Dennis Seidenberg hat 15 Jahre in der NHL gespielt. Der Verteidiger bestritt mehr als 900 Partien und gewann 2011, als größten Erfolg, mit den Boston Bruins den Stanley Cup. Das ist eine Seite der Bilanz von Seidenbergs Karriere. Doch es gibt auch eine andere, wie er gegenüber dem Deutschlandfunk betont:
"Ich hab’ mich ja öfter verletzt und auch schwere Verletzungen gehabt. Dazu gehören das Kreuzband, die Bandscheibe, Schultereckgelenks-Sprengung, gebrochenes Handgelenk, gebrochener Unterschenkel, Spiralfraktur - also ich hab’ viele Verletzungen gehabt. Aber, ja, das gehört einfach zum Sport dazu. Man verletzt sich ab und zu. Und da gehört auch dazu, auch manchmal mit Schmerzen spielen zu können und müssen. Weil, es ist, wie in jedem Job. Man will seinen Job nicht verlieren."
Die Liste der Verletzungen von Christian Ehrhoff ist nicht ganz so lang. Der schussstarke Abwehrspieler war zwölf Jahre in der NHL, kam auf mehr als 800 Partien. Er sei relativ verletzungsfrei durch seine Eishockey-Karriere gekommen, sagt Ehrhoff im Gespräch mit dem Deutschlandfunk:
"Ich hatte hier und da mal Rückenprobleme, wo ich dann auch Medikation für nehmen musste. Ansonsten, natürlich, in den Playoffs, da ist man hier und da mal fit gespritzt worden."
Insgesamt aber, betont Ehrhoff, habe er "nicht übermäßig große Berührungen mit Schmerzmitteln gehabt:
"Aber sicherlich habe ich das natürlich bei Teamkollegen mitbekommen und, ja, das, denke ich, kann natürlich auch Folgen haben."
Zum Beispiel bei Ryan Kesler, mit dem Ehrhoff zwei Jahre bei den Vancouver Canucks zusammengespielt hat und 2011 in der Endspielserie um den Stanley Cup stand. Kesler ist einer von drei Protagonisten der Dokumentation "The Problem of pain". Und Schmerzen hatte er viele in seinen mehr als 1.000 NHL-Spielen.
Christian Ehrhoff sagt: "Der war auf jeden Fall ein Warrior. Wenn er sich einmal reingeschmissen hat und wurde getroffen, dann hat er sich auch noch ein zweites Mal reingeschmissen, hat auch den zweiten Schuss noch mal geblockt - egal, wie. Der hat seinen Körper auf jeden Fall nicht geschont und war gerade auch in dieser Finalserie, ich mein, also wir waren als Team einfach brutal angeschlagen. Ich weiß gar nicht, ob er noch auf einem Bein gespielt hat oder beide Beine verletzt hatte."
Kesler erlitt in seinen 15 NHL-Jahren einige Knochenbrüche und unterzog sich mehrfacher Schulter-Operationen. Aufgrund von jahrelangen Hüftproblemen musste der Stürmer 2019 seine Karriere beenden. Trotz aller Probleme, aller Qualen und Schmerzen war es ihm wichtig, möglichst kein Spiel zu verpassen. So wie er denken fast alle NHL-Profis. Allerdings, betont Kesler:
"Die Spieler können lügen, aber jeder Profi nimmt Schmerzmittel. Egal was, Hauptsache, die Beschwerden sind nicht so stark und du kannst spielen. Als meine Schmerzen besonders schlimm waren, habe ich Toradol genommen."
Toradol ist ein entzündungshemmendes Mittel - und in der Liga weit verbreitet. Auch Dennis Seidenberg nahm es:
"Ich hab’ damals Toradol genommen. Wenn man die nimmt, da kann man in die Wand rennen und man spürt nichts. Das ist einfach die stärkste, schmerzhemmendste Pille - oder auch, das gibt’s auch in Spritzform oder Injektion. Mit der kann man mit den meisten Verletzungen spielen."
"Löcher und Geschwülste im Darm"
Seidenberg hebt hervor, Toradol selbst über einen Zeitraum von zwei Wochen in sechs, sieben Spielen genommen zu haben. In der Fernseh-Dokumentation heißt es, dass Toradol laut Gesundheitsbehörden aus Kanada und den USA nicht häufiger als fünf Tage eingesetzt werden solle. Ein Missbrauch sei mit ernsthaften Nebenwirkungen wie Magen-, Leber- und Nierenkomplikationen in Zusammenhang gebracht worden.
Kesler hat das Mittel fast täglich genommen. 2015 wurde bei ihm eine chronische Darmerkrankung diagnostiziert. Ärzte teilten ihm mit, dass dies sehr wahrscheinlich die Folge seines Toradol-Missbrauchs sei, erzählt er:
"Ich habe Löcher und Geschwülste im Darm, meine gesamten Eingeweide verkrampften. Es ist sehr unangenehm. In den Playoffs musste ich 30-40 Mal pro Tag auf die Toilette - und es kam nichts als Blut."
Deutschen Spielern waren Risiken bewusst
2019 wurde bei ihm Morbus Crohn festgestellt - eine chronische Darmentzündung, die bis ans Lebensende behandelt werden muss und mitunter zur Entfernung von Organteilen führen kann. Kesler betont, dass ihn niemand auf die möglichen Folgen und Nebenwirkungen der Toradol-Überdosierungen hingewiesen hätte. Ehrhoff und Seidenberg haben da allerdings andere Erfahrungen gemacht.
"Der Doktor hat das einem schon erklärt. Aber, natürlich, letztendlich als Spieler hat man gesagt, ‘mach’ das, so lange mir das hilft.’"
"Die Doktoren, die haben mir persönlich immer gesagt, auf was ich mich einlasse, was die Risiken sind und was sie mir geben."
Finalspiele nur mit Toradol möglich
Als sich die beiden Deutschen 2011 im Stanley Cup-Finale gegenüberstanden, spielte Ehrhoff trotz einer Schultereck-Gelenks-Sprengung. Und er konnte in allen sieben Partien nur dabei sein, weil er mit Toradol fit gespritzt wurde.
Das führt unweigerlich zur Frage, wenn Leistung ohne schmerzstillende Mittel nicht möglich ist, wenn Akteure nur aufgrund dieser Medikamente spielen können, ist das nicht Doping? Seidenberg muss bei seiner Antwort ein wenig überlegen:
"Na, man verbessert ja nicht seine Leistung in dem Sinn, dass man etwas besser machen kann als seine Bestleistung. Man ermöglicht ja nur, dass man seine Leistung überhaupt zeigen kann."
Ryan Kesler sagt, dass es ihm oft schwer falle, überhaupt aufzustehen. Jeder Schritt fühle sich an, als würde er auf Nägeln gehen. Er sei anfällig für Krebs, Leber- und Nierenprobleme. Seine Kinder hätten längst aufgehört zu fragen, ob er mit ihnen spielen könne. Sie wissen mittlerweile, dass der Papa ihnen nur zugucken kann. Ryan Kesler ist 36 Jahre alt.
Seidenberg ist 39. Er hatte in den vergangenen fünf Jahren seiner Karriere vor allem mit seinem Oberkörper immer wieder Probleme. In der Schulter plagt ihn einsetzende Arthrose - und seine Handgelenke würden regelrecht "knirschen", sagt Seidenberg. Deshalb entschied er sich im Herbst 2019, seine Karriere zu beenden. Mit Toradol, betont er, würde er noch spielen können - aber dann wäre seine Leber "total kaputt" und das bringe halt "überhaupt nichts."