Die brasilianische Wespe Polybia paulista ist ein soziales Tier. Sie baut Nester in Bäumen und bildet große Kolonien, sagt Paul Beales von der University of Leeds in Großbritannien.
"Sie brauchen deshalb ein Gift, das sie gut gegen bakterielle Krankheitserreger schützt."
Denn eine Infektion kann sich in der engen Kolonie schnell ausbreiten. Ohne effektive Abwehr hätten die Wespen kaum eine Chance gegen die Krankheitserreger. Studien haben gezeigt, dass das Wespengift die Bakterien tötet, indem es ihre Membranen schädigt. Der aktive Bestandteil des Gifts wirkt dabei nur gegen Bakterien, er greift die Zellen der Wespen selbst nicht an. Auch die Zellen anderer Tiere lässt es unbehelligt - und damit auch die des Menschen. Das heißt: Das Wespengift kommt als Lieferant für neue Antibiotika in Frage. Doch das ist nicht alles.
"Einige der antimikrobiellen Eiweiße im Wespengift töten Krebszellen, und zwar ohne gesunden Zellen zu schaden. Sie könnten also zu neuen Chemotherapeutika werden."
Gift für Tumorzellen
Den Effekt auf Tumorzellen hatten Kollegen von Paul Beales schon in früheren Studien nachgewiesen. Unklar blieb aber, wie das Gift seine tödliche Wirkung entfaltet. Paul Beales vermutete, dass wie bei den Bakterien auch bei den Krebszellen die Zellmembran entscheidend sein könnte.
"Wir wissen, dass die Membran von Tumorzellen ein klein wenig anders ist als die von gesunden Zellen. Sie haben bestimmte Fette, die bei gesunden Zellen nur auf der Innenseite vorkommen, auch an ihrer Außenseite."
Mit kompletten Krebszellen zu arbeiten, war dem Biophysiker viel zu unübersichtlich. Er stellte sich deshalb künstliche Membranen her, die nur das Notwendigste enthielten: Die einen hatten die krebszelltypische Kombination von Fetten, die anderen glichen gesunden Körperzellen. Auf diese Membranen brachten sie dann den Wirkstoff aus dem Wespengift auf.
"Wir konnten sehen, wie sich in den Membranen große Poren formten. Diese Poren sind so groß, dass der Zelle dadurch wichtige Enzyme und andere Moleküle verloren gehen könnten."
An den künstlichen Membranen, die denen gesunder Zellen entsprechen, tat sich dagegen nichts. Der Effekt überraschte die Forscher, denn der Wirkstoff selbst ist viel zu klein, um ganze Poren zu bilden. Die Erklärung: Das Molekül lagert sich an die Fette an, die nur bei Krebszellen außen an der Membran vorkommen, und bildet mit ihnen gemeinsam die Poren. Die Krebszelle läuft quasi aus und stirbt.
Neuer Ansatz für die Krebsforschung
Aine McCarthy arbeitet für die Organisation Cancer Research UK, die in Großbritannien zu den Hauptgeldgebern der Krebsforschung zählt. Sie sieht viele gute Ideen kommen und gehen. Diese hier hält sie für vielversprechend:
"Das ist natürlich alles noch in einem sehr frühen Stadium, aber trotzdem ist es sehr spannend. Wir verstehen jetzt dank dieser Studie, wie dieses kleine Eiweiß gegen Krebszellen wirkt. Das ist die Grundlage, um nach diesem Vorbild Wirkstoffe zu entwickeln, die sicher im Menschen wirken."
Die Membran als Angriffspunkt für Chemotherapeutika, bis jetzt gibt es dazu nur wenige Informationen. Es ist ein vollkommen neuer Ansatz. Die etwas andere Fettzusammensetzung in der Zellhülle kommt allerdings bei sehr vielen verschiedenen Krebstypen vor. Das heißt: Wirkstoffe, die auf diesem Prinzip aufbauen, könnten, wenn es gelingt, tatsächlich für die Behandlung vieler Krebsarten geeignet sein.