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Medizin
Medikamentenstudien mit Mängeln

Medikamententests am Menschen gehen meist Tierstudien voraus, denen zufolge ein neues Präparat als vielversprechend eingestuft wurde oder nicht. Nur Präparate, die tatsächlich Wirkung zeigen, werden dann in klinischen Studien am Menschen erprobt. Jetzt gibt es Zweifel, ob das immer so abläuft wie vorgesehen.

Von Mira Fricke |
    Kästchen mit flüssigen Zellkulturen vor einem Schrank
    Zellkulturen werden in einen Inkubator geschoben (imago/epd)
    Über 100 Anträge für erste Medikamententests am Menschen waren es, die sich Forscher der Medizinischen Hochschule in Hannover genauer angesehen haben. Eigentlich sollten diese Anträge gut dokumentierte Tierstudien auflisten, die erste Tests am Menschen rechtfertigen würden. Doch das Ergebnis fiel anders aus.
    "Wir haben gefunden, dass dort viele Informationen, die man eigentlich gerne hätte, nicht berichtet wurden, zum Beispiel verschiedene Maßnahmen, die man eigentlich in der Wissenschaft anwendet, um die Einflüsse von Zufall, aber auch von Verzerrungen in Studien möglichst zu minimieren. Also wie zum Beispiel, dass man vorher berechnet, wie viele Tiere brauche ich eigentlich für die Studie, damit ich wirklich den erhofften Effekt nachweisen kann", erklärt Studienautor Prof. Daniel Strech von der Medizinischen Hochschule Hannover.
    Hinweise zu Vorab-Publikationen fehlten
    In 95 Prozent der Studien fehlten beispielsweise Angaben zu Methoden, die den Einfluss des Zufalls minimieren. Auch auffällig: Fast 90 Prozent der gelisteten Studien hatten keinen Hinweis, wo die Ergebnisse vorab publiziert wurden - eigentlich eine Selbstverständlichkeit in der Wissenschaft. Für Strech ist klar: Auf dieser Grundlage können die Ethikkommissionen keine begründete Entscheidung für oder gegen Studien am Menschen treffen.

    "Es bedeutet in letzter Konsequenz, dass diejenigen, die jetzt eine unabhängige Begutachtung machen, all diese Informationen nicht haben und im Grunde nicht begutachten können, ob diese Tierstudien eigentlich eine hohe Qualität haben oder nicht."
    Daniel Strech betont jedoch: Die Ergebnisse seines Teams bedeuten nicht, dass Wirksamkeitsstudien an Tieren grundsätzlich mangelhafte Methoden aufwiesen. Die Ergebnisse zeigten nur, dass in den Anträgen für die Ethikkommissionen bestimmte Informationen fehlten. Gut gemacht, aber schlecht dokumentiert? Prof. Ulrich Dirnagl kann sich das nicht vorstellen.
    Häufig wird nur das Positive berichtet
    Der Direktor des Quest Center in Berlin beschäftigt sich seit Jahren mit der Bewertung von medizinischen Studien und ist selbst forschend tätig: "Es könnte theoretisch sein, dass ein Autor nur vergessen hat, es anzugeben, hat es in Wirklichkeit aber gemacht. Selbst das würde mich etwas irritieren. Sowas sollte man nicht vergessen. Aber wir haben tatsächlich auch Hinweise darauf, dass es nicht nur nicht berichtet wird, sondern auch nicht gemacht wird."
    Ulrich Dirnagl bezieht sich dabei auf große Übersichtstudien, sogenannte Reviews. Und er kann noch eine weitere Vermutung bestätigen, die sich aus Strechs Studie ergibt: "Es wird sehr häufig nur das Positive veröffentlicht und berichtet und die Studien, wo nicht das rauskam, was man eigentlich hätte herausfinden wollen, dann überhaupt nicht veröffentlicht werden, weil sie in der Schublade des Wissenschaftlers stecken geblieben sind."
    All diese dokumentierten Mängel könnten erklären, warum sich die Erfolge aus Tierstudien nur selten in Studien am Menschen reproduzieren lassen. Daniel Strech: "Dass im Grunde 90 Prozent der Arzneimittel, die in die Forschung mit Menschen kommen und vorher ja in der Tierforschung bereits untersucht worden sind und dort vielversprechend waren. Dass 90 Prozent davon scheitern und in der Regel immer aufgrund fehlender Wirksamkeit. Diese Tatsache lässt natürlich irgendwie Fragen offen."
    Auch Misserfolge muss es geben - aber nicht so viele
    Ulrich Dirnagl geht sogar noch weiter. Er sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen schlecht dokumentierten Tierstudien und geringen Erfolgsraten klinischer Studien am Menschen: "Es ist völlig klar, dass es auch Misserfolge geben muss und kann. Dass sie so hoch sind, hat meiner Meinung nach schon etwas mit dem Phänomen zu tun, dass die präklinische Evidenz entweder nicht so stark ist, wie sie vorgibt oder eben selektiv berichtet wurde und selektiv verwendet wurde in diesen Genehmigungsverfahren."
    Die Tatsache, dass Mensch und Versuchstier nicht den gleichen Organismus haben, könne höchstens für einen Teil der Misserfolge verantwortlich gemacht werden, nicht aber für 90 Prozent - da sind sich die Wissenschaftler einig. Ulrich Dirnagl schlägt daher vor, alle präklinischen Tierstudien zentral registrieren zu lassen. Bisher ist dies nur für Studien am Menschen Vorschrift, nicht aber für zuvor gemachte Untersuchungen an Labortieren.
    "Das hat den Vorteil, dass wir zumindest wissen würden, welche Studien schon gelaufen sind und dann dieses selektive Auswählen von Studien nicht mehr so einfach ist, weil dann sehen wir ja, dass eine Studie gemacht wurde."
    "Dann würde der Patient getäuscht"
    Studien am Menschen, die auf Grundlage lückenhafter Anträge genehmigt wurden: Das sei im Zweifelsfall nicht nur Ressourcenverschwendung, sondern auch für die Studienteilnehmer eine Belastung, so Dirnagl.
    "Der Patient hofft, dass ihm hier etwas Gutes getan wird in der Studie. Wenn es aber so war, dass die Entscheidung für die Studie darauf aufgebaut hat, dass man die positiven Nutzen überschätzt hat, weil Dinge, die negativ oder neutral waren, nicht vorgelegt wurden und damit der Patient, wenn man es böse formuliert, getäuscht wurde."