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Medizin und Ethik
Biomedizinischer Fortschritt wirft gesellschaftliche Fragen auf

Neue Diagnoseverfahren wie der Bluttest zur Feststellung von Trisomie 21 stoßen bei Moraltheologen, Ärzten und Behindertenverbänden auf Skepsis. Die katholische Kirche will kontinuierlich mehr in gesellschaftliche Debatten eingreifen - bevor Gesetzgebungsverfahren bereits in Gang sind.

Von Monika Konigorski | 05.12.2013
    Gerade in bioethischen Fragen herrschen zwischen beiden großen Kirchen erhebliche Auffassungsunterschiede. Auf katholischer Seite hat das zu einer Suche nach neuen Verbündeten geführt, um den eigenen Positionen politisch und gesellschaftlich mehr Einfluss zu verschaffen.
    Seit August dieses Jahres ist in Deutschland ein Bluttest auf dem Markt, mit dessen Hilfe eine Schwangere Auskunft darüber erhalten kann, ob das von ihr Kind erwartete Kind Trisomie 21 hat. Für Alois Glück, den Vorsitzenden des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, ist der Test ein weiterer Schritt zu mehr Selektion von Embryonen, die er ablehnt:
    "Nach unserer Überzeugung darf es keine Unterscheidung geben zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben."
    Glück plädiert für einen Richtungswechsel. Wichtig sei, Positionen nicht erst dann zu formulieren, wenn Gesetzgebungsverfahren bereits im Gang sind. Vielmehr müssten Christen ihre Standpunkte kontinuierlich in gesellschaftliche Debatten einbringen und auf die Stimmungen und Widersprüche hinweisen, die die politische Meinungsbildung beeinflussen.
    "Wir werden insgesamt als Menschen immer stärker in ein ganz schwieriges Spannungsfeld kommen. Nämlich dass auf der einen Seite die moderne Wissenschaft Analysen macht über unser Erbgut, über unsere Möglichkeiten, über unsere Grenzen – und wir auf der anderen Seite generell so Fragen stellen: Wie gehen wir mit Wissen um? Werden wir damit fertig?"
    Nach Einschätzung des Saarbrücker Humangenetikers Wolfram Henn wird der vorgeburtliche Bluttest sehr bald schon zu einer Fülle von Daten über Ungeborene führen. Wurde zunächst nur das Chromosom 21 untersucht, ist ein Screening inzwischen auch schon für die Chromosomen 13 und 18 möglich.
    "Das Angebot steht, die Inanspruchnahme ist doch bislang geringer, als die meisten Fachleute das gemeint haben. Das liegt vor allem daran, dass der Test schlicht und einfach teuer ist, er kostet an die 1000 Euro. Seit einigen Wochen ist allerdings ein Konkurrenzprodukt auf dem Markt, das den Preis für den Bluttest wohl senken wird."
    Die Kosten für eine Amniozentese, bei der der Schwangeren Fruchtwasser entnommen wird, übernehmen die Krankenkassen. Allerdings können bei der Untersuchung Komplikationen bis hin zur Fehlgeburt auftreten. Ob künftig auch die Kosten für den Bluttest erstattet werden, diskutieren die Versicherer zurzeit.
    Wolfram Henn plädiert dafür, diese Diskussionen öffentlich zu machen: "Ich glaube, und das teile ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen, dass es ein grundsätzlicher Neuansatz für Medizin ist, mit einer neuen Methode, die Geburt von Kindern mit einer bestimmten Eigenschaft flächendeckend verhindern zu wollen. Nichts anderes wäre ja die flächendeckende Ausdehnung des Präna-Tests. Und das müssen wir uns als Ärzte fragen, das müssen wir uns auch als Kostenträger fragen. Ist das wirklich die flächendeckende Aufgabe in unserem Solidarsystem des Gesundheitswesens solche Aufgaben wahrzunehmen?"
    Bald kann das komplette Genom des Ungeborenen offengelegt werden
    Nach Einschätzung des Humangenetikers ist es eine Frage von etwa fünf oder sechs Jahren, bis mit einem nicht-invasiven Test standardmäßig das komplette Genom des Ungeborenen für die Eltern offengelegt werden kann.
    Der katholische Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann setzt zur ethischen Bewertung solcher neuen Techniken auf den ethischen Ansatz der sogenannten Fähigkeitenethik, des "capability-Approach".
    "Wenn man eben traditionell naturrechtlich argumentiert hat, hat man den Vernunftbegriff in den Blick genommen, man versucht eine rationale Argumentationsbasis zu bekommen. Und das Neue besteht eben darin, dass man nicht nur die Vernunftbindung betont, sondern Techniken eben auch danach befragt, was sie denn für die Entfaltung der jeweiligen Grundbefähigung des Menschen für seine gesamte Handlungsfähigkeit bewirkt."
    Aus einer solchen Perspektive ist im Blick auf neue Diagnoseinstrumente die Frage zu stellen, welche Kultur diese Methoden befördern, wenn sie – wie bei Trisomie 21 – in 90 Prozent aller diagnostizierten Fälle zu einer Abtreibung führen.
    Franz-Josef Bormann: "Eine Kultur, in der man sozusagen bestimmte vordefinierte Perfektionsmerkmale erfüllen muss, um überhaupt zugelassen zu werden, ist meines Erachtens jedenfalls keine besonders humane Welt."
    Doch normative Grenzziehungen allein, sind aus Sicht Bormanns zu wenig. Stattdessen sei es Aufgabe der Kirchen, die eigene Position zu erklären und in Handlungsimpulse münden zu lassen. So sollen sie aufzeigen, wie Grenzziehungen im konkreten Alltag einer sich verändernden Gesellschaft praktikabel sind und durchgehalten werden können.
    "Es reicht, glaub ich, nicht, immer nur zu lamentieren und zu sagen: Die böse Welt hört nicht auf unsere guten normativen Weisungen. Sondern man muss auch die Frage stellen: Was können wir als Christen, wir bilden ja keine absolute Minderheit in dieser Gesellschaft, zwei Drittel der bundesrepublikanischen Bevölkerung gehören den großen christlichen Kirchen an, das heißt , da ist durchaus eine kritische Größenordnung da, die sich auch Gehör verschaffen sollte."
    Gerade in bioethischen Fragen herrschen aber zwischen beiden großen Kirchen erhebliche Auffassungsunterschiede. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hatte in seiner jüngsten Stellungnahme die Präimplantationsdiagnostik nicht uneingeschränkt abgelehnt. Ein Teil des Rates hielt ihre Zulassung in engen Grenzen für ethisch vertretbar.
    Katholische Kirche sucht nach neuen Verbündeten
    Auf katholischer Seite hat das zu einer Suche nach neuen Verbündeten geführt, um den eigenen Positionen politisch und gesellschaftlich mehr Einfluss zu verschaffen.
    Ein Beispiel für solche Bemühungen ist das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft. Vor zwölf Jahren wurde es in Berlin von neun kirchlichen und nichtkirchlichen Verbänden der Behindertenhilfe und Selbsthilfe gegründet. Es berät Verbände wie auch die Politik, um die Perspektive von Menschen mit Behinderungen stark zu machen.
    Leiterin Katrin Grüber: "Wobei wir uns große Mühe geben, nicht nur Stellungnahmen abzugeben, wo wir gegen etwas sind, sondern auch klar zu sagen: wofür wir sind, was wir wollen. Ich glaube, dass das sehr wichtig ist, damit wir nicht so eine Art Fahrradbremse am Überschallflugzeug werden."
    Katrin Grüber stellte die Arbeit ihres Instituts jüngst auf einem Symposion in Köln vor, das vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen in Köln veranstaltet wurde.
    Beim vorgeburtlichen Bluttest argumentiert das Institut, die Fortschritte in der Pränataldiagnostik dürften die Bemühungen um eine inklusive Gesellschaft nicht hintertreiben. Ärzte sollten vor dem Test neutral argumentieren und deutlicher auf die Möglichkeiten hinweisen, auch mit einem Kind mit Behinderung zu leben.
    Die Zusammenarbeit der Behindertenverbände mit den Kirchen möchte Wissenschaftlerin Katrin Grüber gerade auf lokaler Ebene ausweiten: "Sehr vielen Kirchengemeinden, das weiß ich, von vielen Diskussionen, fällt gar nicht auf, dass keine Menschen mit Behinderung im Gottesdienst sind, denen fehlt niemand. Und das würde ich gerne ändern."