Jae Ho Sohn ist Arzt aus Leidenschaft. Deshalb hat er die Arbeitsgruppe "Big Data in der Radiologie" gegründet. Die versucht, in den verschiedensten Bereichen Künstliche Intelligenz für die Diagnose nutzbar zu machen. Das gefällt nicht jedem.
"Einige meiner Kollegen äußern Bedenken - mal implizit, mal explizit, mal als Witz. Aber ich bin Arzt geworden, um Patienten zu helfen. Und wenn Künstliche Intelligenz uns helfen kann, unseren Job besser zu machen, sollten wir sie nutzen."
Gerade erst hat der Radiologe und Programmierer von der University of California mit seinem Team in einer Pilotstudie gezeigt: Künstliche Intelligenz kann verräterische Vorzeichen für Alzheimer entdecken - und das bis zu sechs Jahre vor den ersten sichtbaren Symptomen, wie Gedächtnisverlust.
"Die Früherkennung von Alzheimer ist ein wichtiges Ziel, denn sobald eine klinische Diagnose mit dem Verlust von Gedächtnisleistung und anderen typischen Symptomen vorliegt, ist es für eine Behandlung schon zu spät."
KI erkennt Ablagerungen im Gehirn
Bei einer Alzheimer-Erkrankung verändert sich der Hirnstoffwechsel, mit der Folge, dass Nervenzellen absterben. Warum das passiert, ist allerdings bis heute noch nicht abschließend geklärt. Sicher ist, dass sich zwei verschiedene Eiweiße im Gehirn ablagern: Die Tau-Fibrillen und die Beta-Amyloid-Plaques. Sichtbar machen lassen sich diese Protein-Ablagerungen mit Hilfe einer sogenannten Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET-Scan. Dabei wird dem Patienten ein schwach radioaktiv markierter Wirkstoff in die Armvene gespritzt. Der setzt sich dann an den Eiweißablagerungen im Gehirn fest und macht sie auf Bildern erkennbar. Und zwar für die künstliche Intelligenz früher und zuverlässiger als für den Menschen, meint Jae Ho Sohn.
"Radiologen sind sehr gut darin, zentrale charakteristische Biomarker auf Bildern aus dem PET-Scanner zu finden. Unglücklicherweise hat Alzheimer einen diffusen Einfluss auf das ganze Gehirn. Wenn es um solche wenig lokalisierten Krankheitsmarker geht, tun sich Menschen sehr schwer, sie aufzuspüren."
Für ihr Experiment trainierten die Forscher ein lernfähiges Computerprogramm mit rund 20.000 PET-Aufnahmen von Alzheimer-Patienten im Frühstadium. Anschließend ließen sie das KI-System 40 Aufnahmen bewerten, die es zuvor noch nicht gesehen hatte. Es kam in allen Fällen zum selben Befund wie die Experten für Radiologie. Ein beeindruckender Erfolg. Das meint auch Alexander Gerhard, ein Neurologe von der Universität Duisburg-Essen und Manchester, der sich auf die bildgebenden Verfahren bei der Alzheimer-Erkennung spezialisiert hat.
"Früherkennung ist wichtig, um die Diagnose korrekt zu stellen. Es gibt ja auch andere Ursachen einer Gedächtnisstörung oder später einer Demenz. Diese anderen Erkrankungen würde man anders behandeln."
Blutanalyse als Alternative
Alexander Gerhard kann sich deshalb gut vorstellen, dass sich die KI-basierte Alzheimer-Früherkennung langfristig durchsetzen könnte. Noch allerdings sind die dafür nötigen PET-Scans sehr teuer und zeitaufwändig - und werden deshalb nur selten gemacht. Die Alternative: eine Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit. Die ist wiederum für die Patienten sehr schmerzhaft. Deshalb hat der Biophysiker Klaus Gerwert von der Universität Bochum zusammen mit Kollegen einen kostengünstigen und einfachen Frühtest für Alzheimer entwickelt. Der wird gerade in klinischen Studien erprobt.
"Wir kriegen sehr viele Anfragen von Leuten, die gerne den Test machen würden. Das können wir aus ethischen Gründen natürlich nicht verantworten und wir machen den Test nur in Studien."
Bei dem Test analysieren die Forscher die Amyloid-Proteine, die jeder Mensch im Blut hat. Mit Infrarotlicht können die Forscher das Verhältnis von gesunden und fehlerhaften Amyloid-Proteinen vergleichen und so herausfinden, ob sich im Gehirn schon Ablagerungen gebildet haben. In einem zweiten Schritt messen die Wissenschaftler dann noch den Gehalt von Tau- und Beta-Eiweißen im Rückenmark. Die Kombination dieser Marker kann bereits acht Jahre vor den ersten äußeren Anzeichen Hinweise auf eine beginnende Alzheimer-Erkrankung geben – zwei Jahre früher als das KI-System von Jae Ho Sohn. Und das mit einer Trefferquote von über 90 Prozent. Von dem Ansatz der US-Kollegen ist der deutsche Biophysiker deshalb nicht so ganz überzeugt.
"Man kann schon wahrscheinlich Leute, die man heute noch nicht als Alzheimer identifizieren kann, schon nachweisen. Aber man wird natürlich nicht so früh kommen wie unser Test. Das heißt: Was wir sehen, ist ja auf einer molekularen Ebene. Auf dieser Ebene haben sie natürlich noch keinerlei Veränderungen im Gehirn."
Zulassung steht noch aus
Allerdings muss der Bluttest, den Klaus Gerwert entwickelt hat, erst noch zugelassen werden. Die KI-basierte Früherkennung hingegen können bereits jetzt Radiologen auf der ganzen Welt helfen, bessere Diagnosen zu stellen, betont Jae Ho Sohn.
"Innovation kann man durch einen Durchbruch in einem Feld erreichen. Ein anderer Weg kann sein, zwei Disziplinen miteinander zu verbinden, die normalerweise nicht zusammengehören, wie Medizin und Ingenieurwissenschaft."
Jae Ho Sohn und seine Kollegen haben ihren Algorithmus veröffentlicht. So kann im Grunde jeder damit arbeiten und helfen, ihn immer weiter zu verbessern.