    "Die Schwämme bewegen sich nicht und können somit nicht vor einem Feind davonlaufen. Sie sind meist sehr bunt und machen dadurch auf ihre Verletzlichkeit aufmerksam. Und sie haben keine Schale, die sie vor Fressfeinden schützen könnte. Um sich zu verteidigen sondern sie deshalb giftige Chemikalien ab."

    Für diese Chemikalien interessiert sich Professor Raymond Andersen von der University of British Columbia im kanadischen Vancouver. Er hat mit seinen Kollegen schon viele Schwämme rund um den Globus gesammelt. Diese müssen sich aber nicht nur gegen Fische wehren, sondern auch gegen unzählige Bakterien und Viren, die die Schwämme täglich mit dem Meerwasser aufnehmen. Schwämme bekämpfen diese potenziellen Krankheitserreger mit diversen Chemikalien. Forscher wie Raymond Andersen untersuchen diese chemische Keule der Schwämme, immer in der Hoffnung, darin Wirkstoffe zu finden, die auch für den Menschen nützlich sein könnten – gegen Krebs und andere Krankheiten.

    "Wenn wir die Tiere im Meer gesammelt haben frieren wir sie ein und bringen sie in gefrorenem Zustand in unser Labor. Dort entnehmen wir ein kleines Stück und legen es in ein Lösungsmittel wie Ethanol oder Methanol. Und in dem Extrakt sind dann all die Moleküle, für die wir uns interessieren."

    Biologen testen dann, ob in dieser Lösung auch solche Moleküle sind, die bestimmte Enzyme aktivieren oder hemmen können. Denn genau dies geschieht auch bei unterschiedlichen Krankheiten. Haben die Forscher einige vielversprechende Kandidaten gefunden, ist Chemiker Raymond Andersen wieder an der Reihe.

    "Wir sind gut darin, die chemische Struktur dieser Kandidaten zu entschlüsseln. Es sind Moleküle, die noch keiner zuvor gesehen hat. Sie haben einen komplexen chemischen Aufbau. Es ist sehr aufwändig, diesen zu entschlüsseln und man braucht eine sehr gute Ausrüstung."

    Ist die Struktur eines solchen Moleküls mit Hilfe unterschiedlicher Chromatographie-Verfahren erst einmal geknackt, können es Andersen und seine Kollegen im Labor in gewünschter Menge vermehren, der potentielle Wirkstoff muss also nicht mehr aus Schwämmen gewonnen werden.

    "Wir haben bislang drei Verbindungen, die aus Meerestieren stammen und in meinem Labor vermehrt wurden und die es in klinische Studien mit Patienten geschafft haben."

    Zwei dieser Verbindungen schieden aus dem Rennen aus, weil sie nicht effektiver waren als bereits verfügbare Wirkstoffe. Die Hoffnungen von Raymond Andersen ruhen auf der letzten verbliebenen Verbindung, die bei Asthma helfen soll und aus einem Schwamm vor Papua-Neuguinea stammt.

    "Es sieht sehr vielversprechend aus. In Phase I der klinischen Studie zeigte sich keine Toxizität bei Menschen. Patienten können den Wirkstoff in Form einer Tablette einnehmen, sie müssen keinen Inhalator benutzen. Und was die Wirksamkeit angeht – die ist größer als wir erwartet oder gehofft haben."

    Vor allem für Kinder wäre es eine Erleichterung, den Wirkstoff statt mit einem Inhalator mit einer Tablette aufnehmen zu können. Die von Andersens Team entdeckte Verbindung aktiviert ein bestimmtes Enzym, in der Folge kommt es bei Asthma-Patienten nicht mehr zu Entzündungsreaktionen. Nun stehen weitere klinische Studien an, mit einer größeren Zahl an Patienten, bevor der Wirkstoff als Medikament auf den Markt kommen kann.

    "Es hat sich gezeigt, dass es ein sehr langwieriger Prozess ist, solche neuen Medikamente zu entwickeln. Vom Zeitpunkt, wenn die erste Verbindung gefunden wird bis zum Einsatz beim Menschen, vorausgesetzt alles läuft nach Plan, können zehn bis 15 Jahre vergehen."

    Doch Raymond Andersen ist optimistisch, dass der Wirkstoff aus dem tropischen Schwamm schon in naher Zukunft Asthma-Patienten helfen kann.