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Medizin
Forscher suchen bei Insekten nach neuen Antibiotika

Einige Insekten produzieren natürliche Substanzen, die eine antibiotische Wirkung haben. Wissenschaftler versuchen schon lange, jene Stoffe künstlich herzustellen. Die sogenannte gelbe Biotechnologie boomt vor allem in Asien. Doch auch hierzulande machen Forscher mittlerweile wichtige Entdeckungen - zum Beispiel jüngst in Gießen.

Von Jochen Steiner | 01.12.2014
    Zur Wundheilung eingesetzte Maden liegen auf einer Mullbinde.
    Aus dem Speichel der Wundmaden haben Gießener Forscher 47 antimikrobielle Peptide isoliert. (picture-alliance/ dpa - CTK Igor Sefr)
    "Die Ideen dafür kommen einfach, weil als ich schon ein kleines Kind war, begeisterter Entomologe bin. Ich habe schon mit 13 eine Schmetterlingssammlung gehabt."
    Mittlerweile ist aus dem Hobby ein Beruf geworden: Professor Andreas Vilcinskas erforscht an der Universität Gießen und am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie, wie sich aus Insekten bestimmte Naturstoffe für den Menschen gewinnen lassen. "Gelbe" Biotechnologie ist das Schlagwort. Gelb, weil die Hämolymphe, das Blut der meisten Insekten, gelb ist.
    "Meine Überzeugung ist, dass die Biodiversität auf Artebene auch auf molekularer Ebene reflektiert wird, das heißt, Insekten verfügen über zahlreiche Moleküle, mit denen sie sich gegen Krankheitserreger verteidigen, oder Enzyme, mit denen sie unterschiedlichste Nahrungsquellen erschließen können. Und unser Ansatz ist jetzt eben, gezielt solche Insekten zu untersuchen, diese Moleküle zu identifizieren und für den Menschen nutzbar zu machen."
    Innerhalb der Naturstoffforschung sind Andreas Vilcinskas und sein Team vor allem neuen Antibiotika auf der Spur. 2013 haben sich die Wissenschaftler den Asiatischen Marienkäfer vorgenommen.
    "Und da haben wir in der Hämolymphe, also in seinem Blut, eine Substanz gefunden mit dem Namen Harmonin. Und die zeigte im Experiment eben, dass sie auch gegen Malaria wirksam ist oder gegen Tuberkulose. So wie das Harmonin ist, kann man es nicht als Medikament einsetzen, man muss es modifizieren und das ist Gegenstand von aktuellen Forschungen."
    Die Heilungskraft der Wundmade
    Die Wissenschaftler haben noch einige weitere mögliche Wirkstoffe gegen Bakterien ausgemacht. Zusammen mit einem Pharmaunternehmen arbeiten sie momentan an neuen Antibiotika aus der Welt der Insekten. Auch die Wundmaden, die heute in manchen Kliniken mit einem Pflaster auf chronische Wunden geklebt werden, um die Heilung zu beschleunigen, haben das Interesse des Entomologen geweckt.
    "Das Besondere ist, sie geben mit dem Speichel einen ganzen Cocktail toller Substanzen ab. Es sind Substanzen darin, die die Wundheilung beschleunigen, es sind Enzyme darin, die nur das kranke Gewebe auflösen, die ernähren sich ja vom kranken Gewebe. Aber nur das kranke Gewebe, das gesunde bleibt sauber, unangetastet erhalten. Und sie geben mit dem Speichel Substanzen ab, die gegen andere Antibiotika resistent sind."
    Aus dem Speichel der Wundmaden haben die Forscher 47 antimikrobielle Peptide isoliert, die Hälfte davon haben sie bereits im Labor hergestellt. Jetzt untersuchen die Wissenschaftler, ob die synthetischen Substanzen so wirkungsvoll sind wie die der Maden. Neue Antibiotika werden auch im Kampf gegen Listerien benötigt, die teils schwere Lebensmittelvergiftungen auslösen. Listerien können auch die Blut-Hirn-Schranke durchbrechen und Hirnhautentzündungen hervorrufen. Viele Medikamente können diese Barriere aber nicht überwinden und sind dann wirkungslos. Auch hier kann ein Insekt helfen, ist Andreas Vilcinskas überzeugt.
    "Wir haben jetzt die Große Wachsmotte etabliert, das heißt, wir konnten zeigen, dass die Listerien, die Menschen töten, auch in Wachsmotten tödlich sind, dort das Gehirn infizieren und Infektionen auslösen. Und wir können jetzt in diesen Wachsmotten-Modellen Wirkstoffe testen, ob die auch die Blut-Hirn-Schranke durchbrechen. Das muss ich jetzt nicht mehr an Mäusen tun."
    Das mache die Versuche billiger und neue Antibiotika könnten schneller gefunden werden, da die Auflagen für Tierversuche mit Insekten weniger streng seien, so Vilcinskas.
    Biosprit mithilfe einer Wespenlarve
    Ein weiterer Bereich, an dem die Wissenschaftler arbeiten, ist die Biokonversion, also die Umwandlung von organischem Material zu Biosprit. Der Auslöser war eine Anfrage, ob Insekten nicht beim Abbau von Wolle helfen könnten, von Altkleidern.
    "Und da kam ich eben auf die Idee, welches Insekt frisst so etwas, na die Kleidermotte. Wieso kann die Kleidermotte Kleider fressen und kein anderes Insekt? Und dann schauen wir uns genau an, wie die Kleidermotte das schafft. Welche Enzyme hat sie, welche mikrobiellen Helfer? Und dann versuchen wir, von diesem Prinzip zu lernen und genau das für die Biotechnologie nutzbar zu machen."
    Auch bei Holz als Ausgangsmaterial für Biosprit lohnt ein Blick ins Reich der Insekten. Die Larven der Riesenholzwespe ernähren sich von Holz. Doch das funktioniert nur mithilfe eines bestimmten Pilzes, der das Holz zersetzen kann. Die Wissenschaftler interessieren sich nun für die Enzyme, die der Pilz dafür einsetzt. Aber nicht nur die einzelnen Wirkstoffe der Insekten können nützlich sein, manchmal sind es auch die ganzen Tiere, wie im Fall der Soldatenfliegen. Deren Larven können mit organischem Abfall gefüttert werden, erläutert Andreas Vilcinskas.
    "Und diese Larven sind voll mit Eiweiß und Fetten. Und solche Insekten, die organischen Abfall in hochwertiges Eiweiß und Fett verwandeln, die könnte man für Ernährungszwecke einsetzen. Allerdings nicht um Menschen zu ernähren, sondern man könnte zum Beispiel Tierfutter daraus machen."
    Den Gießener Forschern scheinen die Ideen nicht auszugehen. Aber bis aus diesen die ersten Produkte entstehen, werden noch ein paar Jahre vergehen.