Ein Nachthemd, ein Schal, oder eine Bluse - all diese Produkte können Konsumenten in edler Seide erwerben. Auch Professor Gerd Bicker interessiert sich für Seide, aber nicht für die der Seidenraupe, sondern für Spinnenseide.
"Es ist eigentlich schon seit Langem in der Volksmedizin bekannt, dass Spinnenseide durchaus antimikrobielle Wirkung hat und eben auch bei Wundverschlüssen helfen kann."
Darüber hinaus sind Seidenfäden sehr elastisch und reißfest. Für den Einsatz in der Medizin sind sie aber noch aus weiteren Gründen gut geeignet, erklärt der Zellbiologe von der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
"Ein weiterer Vorteil ist, dass Spinnenseide keine Antwort des Immunsystems hervorruft. Und außerdem ist es dann eine Substanz, die im Verlauf von Monaten eben auch bioabbaubar ist, das heißt, also keine Reste im Körper hinterlässt."
Forschungsarbeiten an der Medizinischen Hochschule Hannover legen den Schluss nahe, dass Spinnenseide einige nützliche Eigenschaften aufweist, die den Einsatz in der Medizin möglich machen könnten. Eine Idee: Spinnenseide könnte helfen, durchtrennte Nervenfasern beim Menschen wieder besser zusammenwachsen zu lassen. Gerd Bicker und sein Team sowie Kollegen der Medizinischen Hochschule Hannover führten dazu erste Untersuchungen durch. Dafür benötigten sie zunächst einmal Spinnen, die die Seide herstellen.
"Netterweise in unserer Arbeitsteilung schaut es so aus, dass an der Medizinischen Hochschule tatsächlich eine Kolonie von tropischen Spinnen sich befindet, aus denen man diese Spinnenseide entnehmen kann."
Was bei den Seidenspinnen der Gattung Nephila nicht allzu schwierig sei, erläutert der Biologe:
"Dann muss man am Hinterleib ganz vorsichtig mit der Pinzette diesen Faden herauszupfen und der kann dann anschließend aufgewickelt werden."
Pro Spinne und Aufwickel-Aktion kommen bis zu 100 Meter Seidenfaden zusammen. Gerd Bicker und sein Team starteten dann einen Versuch mit menschlichen Nervenzellen, die sie im Labor herangezüchtet hatten.
"Wenn wir in Zellkultur diese Spinnenseide aufspannen, und wenn wir die menschlichen Modellneuronen dazu geben, dann senden zuerst die Nervenzellen auf dem Boden der Petrischale ihre Fortsätze aus, kommen dann in Kontakt mit der Spinnenseide und ziehen sich tatsächlich an diese Spinnenseide heran. Das heißt, sie mögen also dieses Material. Und zweitens können diese Nervenzellen jetzt sehr viel besser ihre Fortsätze aussenden und auswachsen."
Vor allem durchtrennte Nervenfasern, so die Hoffnung der Forscher, könnten schneller heilen, da den Nerven dank der Spinnenseide eine Richtung vorgegeben werden kann, in die sie wachsen sollen. Bis zu sechs Zentimeter könnten auf diese Weise überbrückt werden. Dazu wollen die Wissenschaftler ein Stückchen einer Vene des Patienten so behandeln, dass nur noch das Stützgerüst der Vene übrig bleibt. Danach soll dieses Gerüst mit Spinnenseide-Fäden aufgefüllt und zwischen die durchtrennten Nerven eingesetzt werden.
Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover konnten zeigen, dass bei Schafen die Nervenenden mit dieser Methode wieder gut zusammengewachsen sind. Ob das eines Tages auch beim Menschen funktioniert, bleibt abzuwarten.
Anm. d. Red.: In der ursprünglichen Fassung des Beitrags wurde nicht ganz deutlich, welchen Beitrag die an dem Kooperationsprojekt beteiligten Forscher im Einzelnen geleistet haben. Die korrigierte Fassung des Manuskripts präzisiert die betreffenden Stellen.