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Medikamente für alle?

Die Medikamente gegen Aids sind in Mexiko die gleichen wie in Europa oder den USA. Die Kosten für die Behandlung der rund 50.000 Aids-Patienten in Mexiko werden von den Sozialversicherungen oder direkt vom Gesundheitsministerium übernommen. Doch viele Menschen mit HIV gehen oft erst zum Arzt, wenn sie bereits an AIDS erkrankt sind.

Von Martin Winkelheide | 03.08.2008
    In Mexiko leben etwas mehr als 100 Millionen Menschen. 200.000 von ihnen sind HIV-positiv, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Genaue Zahlen gibt es nicht, so der Infektiologe Luis Soto-Ramirez.

    "Es gibt genug Aids-Tests für alle. Das Problem ist nur: Niemand will sich testen lassen. Der Mensch, mit dem Sie gerade Sex hatten, ist immer ein ‚sauberer’ Mensch. Ein Mensch, den Sie gut kennen. Wir haben viele Entschuldigungen, wir in Mexiko sind wirklich groß im Verdrängen und Verleugnen von Risiken."

    Sehr früh schon hat Mexiko schwangeren Frauen angeboten, sich kostenlos auf HIV testen zu lassen. Der Hintergrund: Wenn eine HIV-Infektion früh erkannt wird, lässt sich zuverlässig verhindern, dass sich das Kind, vor, während oder direkt nach der Geburt mit dem Virus ansteckt.

    "Wir haben den Test, aber die wenigsten Ärzte bieten ihn den schwangeren Frauen an. Und die meisten Frauen wollen auch nicht auf HIV getestet werden - insbesondere Frauen aus den armen Schichten. Gerade für sie scheint das HIV-Problem sehr weit weg zu sein. Sie sagen: Ich und HIV? Ich will den Test nicht.

    Und dann gibt es noch ein Problem: Frauen aus den armen Schichten gehen während der Schwangerschaft meist gar nicht zum Arzt. Wenn sie dann zur Entbindung ins Krankenhaus kommen, ist es sehr schwierig, noch etwas zu machen. Denn oft kommen sie wirklich auf die letzte Minute."

    Noch kommen in Mexiko sehr wenige Kinder mit einer HIV-Infektion auf die Welt. Aber die Situation, fürchtet Luis Soto, könnte sich sehr schnell ändern, wenn sich zunehmend junge Frauen mit dem HI-Virus anstecken.

    Im Süden von Mexiko City. 40 Minuten Autofahrt vom historischen Zentrum entfernt: Das Nationale Institut für Kinderheilkunde. Es ist eine sehr große Klinik. Es gibt ein spezielles Transplantationszentrum, eine Abteilung zur Behandlung von angeborenen Herzfehlern, eine weitere Abteilung ist auf Krebserkrankungen im Kindesalter spezialisiert.

    Luis Xochihua Diaz leitet die Abteilung für Infektionskrankheiten am Nationalen Institut für Kinderheilkunde. Er betreut etwa 70 Kinder mit HIV. In die Klinik werden sie nur dann eingewiesen, wenn es Probleme gibt. Ansonsten bringen die Eltern ihre Kindern etwa alle drei Monate in die Ambulanz. Zur Kontrolle.

    Vor wenigen Wochen erst hat die Ambulanz des Klinikums ein neues Gebäude bezogen. In der Wartezone großes Gedränge. Frauen, Männer, Kinderwagen. Säuglinge werden gestillt. Behandlungszimmer 16 ist für die HIV-Patienten reserviert, wie die 14-jährige Lauretta. Sie ist wohlgenährt. Es gehe ihr gut, bestätigt ihr Vater.

    In dem Raum stehen zwei Kühlschränke. Hier lagern die Medikamente, die Luis Xochihua den Eltern mitgibt. Alles Markenprodukte. Dieselben Medikamente, die auch in Europa und den USA Bestandteil des Medikamentencocktails gegen HIV sind. Einige Medikamente gibt es als Saft, so Luis Xochihua. Andere nur in Tablettenform. Das mache die Dosierung manchmal schwierig, gerade bei den ganz kleinen Patienten.

    Bei der Wahl der Medikamente gibt es keine Einschränkungen für die Ärzte in Mexiko, bestätigt der Infektiologe Luis Soto-Ramirez.

    "Wir können alle Medikamente nutzen; in meiner Klinik, selbst solche, die gerade erst von der FDA in den USA oder von der europäischen Zulassungsbehörde EMEA frei gegeben worden sind. Wir haben alle Medikamente hier."

    Die Kosten für die Behandlung der rund 50.000 Aids-Patienten in Mexiko werden von den Sozialversicherungen übernommen oder direkt vom Gesundheitsministerium.

    Dennoch gibt es Probleme: Menschen mit HIV gehen oft erst zum Arzt, wenn sie an Aids erkrankt sind. Dann ist das Immunsystem schon so geschwächt, dass es andere Krankheits-Erreger nicht mehr unter Kontrolle halten kann - zum Beispiel den Erreger der Tuberkulose.

    "Die entscheidende Frage ist: Fangen wir dann sofort mit der HIV-Behandlung an, oder müssen wir erst etwas gegen die anderen Infektionen machen? In Mexiko ist die Tuberkulose weit verbreitet. Wenn Sie einem Menschen mit Tb sofort Aids-Medikamente geben, erholt sich zwar sein Immunsystem. Aber dann kommt es zu einer massiven Entzündung. Die Patienten leiden dann sehr, und sie können sogar daran sterben."

    Die HIV-Behandlung in Mexiko könnte effektiver sein, wenn die Menschen sich früher auf HIV testen ließen, davon ist Luis Soto überzeugt. Und wenn mehr Ärzte speziell ausgebildet wären für die anspruchsvolle und oft nebenwirkungsreiche HIV-Therapie.